Beziehungspingpong mit Mord
Petra Delicado, Inspectora bei der Polizei in Barcelona, ist »unser intellektuelles Juwel«. So wird sie jedenfalls von ihren Chefs eingeschätzt. Intellektuelle, gar weibliche, gehören – so sieht man das – deutlich in die Abteilung »Theorie«. Und da sitzt sie nun im Archiv und liest kriminaltechnologische Fachliteratur aus den USA. Bis es ihr zu dumm wird, und sie meutert. Sie ist Polizistin, weil sie Polizeiarbeit machen will. Da hilft ihr ein glücklicher Zufall: Ein Kollege fällt wegen Beinbruch aus, Petra Delicado muss ihn vertreten. Aber weil sie, wie gesagt, gleich beides ist, Frau und Intellektuelle, bekommt sie einen männlichen Kollegen an die Seite gestellt: Fermín Garzón, Subinspector. Garzón kommt aus den Provinz, aus Salamanca, ist verwitwet und schon so lange im Polizeidienst, dass wir genau wissen, zu welcher Zeit er sein Handwerk gelernt hat. Sicher nicht im demokratischen Spanien. Außerdem sieht er aus, so schießt es Petra bei der ersten Begegnung durch den Kopf, wie »jemand, der ein Bruchband braucht«. Das kann nicht gut gehen.
Und so giften und raunzen die beiden sich schon in »Ritos de muerte« (dt. »Spanische Blumen«, 1998) durch ihren ersten Fall. Garzón langt des Öfteren kräftig hin, was nicht rechtsstaatlich, aber manchmal erstaunlich wirksam ist. Das muss Petra Delicado contre cœur lernen. Der alte Sauertopf hingegen muss von Petra lernen, dass Denken auch nicht immer schadet. Und dass Gefühle ganz schön verwirrende Dinge sein können …
Aber da stecken wir schon mitten in der Handlung von »Hundstage«, und spätestens jetzt wird klar, dass es Alicia Giménez-Bartlett gelungen ist, der Typologie vom Ermittler-Pärchen in der Kriminalliteratur mit Petra und Fermín eine neue Variante hinzuzufügen. Bis jetzt kannten wir Nick und Nora Charles von Dashiell Hammett (wobei wir Myrna Loy und William Powell in den Filmen nicht mit den Personen aus dem Roman »The Thin Man« verwechseln sollten), die eleganten Zyniker in einer durch und durch verderbten Welt, die nur mit sich selbst wirklich etwas anfangen können. Dann natürlich die exzentrische Miss Marple und ihren getreuen Mr Stringer, die komische Alte und ihren Trottel also, die ganz dem Held und Sidekick-Muster folgen. Und als dritte zeitgenössische Variante schließlich Patrick Kenzie und Angela Gennaro von Dennis Lehane. Diese beiden Bostoner Privatdetektive sind mit allem Ernst und allem Furor des Geschlechterkampfs der letzten Jahrzehnte ineinander verkeilt und verknotet, auch und gerade sexuell.
Das komische Pärchen von Alicia Giménez-Bartlett tickt da ein bisschen anders. Natürlich stellt man sich als LeserIn die Frage, ob die beiden jetzt bald »was miteinander haben«, aber eine kluge Autorin wird diesen Konflikt leise weiter köcheln lassen und so bald nicht lösen. Stattdessen besinnt sie sich einer alten Erkenntnis, nach der das Private immer politisch und das Politische nicht unabhängig vom Privaten gedacht werden kann. Indem sich in Fermín und Petra jeweils das »alte« und das »neue« Spanien spiegeln, werden die Veränderungen des Landes in alltägliche Situationen übertragen, die dann oft komisch sind.
Deswegen unterhalten wir uns prächtig dabei – zum Beispiel wenn die beiden im Supermarkt einkaufen, Fermín völlig verwirrt ist, aber gleichzeitig auch klar wird, warum Supermärkte nicht der Weisheit letzter Schluss sind – und kommen uns von der Autorin nicht mit Problemen belästigt vor. Aber wir unterhalten uns auch nicht unter Niveau. Wofür wir wiederum dankbar sind.
Der wirkungsvollste Effekt von Giménez-Bartletts Konstruktion aber ist, dass die unterschiedlichen Weltbilder des Polizisten-Duos direkt mit dem Fall und seiner Lösung zu tun haben: Fermín, der im Irrgarten der Liebe umhertaumelnde Kavalier, macht eine Bauchlandung. Petra, die ausgefuchste Partisanin im Geschlechterkrieg, ganz genauso. Trotzdem wird gerade deswegen am Ende ein Verbrechen aufgeklärt. Über Verbrechen aber wissen wir, dass sie immer gleichzeitig privat und öffentlich sind. Also liegt das Beziehungspingpong zwischen zwei Menschen schon fast zwangsläufig ganz eng dran am Krimi.
Thomas Wörtche