Angelika Gillitz-Acar und Angelika Hoch
über
Leyla Erbil: Eine seltsame Frau
Manch einer wundert sich, warum wir zu zweit übersetzen. Ist das wirklich so unfassbar? Muss nicht fast jeder im Berufsleben mit einer oder mehreren Personen zusammenarbeiten? Da fragt man doch auch nicht, ob die Sache dadurch nicht zu kompliziert wird, man sich nicht permanent in den Haaren liegt und unterstellt nicht insgeheim, dass man nur im Team arbeitet, weil man’s nicht alleine kann.
Aber Letzteres war für uns tatsächlich der Grund zusammenzuarbeiten. Keine von uns hätte sich alleine an eine Übersetzung herangewagt, wussten wir doch beide um unsere Stärken und Schwächen. Was lag also näher, als es gemeinsam zu probieren. Zugegeben, ein zweitaufwändiges Verfahren, verbunden mit langen Diskussionen. Aber bisher haben wir noch immer eine Lösung gefunden, die keine von uns als faulen Kompromiss hinnehmen musste. Deshalb können wir auch nicht von ausgekratzten Augen, verzweifelten Tränenausbrüchen, verletzten Eitelkeiten, hysterischen Wutausbrüchen oder beleidigten Rückzügen berichten. Im Gegenteil. Im Laufe der Zeit haben wir erkannt, welche unschätzbaren Vorteile die Tandem-Übersetzung in sich birgt. Zum Beispiel haben wir nie dieses Gefühl der Einsamkeit erfahren, über das viele Übersetzer klagen. Selbst dann nicht, wenn jede für sich ihr Pensum im stillen Kämmerlein leistete, alleine nach Worten und Formulierungen ringend. Die Ergebnisse werden immer gemeinsam besprochen. Das funktioniert aber nur dann, wenn auf persönlichen Geltungsdrang und Rechthaberei verzichtet wird. So kann man sich ganz ungezwungen und frei der eigentlichen Textarbeit widmen. Schließlich geht es ja nicht um die Übersetzer, sondern darum, im Sinne des Autors zu übersetzen.
Wie schwierig das sein kann, mussten wir bei der Übersetzung von Leyla Erbils Roman „Eine seltsame Frau“ leidvoll erfahren. Wie kann man Leyla Erbils Sprache übertragen, die gespickt ist mit ungebräuchlichen Wortschöpfungen und Redewendungen, sowie reich gewürzt mit Dialekten und Ausdrücken, für die es kein deutsches Pendant gibt? Das bringt natürlich Schwierigkeiten mit sich. Hier hat sich gezeigt, dass unsere Entscheidung, gemeinsam zu übersetzen, richtig war. Nein, nicht nur richtig. Hätten wir uns nicht für diese Arbeitsweise entschieden, dann hätte es sich keine von uns beiden, nach Lektüre der ersten Seiten, angemaßt, den Roman zu übersetzen. Gemeinsam trauten wir uns. Wir waren selten einer Meinung und so konnten wir heftige Diskussionen führen und penible Wortklauberei betreiben – übrigens keine Zeitverschwendung, sondern ein wunderbares Mittel den richtigen Ton zu treffen oder einen passenden Ausdruck zu finden.
Mindestens genauso wichtig war die gegenseitige moralische Unterstützung. Manche Textpassagen brachten uns an den Rand der Verzweiflung. (Zum Glück nie beide gleichzeitig.) Wer wäre nicht dem Wahnsinn nahe, wenn er sich plötzlich einem Wort gegenübersähe, das er nicht kennt, das im gebräuchlichen Wörterbuch nicht zu finden ist, das auch nicht in Fachwörterbüchern auftaucht und selbst einem Muttersprachler fremd ist? Übersetzt werden muss es doch. Oder einfach unterschlagen? Nein! Dann doch lieber beim Autor nachfragen.
Wer käme z. B. auf die Idee, dass „Peydof“ kein russischer Familienname ist, sondern vom Englischen „paid off“ kommt und anscheinend zu einem Begriff unter türkischen Seeleuten wurde, wenn sie ihre Heuer bekommen hatten, wie uns Leyla Erbil schließlich verriet.
Leyla Erbil war aber nicht die einzige, die uns zur Seite stand. Wir mussten ein ganzes Bataillon von Hilfskräften aktivieren, um die Fragen und Probleme zu bewältigen, mit denen uns der türkische Text überraschte. Da war die Verkäuferin im russischen Lebensmittelladen, die uns über allerlei russische Spirituosen aufklärte (inzwischen haben wir Krim-Wein und russisches Essiggemüse schätzen gelernt), dann die Mitarbeiter der Bayerischen Staatsbibliothek in der Karten- und Orientabteilung, der Fachmann für Häfen am Schwarzen Meer in der Geo-Buchhandlung, fachkundige Muttersprachler, ein leidgeprüfter Ehemann, eine wahrscheinlich manchmal verwunderte Herausgeberin und eine versierte Lektorin.
Wir hatten Spaß an dieser Zusammenarbeit und strampeln gerne weiter auf dem Tandem – gibt’s Hindernis, werden noch mehr Pedalritter verpflichtet.