Die Schweizerin Agnes Kalmann-Matter (77) kam als junge Frau in die Niederlande, wo sie schon bald das Werk Willem Elsschots kennen lernte. Zusammen mit ihrem Mann Herbert Kalmann machte sie sich daran, Käse ins Deutsche zu übersetzen und es Verlagen anzubieten. Das Buch erschien 1952, wurde jedoch kaum wahrgenommen. Erst die überarbeitete Fassung aus dem Jahre 2004 brachte den Durchbruch: Käse hielt sich wochenlang auf den deutschen Bestsellerlisten. Gerd Busse besuchte Agnes Kalmann-Matter in ihrem Haus in Laren und sprach mit ihr über ihre Arbeit an Käse, das Übersetzen im Allgemeinen und einen Besuch bei Elsschot in Antwerpen.
Als ich an einem Samstag im Oktober 2004 an ihrer Haustür im niederländischen Laren klingelte, wurde mir von einer zierlich wirkenden älteren Dame geöffnet, die mich – in einem unverkennbaren, leicht singenden Schweizer Tonfall – freudig begrüßte. Während meines Besuchs wartete sie mit einer Überraschung auf: einer Mappe mit dem Übersetzungsmanuskript der 1952er »Käse«-Ausgabe sowie Korrespondenz rund um »Käse« – darunter fünf Briefe von Elsschot selbst –, die erstmals eine genaue Rekonstruktion der Geschichte der deutschen Erstausgabe ermöglicht. Noch ein Wort zu Agnes Kalmann-Matter: Sie wurde 1927 im schweizerischen Freienstein geboren und lernte dort 1942 ihren Mann Herbert Kalmann kennen, den es als deutschen Juden – auf dem Umweg über die Niederlande – in die Schweiz verschlagen hatte. Frau Kalmann hat eine Lehrerinnenausbildung absolviert, jedoch nur kurz, bis zu ihrer Übersiedlung in die Niederlande, in diesem Beruf gearbeitet.
Frau Kalmann-Matter, was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Ihre Übersetzung des Elsschot-Klassikers »Käse« in Deutschland plötzlich zu einem Bestseller geworden war?
Ich war sehr erstaunt und natürlich auch sehr erfreut darüber. Aber es hat mich auch amüsiert, dass ich mit etwas Erfolg habe, was fünfzig Jahre zurückliegt. Es wäre schön gewesen, wenn mein Mann das noch erlebt hätte. Er hätte sich sehr darüber gefreut.
Wie sind Sie damals an den Übersetzungsauftrag gekommen? Haben Sie sich beim Verlag oder beim Autor darum bemüht, oder ist der Verlag auf Sie zugekommen?
Weder das eine noch das andere. Ich habe mit meinem Mann zusammen am Anfang rein zum Vergnügen »Käse« übersetzt, weil ich begeistert war von der niederländischen Literatur, die ich als Schweizerin gerade erst kennengelernt hatte. Wir haben Elsschot dann ein paar Seiten geschickt und gleichzeitig verschiedene Verlage kontaktiert, die aber nicht so sehr begeistert waren. Bis sich dann herausstellte, dass der Eugen Diederichs Verlag eine Reihe »Bibliotheca Flandrica« machte. Elsschot hat dann darauf bestanden, dass unsere Übersetzung dort erscheinen sollte.
Wie sind Sie überhaupt an das Übersetzen gekommen?
Mein Mann hat mich in die niederländische Literatur eingeführt, die er sehr liebte. Als ich dann hier in Holland war, hat er mir immer wieder Bücher aus der Bibliothek gebracht – unter anderem auch Elsschot. Und »Käse« gefiel mir besonders gut. Also habe ich es übersetzt.
Haben Sie außer »Käse« noch andere Titel von Elsschot übersetzt und versucht, sie verlegt zu bekommen?
Ich habe weiter sonst nichts übersetzt in meinem Leben.
Das heißt, Sie haben kein anderes Buch mehr übersetzt, sondern nur »Käse«?
Nur »Käse«, ja.
Können Sie sich noch daran erinnern, wie die Arbeit an der Übersetzung verlief?
Mein Mann und ich haben es zusammen angefangen. Mein Mann hatte vorher schon verschiedene Sachen übersetzt. Aber dann sagte er nach kurzer Zeit: »Du kannst das auch allein weitermachen.« Ich glaube, dass es ungefähr ein halbes Jahr gedauert hat, bis die Übersetzung fertig war, denn ich war ja noch mit anderen Sachen beschäftigt. Und ich brauchte mich nicht zu beeilen, ich konnte über jedes Problem lange nachdenken.
Wie ging das mit dem Übersetzen damals? Heute setzt man sich an den Computer, ruft sein digitales Wörterbuch auf, geht für schwierige Fragen online und sucht unter Google nach den fehlenden Begriffen – wie haben Sie das damals gemacht?
Damals gab es keine Hilfe. Man musste einfach nur Geduld haben. Wenn es ein Problem gab, wartete man, bis einem – z. B. auf einem Spaziergang oder beim Wäsche aufhängen – plötzlich ein Einfall kam.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem Verlag Eugen Diederichs?
Wir waren einmal bei Diederichs in Düsseldorf, aber daran habe ich keine besondere Erinnerung mehr. Es war eine geschäftliche Besprechung. »Käse« hatte keinen hohen Stellenwert für ihn.
Hatten Sie während des Übersetzens Kontakt zu Willem Elsschot, etwa um Unklarheiten besprechen zu können?
Ja, wir, mein Mann und ich, waren mal bei Elsschot auf Besuch in Antwerpen. Wir hatten ihm ein paar Seiten Manuskript geschickt, und er schrieb zurück, die Übersetzung scheine ihm richtig und wir könnten ihn jederzeit besuchen, aber nicht unbedingt, um über die Übersetzung zu sprechen. Wir haben dann auch überhaupt nicht über die Übersetzung gesprochen.
Wann fand dieser Besuch statt?
Das war vor dem Erscheinen von »Käse«. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, wir hatten geschrieben, dass wir an einem Sonntag kommen würden, gegen elf. Um elf Uhr haben wir dann bei seinem Haus in Antwerpen angeklingelt, und nach einer langen Zeit hat Elsschots Frau die Tür geöffnet. Sie war nur in ein Badehandtuch gewickelt und sagte, dass sie leider noch nicht so weit seien. Ob wir in einer halben Stunde oder so wieder zurückkommen könnten? Das war also unsere Begegnung mit Frau de Ridder. Als wir dann wiederkamen, wurden wir vom Hausherrn empfangen, und zwar sehr freundlich. Ich erinnere mich noch an das Zimmer, ein langer Raum, voll gestopft mit alten Möbeln und Lampen, aber ziemlich dunkel. Und da saßen wir und plauderten, wie gesagt, nicht über »Käse«, sondern mehr über Allgemeines. Das heißt – doch, er fragte uns, warum wir gerade dieses Buch ausgewählt hätten, und als ich sagte, dass es uns von all seinen Novellen am Besten gefallen hätte, sagte er, dass es auch sein Lieblingsbuch sei.
Bei der aktuellen Überarbeitung Ihrer Übersetzung fiel mir auf, dass eine Reihe von Namen – wie z. B. Hornstra, van der Zijpen oder Bartherotte – anders geschrieben wurden als sie sich im Verzameld Werk von Elsschot finden? Auch fehlen gelegentlich einzelne Worte oder auch mal ganze Sätze in Ihrer Übersetzung. Haben Sie eine andere Fassung des Originaltextes als Vorlage für Ihre Übersetzung benutzt, oder war es ein Wunsch des Autors oder des Verlages, es so zu tun?
Ich denke, dass wir eine andere Ausgabe benutzt haben, die ich aber leider nicht mehr habe. Denn ich glaube nicht, dass ich einen Satz ausgelassen hätte. Ich kann mich auch nicht mehr an das Eingangsgedicht und die »handelnden Personen« und »Elemente« am Anfang der Novelle erinnern, die in unserer damaligen Übersetzung fehlten. Und was die Namen betrifft: Ich sehe keinen Grund, weshalb ich die Namen anders geschrieben haben sollte.
Es ist bekannt, dass Willem Elsschot (sich) selbst versucht hat, zu übersetzen und eine klare Meinung zur Qualität seines übersetzten Werkes hatte. Hat er sich auch einmal zu Ihrer Übersetzung geäußert?
Er hat gesagt, dass er eigentlich nicht übersetzbar sei – aber das denkt so mancher Schriftsteller gern von sich –, aber er hat auch gesagt, dass ihm unsere Übersetzung gefalle. Ich denke aber – und das klingt vielleicht ein bisschen merkwürdig –, ich denke, dass er uns nett fand. Aber ich war ja auch noch ein junges Mädchen, 24 Jahre alt. Mein Mann erzählte hinterher, dass Elsschot mich die ganze Zeit zärtlich angesehen hätte.
Wieneke 't Hoen schreibt in der flämischen Literaturzeitschrift Revolver (31. Jg., H. 2, Sept. 2004), dass sich die 1952er »Käse«-Ausgabe nicht sonderlich gut verkauft habe – sie spricht von ganzen 10 verkauften Exemplaren im Jahre 1955. Woran hat es gelegen?
Ich denke, dass es am Verlag gelegen hat, der überhaupt keine Reklame gemacht hat. Da war überhaupt nichts. Ich glaube, dass es den Verleger persönlich nicht interessiert hat, weil die Bibliotheca Flandrica von der flämischen Regierung finanziert wurde, er also sein Geld ohnehin bekam. Vielleicht hat es aber auch daran gelegen, dass die Deutschen damals, so kurz nach dem Krieg, mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren als die Entdeckung eines unbekannten flämischen Autors. Es ging um den Wiederaufbau und zum Teil ums nackte Überleben. Es könnte sein, dass »Käse« in Deutschland jetzt so ein Erfolg ist, weil viele Deutsche sich darin wiedererkennen, etwa weil sie selbst ein Geschäft angefangen haben, das dann nicht so geklappt hat, wie sie es sich vorgestellt haben. Aber es hat natürlich auch damit zu tun, dass in den Medien heute ganz anders über Literatur berichtet wird.
Hat es vielleicht auch mit am Titel der deutschen Ausgabe (»Kaas«) gelegen, dass das Buch zum Flop wurde?
Ja, das denke ich auch. Wer will in Deutschland schon ein Buch kaufen, das »Kaas« heißt. Aber damals fand man »Käse« einfach zu grob. Für das deutsche Gemüt hielt man das nicht für akzeptabel, »Käse«, das tönte zu vulgär.
Ist die »Käse«-Übersetzung aus dem Jahre 1952 irgendwo einmal besprochen worden?
Es hat, soweit ich weiß, nur eine Rezension gegeben. Was mich damals gewundert hat, und was mich auch heute wundert, wenn ich die Rezensionen zur neuen Ausgabe lese, ist, dass »Käse« hauptsächlich als ein lustiges Buch bezeichnet wird. Damals hieß es beispielsweise, dass »Käse« »zum Totlachen« sei. Ich finde es kein lustiges Buch. Es ist ein tragisches Buch – aber mit Humor geschrieben.
Sie sagten in unserem Vorgespräch, dass Sie die drei Fassungen von »Käse« – also das Original, Ihre Übersetzung und die aktuelle deutsche Ausgabe – miteinander verglichen hätten. Wenn Sie diese aktuelle Ausgabe Ihrerseits noch einmal überarbeiten sollten, würden Sie dann etwas ändern?
Die Überarbeitung hat mir gut gefallen. Ich bin in der deutschen Sprache jetzt nicht mehr so bewandert wie damals, weil ich fast nur noch Niederländisch spreche. Das einzige, was mir nicht gefallen hat, war die Stelle, wo Elsschot – am Ende des dritten Kapitels – über die Mittwochsgesellschaft von van Schoonbeke schreibt: »Met hun beetje centen!« Ich hatte das »Mit ihrem bisschen Geld« übersetzt, und Sie haben daraus »Mit ihren paar Kröten!« gemacht. Das gefällt mir nicht, das finde ich ein bisschen vulgär. Und es ist vielleicht auch ein Modeausdruck – ich kannte den Ausdruck nicht einmal –, und in zehn Jahren sagt man vielleicht was anderes.
Wenn Sie, so wie wir jetzt, auf die Zeit zurückblicken, in der Sie sich mit Elsschot beschäftigt haben, bekommen Sie dann nicht Lust, noch einmal etwas von ihm zu übersetzen?
Ich denke, dass mein Deutsch nicht mehr gut genug ist, um noch einmal etwas zu übersetzen. Ich glaube nicht, dass ich das noch könnte.
Frau Kalmann-Matter, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.