Socrates Fortlow ist ein erstaunlicher Mann, er hat 27 Jahre lang im Knast gesessen, in keiner sehr gemütlichen Anstalt im Staat Indiana. Er hat zwei Menschen umgebracht, einen Mann und dessen Freundin, die er vorher noch vergewaltigt hat. Er ist eigentlich alles, nur kein liebenswürdiger Held – oder?
Seit er aus dem Knast raus ist, lebt er in L. A. Nicht sehr komfortabel, auch nicht sehr legal. Seine kleine Hütte ist improvisiert, undicht und klemmt zwischen ausgebrannten Läden und anderen Symbolen der Verrottung in einer Brache des berüchtigten Stadtteils Watts. So heißt dieser Stadtteil nicht mehr offiziell, die Erinnerungen an die Watts riots werden auch verbal verdrängt. Heute sagt man »South Central«.
Mit diesen beiden Koordinaten – der Mann und sein Lebensort – ist alles benannt, was nicht nur die einzelnen Geschichten, sondern auch die Übersetzung reizvoll macht. Wie das? Ganz einfach: Socrates Fortlow ist schwarz, im Elend und Überlebenskampf sozialisiert und ungebildet. Seine Mutter hat ihm den Namen Socrates gegeben, weil sie sich für ihn keine Schule leisten konnte und hoffte, der Name eines »schlauen Mannes« würde auch den Sohn »schlau« machen helfen. Und der Name ist Programm, wenn auch erst am Lebensende.
Die Geschichten sind also Erzählung von unten, sie leben vom Reden, und geredet wird »schwarz«. Schwarzes amerikanisches Englisch also steht auf den Seiten der Originalerzählungen. Wie übersetzt man sowas?
So, wie es dasteht. Das ist doch klar. Eine Übersetzung hat kein Recht, sich vom Original zu entfernen, wenn es dafür nicht geradezu existenzielle Gründe gibt. Und gleichzeitig: Eine Übersetzung muss muttersprachlich so unauffällig sein, dass die Leser nicht mit der Übersetzung beschäftigt sind, sondern mit dem Autor und seinem Text.
Schwarzes amerikanisches Englisch – das löst bei vielen ein »Oh, oh, gaaanz schwer!« aus. Die einen haben einen Heidenrespekt, die andern Schiss. Beides ist falsch, und beides hat ganz tief unten rassistische Wurzeln. Welche Sprache auch immer Schwarze sprechen – sie ist menschengemacht und also vereinbar mit anderen menschengemachten Sprachen. Sprache ist ein universeller menschlicher Ausdruck mit unzähligen Variationen, manche sind nur in Nuancen verschieden, manche weit voneinander entfernt.
Die Sprache, in der die Socrates-Fortlow-Geschichten geschrieben sind, ist selbstverständlich nicht die »Sprache der Straße« eins zu eins, sondern eine Kunstsprache. Walter Mosley hat sie um ein scheinbares Paradox herum inszeniert: Ein Held namens Socrates bespricht und verkörpert feinste philosophische Moral, er spricht jedoch in einer Sprache, die dem nackten, brutalen und prallen Leben am nächsten ist – im Slang.
Eine reizvolle Inszenierung, gerade für eine Übersetzerin. Es ging mir darum, eine genauso unprätentiöse, unauffällige, bodenständige Kunstsprache auf Deutsch zu finden, und alles zu vermeiden, was »exotisch« oder »hip« oder irgendwie nach Distanz klingt. Eine Sprache, die schlicht und klar ist wie die gesprochene Sprache.
Ich habe deshalb riskiert, aus dem »brother« einen »Bruder« zu machen, auch wenn das am Anfang vielleicht ein bisschen nach »Winnetou« klingt. Ich habe an Originalwörtern nur stehen lassen, was entweder unübersetzbar ist oder bei der Übersetzung alle Assoziationskraft verlieren würde. Dann allerdings habe ich manchmal sogar verdeutlicht – aus einem »chariot burning in the rain« einen »Sweet Chariot« gemacht oder einen »Toast« ausgesprochen, wo wir im Deutschen schlicht »Prost« sagen würden.
Ich habe mir erlaubt, das Siezen und Duzen abwechslungsweise zu benutzen, wie es mir dem Ton der Erzählung jeweils angemessen erschien. Ich habe jede dialektale Färbung vermieden, weil sich Dialekte nicht in Dialekte übertragen lassen. Und weil Walter Mosleys Geschichten nicht wirklich in Dialekt geschrieben sind.
Alles, was Sie an diesen Geschichten »stört«, sollten Sie unbedingt zunächst mir in die Schuhe schieben, nicht dem Autor. Vergessen Sie nie, Sie lesen nicht das Original, sondern eine Übersetzung – eine Übersetzung allerdings ist dann gelungen, wenn man sie beim Lesen vergisst.