Christopher Moore:
Großes Geld, großes Verbrechen
Großes Geld, großes Verbrechenvon Christopher G. MooreIn der Literatur sind großes Geld und Verbrechen traute Bettgenossen. Schriftsteller wissen seitjeher: Das Herausarbeiten der vielschichtigen Seiten dieser Verbindung ergibt ein explosivesGemisch aus Leidenschaft, Abenteuer, Intrige, Verrat und Gefahr. Kriminalromane sind also dieliterarische Suche nach den Motiven und Absichten der Akteure im Drama um das große Geld,in dem das Verbrechen immer die gleiche Rolle spielt: Es ist eine der Marktkräfte, durch die dieRessourcen verteilt werden.\x09Geld und Verbrechen sind deswegen so anziehend, weil sie die Schnittstelle bilden: vonPolizei, Richtern, Anwälten, Privatdetektiven und anderen Beteiligten desStrafverfolgungsapparats mit jenen, die das Gesetz brechen, um daraus einen Vorteil zuschlagen. Nicht alle Straftäter werden gleich behandelt. Nicht jeder Mörder kommt insGefängnis. Wir im Westen wissen das. Diese Wahrheit ist Bestandteil unserer Geschichte, sieist Teil unserer Literatur. Wir beurteilen unseren Fortschritt daran, wie weit wir das Verbrechenan den Rand der Gesellschaft drängen können.\x09Wenn Sie die Gleichung vom Großen Geld und vom Verbrechen aus dem Westen nachSüdostasien übertragen, ändern sich einige grundlegende Voraussetzungen. Das Recht spielteine untergeordnete Rolle. Einflussreiche Gruppen stehen über dem Gesetz. Der Polizeiapparatist schwächer, weniger entwickelt und bei einer Machtprobe leicht einzuschüchtern. Das lässtsich an vielen Beispielen zeigen. Die Grenzen sind nicht genau definiert und können von derStaatsgewalt kaum kontrolliert werden. So können kriminelle Elemente Waffen, Frauen, Drogenund Naturhölzer schmuggeln. Das Risiko, geschnappt zu werden, ist beinahe null. Die Polizistensind miserabel bezahlt, das führt zu Korruption. Die feudalen Vorstellungen der mächtigenClans und ihrer Führer – »Warlords« – haben nach wie vor einen entscheidenden Einflussdarauf, wer für welches Verbrechen bestraft werden kann. Es gibt keine breite gebildeteMittelschicht. Die Kluft zwischen den Superreichen und der Masse der sehr armen, landlosenBauern ist riesig.\x09Wie gelangen die Superreichen zu ihrem Wohlstand? Wie schützen und bewahren sieihn? Wie verteidigen sie sich gegen die Kräfte, die ihnen den Wohlstand entreißen wollen? Dasist überall die gleiche Frage.\x09In Südostasien allerdings, wo die meisten Reichen ihren Wohlstand mitMonopol-Lizenzen, zwielichtigen Geschäften und illegalen Einkünften aus Glücksspiel, Drogenund Prostitution erworben haben, findet man eine ideale Umgebung, um darin Kriminalliteraturanzusiedeln.Bevor ich 1992 mit meiner Serie um den Privatdetektiv Vincent Calvino begann, hatte nochniemand versucht, eine Krimiserie über Thailand zu schreiben. Schon gar kein Außenseiter.Vielleicht ist deswegen niemand auf die Idee gekommen, weil die Abstufungen in dieserGesellschaft so fein sind, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse bis zur Unkenntlichkeitverschwimmen. Und dann ist da das Problem mit der Sprache – Thai zu lernen ist nicht einfach.Und wie kommt man an die inneren Kreise der Polizei und Justiz heran? Es gab zahlreicheBarrieren, die überwunden werden mussten (und müssen). In diesem Teil der Welt hatKriminalliteratur keine Geschichte. Thailand ist das einzige Land in Südostasien mit einerTradition der freien Meinungsäußerung, die es einem Schriftsteller erst ermöglicht, eine Serieüber das große Geld und das große Verbrechen zu schreiben. Andere, weniger toleranteRegimes hätten das unterbunden, hätten den Stecker aus dem Computer gezogen und den Autoraufgefordert, das Land zu verlassen oder über andere, weniger brisante und bedrohliche Themenzu schreiben. Kriminelle haben Angst davor, bloßgestellt zu werden. In einer Kultur, in der »dasGesicht verlieren« zum Schlimmsten gehört, wandelt jeder Kriminalschriftsteller auf einemschmalen Grat zwischen der Wahrhaftigkeit seiner Geschichte und der Gefahr, dass ihm eineZiegelmauer über dem Kopf einstürzt.\x09Bevor ich vor zwölf Jahren endgültig nach Thailand kam, hatte ich in Vancouver, NewYork und London gelebt. Als ehemaliger Juraprofessor verbrachte ich viel Zeit mitGesetzeshütern in den großen Metropolen. Ich war mit Polizisten des New York City PoliceDepartments in Harlem und Brooklyn unterwegs und hatte ihre Welt aus der Nähe kennengelernt. Freunde in Thailand machten mich mit vielen guten, ehrlichen Thai-Cops bekannt, diegenau wie die Cops überall auf der Welt versuchen, dem Gesetz Geltung zu verschaffen. DieHindernisse, die Polizei und Justiz in dieser für die Entwicklung Thailands sehr wichtigen Phasein den Weg gestellt wurden, boten also einen äußerst interessanten Rahmen für dieCalvino-Romane. Nicht nur der Handlungsaufbau macht einen guten Kriminalroman aus: DerAutor muss auch ein Gespür für den Schauplatz haben.\x09Eine der Hauptfiguren der Calvino-Serie ist Bangkok. Ein geografisches Wirrwarr, mitKanälen in der Farbe ausgelaufener Batterien, mit einem Verkehrschaos, in dem es kein vor undzurück gibt und die Straßen zu Parkplätzen werden, mit Motorrad-Killern, mit den Slums, mitPatpong, Nana Plaza, Soi Cowboy – dem Vergnügungsviertel, das viele Touristen kennen.Während des Booms der Neunzigerjahre wurden tausende neuer Häuser hochgezogen – vieleblieben leer, andere wurden nie fertig. Eine Zehnmillionenstadt. Die gebildete Thai-Mittelklassechinesischer Abstammung in Luxuswagen, die Bauern aus dem Nordosten in Bussen, aufMopeds oder den Hinterbänken der Tuk-Tuks. Bangkok ist ein Ort, an dem die Kulturenaufeinander prallen: städtisch und ländlich, chinesisch und thailändisch, Bergvölker undThailänder, Farang und Thailänder. Die Farangs wiederum spalten sich auf in eigene Clans:Engländer, Deutsche, Franzosen, Italiener, Holländer, Dänen, Finnen und Russen. Viele lebenhier in Thailand schon seit mehr als einer Generation. Sie sind Geschäftsleute, Diplomaten,Journalisten, ehemalige Militärangehörige, Chefs, Hotelbesitzer, Ingenieure, Rechtsanwälte,Banker, Gangster und Ruheständler. Sie kommen einfach nicht von Bangkok los, einer Stadt, diesie trotz all der Nachteile mit einem Sirenenlied voller Verheißungen bezirzt.\x09In den Calvino-Romanen versuche ich, die Mannigfaltigkeit dieser Kulturen zu zeigen,und folge den Figuren bei dem Versuch, ihre Persönlichkeit zu bewahren, während sie langsameine neue Identität als »Farang« entwickeln. Calvinos Gegner ist die Stadt mit denunterschiedlichen kulturellen Erwartungen. Ein sozialer Unterboden, auf dem die Verständigungzersplittert, wobei manchmal eine Blutspur zurückbleibt. Meine Leser erzählen mir oft, dass siesich selbst mit ihren Erwartungen in meinen Romanen wiederfinden. Die besten Kriminalromane– das gilt natürlich auch für andere literarische Gattungen – halten der Welt einen Spiegel vorund machen sie so kenntlicher. Bei Romanen aus unserer westlichen Kultur leitet sich dasGeflecht der zwischenmenschlichen Beziehungen, die Erwartungen der Menschen und ihreTräume von einer gemeinsamen Grundlage her. Arbeitet man jedoch als Romanautor in eineranderen Kultur, kann man das nicht voraussetzen. Die Herausforderung des Calvino-Projektsbestand auch darin, eine Reihe subkultureller Formen als zusammenhängend darzustellen: dieKriminalität, das Leben der Ausländer, die sozialen Klassen, Polizei und Justiz.\x09Letzendlich reflektieren Kriminalromane immer die verschiedenen Aspekte derVerbrechensbekämpfung. Die Vincent-Calvino-Romane zeigen auch, wie sich die Kräfte derStrafverfolgung mit der Zeit entwickelt haben – wie sie den Mut und die Mittel gefunden haben,das Gesetz auch in der Klasse der Unberührbaren anzuwenden, nämlich gegen die Superreichen.Das geschieht allmählich. Es ist eine Fortsetzungsgeschichte. Wir sind erst am Anfang, und einEnde ist nicht abzusehen. Aber: Auch wenn wir den Anfang des Universums betrachten, lernenwir viel über das, was sich bis jetzt alles so entwickelt hat.© Christopher G. Moore, 2000Deutsch von Jan Christian Schmid