Shakespeares Drama Der Sturm ist für die postkoloniale Belletristik zu einem Vorbild geworden. Wer könnte auch einer Geschichte widerstehen, in der Geister und Wilde von einem Europäer gezähmt und belehrt werden, den es auf eine Insel verschlagen hat und zu dem im Verlauf der Handlung eine buntgewürfelte Gesellschaft von Glücksrittern, Träumern und Trinkern stösst? Die Metapher für die Weise, wie die europäischen Mächte lange Zeit ihre Lebensweise und Sprache auf wehrlose Paradiesinseln zu exportieren trachteten, ist unübersehbar. Shakespeares Experiment in magischem Realismus bietet ein ideales Beispiel für die Begegnung zwischen Zivilisiertem und Wildem – oder, wie es heute eher heißen würde, zwischen zwei verschiedenen Typen von Zivilisation, einer von der Natur abgeleiteten und einer, die auf Büchern gründet. Das Stück erkennt nicht nur sowohl die engelhaften als auch die bestialischen Seiten der unbewussten Welt an, sondern es erlaubt auch einem auf Besuch weilenden Gelehrten, vor seiner Rückkehr nach Hause eine mission civilisatrice zu vollbringen.
Gleichgültig, ob nun die Inspiration zu diesem Stück von jenen Inseln kam, die uns Schriftsteller wie Derek Walcott und V. S. Naipaul geschenkt haben: Es ist leicht einzusehen, warum viele aus den ehemaligen englischen Kolonien stammende Autoren das Bild des nach Freiheit schreienden Ariel aufgegriffen haben; oder warum Walcott uns in seinen Gedichten nicht nur Othello aus der Sicht des Mohren präsentiert, sondern auch beschreibt, wie »Calibans die verbarrikadierten Straßen eines Empire niederschreien, das mit Caedmons rasselosem Morgentau begann und in den Gassen von Brixton endet, in Flammen wie die Schiffe auf Turners Gemälden.«
Wenn nun also Romesh Gunesekera seinem Romanerstling Riff eine Zeile aus dem Sturm voranstellt, wissen wir, dass uns wahrscheinlich eine neue Version einer alten kolonialen Geschichte erwartet. Und dass es, darüber hinaus, wohl ein Beispiel für jene Erscheinung sein wird, die als »The empire strikes back« bezeichnet wird, ein Kürzel, das sich eingebürgert hat für jenes sich immer deutlicher abzeichnende Phänomen, dass ein Großteil der besten zeitgenössischen englischen Literatur – besonders in England – von Autoren geschrieben wird, die aus den ehemaligen Kolonien stammen und die Wörter, die sie zu Füßen ihrer Herren gelernt haben, nun benützen, um die Literatur-Hierarchie ihrer Herren auf den Kopf zu stellen. So erstaunt es nicht weiter, dass Toronto, Sydney und Bombay neue Zentren der englischen Literatur geworden sind, wie andererseits die südamerikanischen Länder herausragende spanische Literatur hervorbringen.
Auf Gunesekera, der die Heimatlosigkeit in der Emigration aus eigener Erfahrung kennt, passt diese Beschreibung genau zu, ist er doch auf drei verschiedenen Inseln aufgewachsen – Sri Lanka, den Philippinen und England. Und beim Lesen seines ungewöhnlichen Prosa-Gedichts spürt man genau, wie die jungen »fremden« Autoren den englischen Mainstream mit ihren ungewohnten Gewürzen, Farben und Tönen förmlich überschwemmen. An der Oberfläche – und es ist eine außerordentlich sinnliche Oberfläche – erzählt Riff schlicht die Geschichte von Triton, einem ernsten Dorfjungen mit großen Augen und notdürftiger Schulbildung, der nach Colombo kommt, um im Haus Mister Salgados zu arbeiten. Mister Salgado ist ein ruhiger, verträumter Amateur-Meeresbiologe. Für Triton ist er die oberste Instanz in allen Fragen, die die Welt betreffen – uns erscheint er, wie er seufzend auf der Terrasse Sullivans Ein Tag in Titipu hört oder wortlos in der Betrachtung seiner geliebten Miss Nili versinkt, gefährlich weltfremd. Zusammen machen diese beiden Vertreter von Wissenschaft und Aberglauben aus ihrem Heim ein Modell der Insel, die sie umgibt. Gunesekera zeigt in jedem einzelnen seiner minutiösen Details die verschiedenen Einflüsse auf, denen die Insel ausgesetzt war und noch ist. Vor der Veranda an der Hauptfront des Hauses tauchen »zwei Säulen in die weißen Jasminsträucher und ein rotes Blumenmeer«, im Haus selbst wechseln sich »Schilfjalousien, Formicaflächen und Nylonfußmatten« ab. Der Hausherr frühstückt weiche Eier und Kochbananen, zum Five-o’clock-tea nimmt er Kokosnussplätzchen und Gurkensandwiches. Am aufschlussreichsten ist aber wahrscheinlich die Bemerkung des elfjährigen Triton über seine Englischkenntnisse: »Ich hatte sogar etwas Englisch gelernt von meinem armen, gequälten Lehrer, der immer noch unter dem Zauber einer dschungelumrankten Victoria stand.«
Von der ersten Seite an zeigt uns Riff den Archetypus eines Herrn und seines Boys in einer Art tropischen Version von Was vom Tage übrigblieb (Remains of the Day); und wie in Ishiguros Roman dreht sich die Geschichte in ihrem Ablauf um die Verlockungen und Auswüchse des Nachahmens und Kopierens (sowohl Papageien wie auch Papageifische schwirren durch den Roman). Während Triton in der kunterbunt zusammengewürfelten Kultur im Hause seines Herrn die Ironie zwar erkennt, ist er dennoch seinem Herrn so bedingungslos ergeben, dass er nicht einmal isst, bevor Mister Salgado sein Mahl beendet hat. Wie der Butler bei Ishiguro weiß er von der Außenwelt so wenig, dass er seinen Master für allmächtig hält; und wie der erwähnte Butler hat er nichts dagegen, dass man ihn für einen reichen Mann hält, als er einmal ausnahmsweise ohne seinen Herrn unterwegs ist. »Und so schaute ich ihm zu, schaute ihm die ganze Zeit unentwegt zu, und lernte, das zu werden, was ich bin«, sagt der Boy mit Ariels Stimme und einem Hauch der Direktheit eines Caliban.
Der ganz besondere Zauber des Buchs wird genau von dieser Stimme vermittelt, einer Stimme, die wir kaum je zuvor gehört haben – offen, unverbildet, eifrig bemüht zu gefallen – und aus einer Perspektive, die nicht durch Doppeldeutigkeit oder Distanz getrübt wird. Sogar am Rand der Hauptstadt von Sri Lanka lebt der Junge in einer Welt der Geister. Nachts schläft er im Wohnzimmer unter einem kleinen Bullauge und beschwört Dämonen aus dem Dunkel herauf. Er reibt seinen Glücksbringer, einen Armreif aus Elefantenhaar, und versucht mit Zaubersprüchen seine Feinde zu verhexen. Die ganze Insel ist für ihn mit missgünstigen kleinen lokalen Gottheiten und bösartigen Zauberern wie dem Oberdiener Joseph bevölkert (dessen Gesicht »die Umrisse einer Teufelsmaske hat«). Das ist fürwahr Prosperos Eiland – »ein Dschungel von Dämonen«, wie Triton es nennt – mit den Augen eines einheimischen Kobolds gesehen.
Und weil der größte Teil des Buchs von Tritons Leben als Meisterkoch seines dahinschmachtenden Mister Salgado handelt, erlaubt es dem Leser, in berückende Düfte und Blumen und Aromen einzutauchen. Auf jeder Seite begegnen uns Schilderungen von Rosenwasser, Mandelessenz und Kardamom, Niaulibäumen und Tempelbäumen, das Buch ist erfüllt vom »Duft von Zimt in perlkörnigem Reis« oder dem »Summen eines Kolibris, der Nektar aus einer rosafarbenen Pantoffelblume nippt«. Und weil die Welt des schlichten Boys nicht über den Gartenzaun hinausreicht, bleibt auch die Sicht der Lesenden eingeschränkt, sie sehen nicht so sehr ein Sri Lanka der ethnischen Konflikte oder sozialer Unruhen, sondern eher einen Zaubergarten voller »rotschnäbliger Papageien und gelbohriger salaleenas«, wo ein Boy Schränke mit ein paar Tropfen Rosenwasser parfümiert und seine Hände mit Kokosfasern und rosa Walknochen schrubbt. Alles wird in lokalen Bildern beschrieben: Das Meer ist »wie ein Reismehlkuchen. Thosai-flach«, und von den Ohren einer Frau heißt es: »Der Rand der Ohrmuschel rollte sich nach innen wie der Rand eines puppadums im heißen Öl.« Der Roman beginnt in den Sechzigerjahren, und die politischen Spannungen zwischen Singhalesen und Tamilen auf der 1948 unabhängig gewordenen Insel drohen als düstere Sturmwolken am Horizont.
Die Stärke von Riff liegt in seiner ungezwungenen und überzeugenden Beschreibung eines auf sich selbst beschränkten Universums (»Ich wusste nicht, was außerhalb unserer Straße geschah«, gibt der Junge zu), in dem die Schönheit eines elysischen Heims als gegeben angesehen wird. Tritons Arbeit in der Küche gibt ihm Gelegenheit, uns mit exotischen Aromen und Zutaten zu umgeben, mit seeni-sambol und pol-sambol und pol-kiri-badun-Curry, mit del-Bäumen und nelum-Blumen. Was bei der Lektüre von Riff sofort auffällt, besonders im Vergleich zu Gunesekeras früherem Erzählband Monkfish Moon, ist die auf beinahe jeder Seite aufleuchtende Kursivschrift, die jedesmal wilde und unbekannte sprachliche Beute ins Englische mit sich zu bringen scheint. Gunesekera hat sich bewusst dafür entschieden, die meisten seiner singhalesischen Begriffe nicht zu erklären, so wie auch Vikram Seth in Eine gute Partie (A Suitable Boy) seine Seiten mit indischen Ausdrükken füllt, es aber ablehnt, ein Glossar beizufügen. Puppadum und Sari und Nirwana seien heute englische Wörter, behaupten die Autoren; oder, wie Rushdie es in seiner polemischeren Art ausdrückt: »Die englische Sparche zu erobern kann die Vollendung unseres Befreiungsprozesses bedeuten.«
Das Bemerkenswerte an diesem Roman ist, dass er seine Wirkung leise erzielt, durch fast unwahrnehmbare Schattierungen in Sprache und Textur. Die Geschichte – eine Insel verliert ihren paradiesischen Zustand, zeitgleich erlangt ein Junge Selbsterkenntnis – ist durchaus konventionell; aber die Art, wie sie im Roman erzählt wird, wie die Sprache selbst zunehmend Opfer der Außenwelt wird, ist einmalig und berührend. Daher leuchten einem auf den ersten Seiten von Riff die lokalen Ausdrücke entgegen wie das Zentralriff des allgegenwärtigen Meeres von phosphoreszierenden Fischen schimmert; und bei Tritons Bemerkungen über die anbrandende See fühlt man sich, entsprechend seinem treffenden Bild, »wie in einer Muschel«. Wenn die Leute sprechen, geschieht dies in der besonderen, schneidenden Kadenz, wie man sie in einem Dorf auf Sri Lanka hören könnte. Im Verlauf der Zeit (und in dem Maß, wie der Junge heranwächst), durchdringen immer mehr Einflüsse das weltabgeschiedene Haus. Das beginnt mit Mr. Dias, einem Freund von Mister Salgado, der in der woodehouseschen Manier der anglo-asiatischen Intellektuellen spricht:
»Das Gewehr […] ruhte sozusagen malerisch wie ein Parasol auf seiner Schuhspitze. Vor lauter Aufregung und dem Geschepper und Gedröhne überall, drückte der arme Teufel ab. Jagte sich selber die große Zehe in die Luft – schon so etwas gehört?«
In der Schlüsselszene des Buchs – auch diese wieder ähnlich wie die Dinnerparty, die das Herzstück von Was vom Tage übrigblieb ist – steht Triton vor seiner größten Herausforderung, der Zubereitung eines Weihnachts-Truthahns (der neben einem Weihnachtsbäumchen aus Plastik gegessen werden wird). Ein traditionelles Essen für Mister Salgados ausländische Gäste, aber der Vogel wird nicht nur mit Rosinen und Leber, sondern auch mit »Taufiks ganja und unseren heimischen jamanaran-Pflaumen« gefüllt (wie im übrigen das Buch selbst). Obwohl kein Apfel in der Pute steckt, markiert sie das Ende des Garten Eden. Es ist das erste Mal, dass Ausländer von Mister Salgado zum Essen eingeladen werden, und sie bringen ihre fremden Sichtweisen mit (»in diesem außergewöhnlichen, meiner Ansicht nach äußerst erotischen Land … So ungehemmt. Absolut natürlich.«) Und, was noch bedauerlicher ist: Von dem Moment an, wo sich die Srilankesen mit fremden Augen zu sehen beginnen, schleichen sich fremde Vorstellungen in ihre Sprache. (Mister Salgado ordnet an, dass das Dinner »um neun Uhr aufgetragen werden soll. Pünktlich. ›Kein Knabberbüfett‹, hat er wissen lassen«). Bevor wir uns dessen überhaupt voll bewusst werden, benützen Mister Salgado und seine Freunde westliche Ausdrücke und abgedroschene Platitüden aus zweiter Hand, plappern davon, wie es ist, wenn »die Habenichtse die Habenden so viel haben sehen«, reden über eine »Fünfte Kolonne«. Man hört geradezu, wie sich die Tore des Paradieses schließen, wenn Mister Salgado »über die Thermodynamik des Ozeans im Zeitalter des Wassermanns« doziert.
Von da an verläuft die Handlung von Riff unausweichlich elegisch, Ingenieure, die in London und Neu-England ausgebildet wurden, bestimmen das Geschehen, im Roman wie auf der Insel selbst. Nouveau-Küchenchefs, Zeffirellis Romeo und Julia werden erwähnt und die »freie Liebe« in Kalifornien. Die Regierung treibt gigantische Bewässerungsprojekte voran. Das Riff, das dem Buch den Namen gibt, wird als vermarktbare Ressource entdeckt. Marxisten setzen Gebäude in Brand, um die Insel zu säubern, während junge Leute auf der Suche nach dem schnellen Geld »Batikboutiquen« eröffnen und auf »fluoreszierenden Motorrädern« durch die Gegend donnern. Das Wesentliche dieses Buches aber ist die mutige Feststellung, dass die Korruption tiefer verwurzelt ist als jeder Ismus, als jede Modeströmung, dass nicht Todesschwadronen oder Nationalisten oder Marxisten oder habgierige Unternehmer zum Untergang Sri Lankas führen, dass dies alles nur Symptome eines viel tieferen Unbehagens sind, das Resultat einer zu schnellen Erweiterung von Horizonten und zu vielen fremden Einflüssen. Mit dem gedankenlosen Gerede von »klassischer Kapitalflucht« beginnt die Vertreibung aus dem Paradies.
Riff endet mit der Übersiedlung Tritons und seines entmutigten Mister Salgado nach London, wo sie eine Wohnung in einem viktorianischen Haus nahe der Gloucester Road beziehen. Wie Ishiguros Butler erkennt Triton, dass er einem Mann vertraut hat, der kraftlos ist und naiv. Aber der Verlust der Unschuld wird bezeichnenderweise wieder nur durch Sprache angedeutet. Als Triton die englische Meeresküste besucht, findet er einen grauen, von Kormoranen heimgesuchten Ort vor, nichts von den Farben und der Musik, die er kennt, und die Sprache verhärtet sich zu einer spröden, aus verschiedenen Elementen zusammengewürfelten Ausdrucksweise: »Das Meer schimmerte zwischen den schwarzen, entenmuschelüberzogenen Buckeln, an denen goldene Blasentangschollen klebten – Buckel wie gestrandete Wale, die sich zu einem Riesenungeheuer verdichteten, das schnupfend und gurgelnd auf das Festland zukroch. […] In den einsamen Wasserinselchen auf den pockennarbigen Klippen vergruben sich gesprenkelte Einsiedlerkrebse und gummige rote Seeanemonen; Napfschnecken und Uferschnecken und blubberndes Seegras klammerten sich vor der Flut fest.«
Riff fließt sanft und lyrisch von Seite zu Seite – flüsternd und murmelnd wie die See –, dass man leicht übersieht, wie subversiv dieses Buch ist. Denn es erlaubt, ja zwingt uns, Sri Lanka aus der Perspektive eines einheimischen Jungen zu sehen: ein Novum in der englischen Literatur. Was wir im Westen bisher über die Insel gelesen haben, stammt zur Hauptsache aus der Feder von Fremden, und zudem Fremden, die sich der Fremdartigkeit der Insel sehr bewusst waren und sie uns durch ihre Augen sehen lassen. »Alle Dschungel sind böse«, schrieb Leonard Woolf über die Insel, wo er als junger Verwaltungsbeamter gelebt hatte, und Edward Lear beklagte sich »die braunen Menschen dieser Insel kommen mir verabscheuungswürdig neugierig und lästig-idiotisch vor«. Das alles, bevor die Meister weltweiter Entfremdung, Paul Bowles und D. H. Lawrence, auf den Plan traten (letzerer mit seiner Bemerkung über »papaw-stinkende Buddhisten«).
Sogar der berühmteste Autor Sri Lankas, Michael Ondaatje, ist ein verirrter halber Fremdling, ein Produkt holländischer und englischer Vorfahren, der sein ganzes Leben als Erwachsener im Ausland verbracht hat, zuletzt in Kanada, und der, in Running in the Family, mit den Worten »Ich bin der Fremde. Ich bin der Verschwender, der den Fremden hasst« an seinen Geburtsort zurückkehrt. Die Vorfahren, die Ondaatje in seinen Memoiren porträtiert, wie sie Billard spielen, die Rennen besuchen, in Sälen zur Musik eines Bijou-Moutrie-Klaviers tanzen, gehören ebenso zur Gattung entwurzelter Kosmopoliten, die Triton und seinesgleichen wie Außerirdische vorkämen. (Sein Vater, erwähnt Ondaatje nebenbei, war in Cambridge vorübergehend verlobt mit einer russischen Gräfin.)
Riff ist, wie immer mehr zeitgenössische Romane, von radikaler Genauheit, was sich in geradezu enzyklopädisch beschriebenen Details äußert und was Teil seiner aufwieglerischen Konzeption ist. »Ich stellte in der Küche den irdenen Topf, in dem ich die Hühner gekocht hatte, in den Spülstein und füllte ihn bis obenauf mit Wasser. Ich goss etwas übriggebliebene Milch dazu. Als sich die Milch im eingeweichten Topf mit dem öligen Wasser vermischte, stieg eine wunderbare Milchstraße auf: Eine flüssige Rauchspirale, die sich ganz langsam entrollte, die Lehmrillen entlangstrich und sich sanft in einer lautlosen weißen Unterwasserexplosion auflöste. Eigentlich hätte man sich vorstellen können, dass die Mischung aus Öl, Wasser und Milch formlos sei, doch das Ganze lief nach einem vorbestimmten Muster ab, als ob jeder Tropfen seine Zukunft in sich berge, als ob die Wolke in der Form des Topfes selbst enthalten sei, obwohl er im mit Wasser gefüllten Spülstein stand.«
Und er nutzt jeden Anlass, um eine Art Gegen-Orientalismus zu inszenieren, wenn er die Insel aus der Perspektive der Dienstbotenkammer zeigt und dadurch die westliche Sichtweise des Ostens durch östliche Sichtweise des Westens ersetzt. Für Triton sind ja schließlich nicht mynah-Vögel oder Magier exotisch, sondern die Hefte von Life und Reader's Digest, Gerüchte um die Profumo-Affäre und die Beatles. Das dunkle und unheimliche Land, wo man die Sprache nicht beherrscht, ist England. Und wenn er die Welt um sich herum beschreibt, transponiert er alles: Er schreibt von Silbertabletts so groß wie der Mond, und man stellt fest, dass man gewöhnt ist, dass englische Autoren umgekehrt den Mond mit Silbertabletts zu vergleichen pflegen; wenn er in Mister Salgados Arbeitszimmer liest, beschreibt er »das Knistern des zwiebelschalendünnen Papiers von Geschichte zu Geschichte, wie in der Sommerbrise raschelnde Bäume«. Die eigentlichen Begriffe von Vertrautheit und Fremdheit sind hier umgedreht.
Derek Walcott schrieb einst von einem Empire-verfolgten karibischen Künstler, der die Begriffe in einem alten Gedicht wörtlich verdreht, so dass es lautet: »Heilig sei / der weiße Kopf eines Negers, / geweiht sei der schwarze Flachs eines schwarzen Kindes«. In der Schlüsselszene des Romans, dem Weihnachtsessen, beteuern die anwesenden Srilankesen nicht nur, dass ihre Insel der ursprüngliche Garten Eden war, sondern verwandeln die Bibel und die Geschichte von Noah in ein srilankesisches Volksmärchen von einem »verdammt üblen Monsun« und »baas-unnahah, unserem Zimmermann mit seinem Boot«. Am Ende der Szene sehen wir Dinge, die wir zu kennen glaubten, wie durch ein umgekehrtes Fernrohr.
Eigentlich ist magischer Realismus nichts anderes als das Übertragen des Alltäglichen in eine Welt, die so weit entfernt ist, dass sie Realismus für Surrealismus hält. Wie García Márquez entdeckt hat, wird die schlichte Schilderung des Lebens in einem von Aberglaube und Gottesfurcht erfüllten Dorf uns ebenso außerirdisch vorkommen wie unsere Fernsehbilder und sonstiger Schnickschnack einem kolumbianischen Dorfbewohner: Das ist das quid pro quo der modernen Handelswege der Vorstellungskraft. Magischer Realismus ist eine Transubstantiation – die Verwandlung vom Wasser des einen in den Wein des anderen – und setzt der berühmten Kipling-Zeile »Die wildesten Träume von Kew sind die Fakten von Kathmandu« die Umkehrung auf »Die wildesten Fakten von Kew sind die Träume von Kathmandu«. Der einsame, eher schäbige Amerikaner in Gunesekeras Roman wird von Triton als »Filmstar« bezeichnet.
Obwohl Riff nicht zwingend ein Beispiel für magischen Realismus ist, ist es ein facettenreiches Beispiel, wie Caliban die Rede seines Meisters gegen ihn kehrt. Vor etwa einer Generation beherrschte V. S. Naipaul die Stimme und Haltung des Empire und richtete sie auf die Dritte Welt, der zu entfliehen er soviel Mühe aufgewendet hatte. Fünfzehn Jahre später, am Vorabend der Unabhängigkeit geboren, feierte Salman Rushdie einfach das polyglotte Mischmasch unserer vermischten Kulturen, wo es in Bombay ebensoviele Star-Trek-Fans gibt wie in London Samosas. Heute jedoch repatriieren jüngere Autoren wie Gunesekera die Fertigkeiten und Techniken die sie in England zu beherrschen gelernt haben, um ihren Heimatländern neue Würde und Autorität zu geben. Ben Okri füllt das Englische mit nigerianischen Kräuterhändlern, alles in klassischen englischen Sätzen beschrieben. Die in der Karibik geborene Caryl Phillips schreibt einen Roman in makelloser Prosa des 19. Jahrhunderts und nennt ihn Cambridge, nicht um die bukolische englische Universitätsstadt heraufzubeschwören, sondern nach einem grausam misshandelten Negersklaven. Gunesekera seinerseits schaut – wie Rohinton Mistry, ein indischer Autor, der seit langem in Toronto lebt – von einem westlichen Hochsitz auf eine Welt zurück, die er hinter sich gelassen hat, und beschreibt in einem neuen, unbeschwerten Englisch »hüftwackelnde Cha-Cha-Cha oder Kukul-Kakul tanzende Paare«.
Die entscheidende Aussage in Riff über den Untergang des Ostens, und mit ihm eine besondere Art von Zauber, ist keineswegs neu. Eine Stärke des Buchs ist jedoch, dass es diesen Punkt nicht überreizt, dass die Geschichte nie in Polemik abgleitet. Als Mister Salgado von einer ausländischen Journalistin gefragt wird, »was für Auswirkungen die Meereserosion auf die Lebensbedingungen in den Küstendörfern haben wird«, verliert er seine übliche Beherrschung, ganz einfach, weil er seine Insel zu sehr liebt, um sie als Objekt von Gemeinplätzen verstanden zu wissen (obwohl er selbst hin und wieder darauf zurückgreift). Genauso lehnt Gunesekera simple Erklärungen oder billige Rhetorik ab und schildert uns die verwehenden Düfte seiner meeresumspülten Heimat.
Für mich ist dies der beste Roman, der seit Rohinton Mistrys So eine lange Reise (Such a long Journey) auf dem indischen Subkontinent geschrieben worden ist, und zwar aus den gleichen Gründen. Er entführt uns ruhig in eine neue, unerwartete Welt, in der wir uns zunehmend zu Hause fühlen.
Pico Iyer wurde 1957 in Oxford, England, als Sohn indischer Eltern geboren, war Schüler in Eton, studierte in Oxford und Harvard, wo er auch lehrte. Er veröffentlicht regelmäßig in The New York Times, Los Angeles Times und der Londoner Times.
Unter dem Titel The Empire Writes Back veröffentlichte er einen Essay in der Neuen Rundschau, 107. Jahrgang, Heft 1, 1996, die dem Thema »Der postkoloniale Blick – Eine neue Weltliteratur?« gewidmet ist.
The New York Review, 22. Juni 1995