Sie werden Gründe gewusst haben, mich als Redner für diesen Anlass vorzuschlagen. Gerne folgte ich Ihrem Wunsch und ließ mich anstiften, vom Mittelmeer aus die flachen Lehmäcker der Küste, dann die von Brombeergestrüpp, Wildreben und Schilf bedeckte Çukurova, weiter landeinwärts Sümpfe, abermals fettes Ackerland, myrtenduftende Hügel, Hochebenen, deren eine Dikenlidüzü heißt und fünf Dörfer zählt, zu überfliegen, nun schon mit Blick auf das Taurusgebirge und seine Schneegipfel.
Sonst vielgereist, bin ich nie in Anatolien gewesen, und dennoch habe ich mir als Leser von Buch zu Buch Ihr Land angeeignet. Was fremd war, ist mit allen Gerüchen vertraut und bis in die Nöte der landlosen Bauern einsichtig geworden. Wörter können das. Die Literatur hebt Entfernungen auf. Literarische Landnahme bringt uns Menschen nah, die nur auf Papier stehen. Sie macht unwegsame Einöden und schroff ragende Adlerfelsen begehbar. Sie ruft uns, angesichts der Not unterdrückter Bauern, die einst das eigene Land knechtende Leibeigenschaft in Erinnerung. Sie hebt auf Landkarten gezogene, aber auch unser Bewusstsein schneidende Grenzen auf. Die Literatur schlägt die Brücke zum anderen, zum fremdgegangenen Ich. Sie verkuppelt uns. Sie macht uns zu Mittätern. Die Literatur zieht uns in Mitleidenschaft.
Auf diese Weise, also nicht direkt, eher um drei Ecken, sind wir, lieber Yaşar Kemal, miteinander verwandt. Nicht nur, weil Sie als Kurde leidgeprüft der Türkei angehören, wie ich, mütterlicherseits Kaschube, dennoch mit beschwertem Gedächtnis Deutschland verschrieben bin, sondern wohl auch in unserer Neigung, der jeweils erlittenen Verluste mit Wörtern habhaft zu werden. Diese Obsession treibt uns an, der Zeit gegenläufig zu schreiben und jene Geschichten zu erzählen, die nicht als Staatsakten geadelt worden sind, weil sie von Menschen handeln, die nie erhöht saßen und herrschten, denen aber allzeit Herrschaft widerfuhr.
Hinzu kommt, dass unsere Länder zwar, geografisch gesehen, weit voneinander entfernt liegen, sich aber dennoch nahegerückt befinden, weil von bleibender Schuld belastet und weil sich in ihren Gesellschaften weiterhin die Mehrheit hartgesotten im Umgang mit Minderheiten beträgt. Als dieses nun bald zur Neige gehende Jahrhundert noch jung war, wurden in der Türkei Hunderttausende Armenier dem systematischen Völkermord ausgeliefert; die deutschen Verbrechen, verübt in unermesslicher Zahl an Juden und Zigeunern, sind, gleich einem Menetekel, mit dem Ort Auschwitz bezeichnet. Unfähig, mit uns selbst einig zu werden, gingen von unseren Ländern Kriege aus, die unsere Nachbarn in anhaltenden Schrecken versetzten. Wir Deutschen wurden wiederholt geschlagen, schließlich geteilt, worauf wir uns 40 Jahre lang bewaffnet und wie unbelehrbar gegenüberstanden; in der Türkei ist das Volk der Kurden staatlicher Willkür und militärischen Aktionen ausgesetzt, deren Opfer zumeist Frauen und Kinder sind. Rassenwahn und von Überheblichkeit verdeckter Mangel an Toleranz, Kriege und Kriegsfolgen markieren die Geschichte unserer Länder.
Vor diesem Hintergrund, den keine Feierlichkeit zu schönen vermag, wird heute Yaşar Kemal der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zugesprochen. In der Begründung für die Preisvergabe wird, außer dem literarischen Werk, der Autor als »Anwalt der Menschenrechte« gewürdigt. Doch diese Verdienste stehen nicht unvermittelt nebeneinander. Vielmehr ergibt sich das eine aus dem anderen. Nur wer als Leser in das erzählerische Werk Kemals abgetaucht ist, kann begreifen, wie verwurzelt dessen politischer Einspruch in den Nöten, Träumen und Hoffnungen des einfachen Volkes ist. Schon in seiner ersten Erzählung, Anatolischer Reis, wagt sich der Autor in politisch begrenztes Gelände: Thema ist die Abhängigkeit der Bauern vom Großgrundbesitzer, der alles Land und auch die Dörfer unter Wasser setzt, um mit Reisanbau Gewinn zu machen. Wir kennen diese sich unablässig wiederholende Geschichte. Sie lebt in vielen Literaturen auf. Und jedesmal steht Ohnmacht der Herrschaft gegenüber. Und jedesmal bangen die Leser um den Ausgang des ungleichen Kampfes, obgleich sie das bedrückende Ende kennen.
Schon Mitte der Fünfzigerjahre beweist sich Yaşar Kemals auf das nächstliegende Unrecht versessene Sicht als Weitblick, der die Erdkrümmung überwindet: In über dreißig Sprachen wird der Roman Memed mein Falke übersetzt, nicht nur, weil hier die unverwüstliche Robin-Hood-Geschichte aufs Neue und wie eine taufrische Begebenheit erzählt wird, sondern wohl auch, weil es dem Erzähler gelingt, den Leser in eine Region zu entführen, deren Noten, so aufgeblättert, ihm erinnerlich, bald vertraut, seine ureigensten sind: Denn ohne in Thesen zu erstarren oder dem sozial anklagenden Pathos Raum zu geben, wird aus dem Gefälle herrschaftlicher Willkür erzählend Nachweis geführt, weshalb ein schmächtiger Hirtenjunge, dann Ackerknecht, der mit Schlägen entlohnt, gedemütigt, schließlich um seine Liebste, die ihm seit Kindertagen anhängt, gebracht werden soll, zur Waffe greift, in die Berge flüchtet, gefürchteter Bandit und als Rächer der armen, um ihren letzten Acker geprellten Bauern zur Legende wird.
Doch diese Heldenfigur ist kein Abziehbild aus dem Album trivialer Räuberromantik. Kein »positiver Held« belehrt uns. Dieser weder muskelstarke noch schießwütige Bursche, der geduldig den kleinen Acker seiner Mutter bestellt, den wir durch endlose Graudistelfelder laufen sehen, den die Angst jagt, wird, sobald er sein Recht eigenhändig sucht, wie zwangsläufig schuldig. Er schließt sich einer Bande von Straßenräubern an, duldet, dass Nomaden, die ihn einst gastfreundlich aufgenommen hatten, ausgeplündert werden, wird schließlich, als er glaubt, den Peiniger und Mörder seiner Mutter, den gnadenlosen Herrscher über fünf geknechtete Dörfer, gefunden zu haben, zum Brandstifter, der gleichfalls geknechtete Bauern ins Unglück stürzt, indem er, wenn auch ungewollt, deren Hütten und Ställe niederbrennt. Eine zwiespältige Gestalt, die die Armen hoffen lässt und dennoch Schrecken verbreitet. Ein Held wider den Terror des Unrechts, in dem sich die Ursachen und die Wirkung des gegenwärtig mörderischen Terrorismus spiegeln.
Yaşar Kemals Bücher agitieren nicht. Er, der Sozialist aus Erfahrung, weiß, dass das Unrecht zwar unübersehbar ist, auch wenn es trickreich immer neue Gestalt annimmt, doch zugleich unausrottbar zu sein scheint, weil selbst der Kampf gegen das Unrecht wiederum Rechtlosigkeit in die Welt setzt. Dennoch schreibt er gegen dieses Gefälle an. Seine Helden und Antihelden sind in Tretmühlen tätig. Ihre wie greifbare Tatsächlichkeit wird so gut wie nie mittels intellektueller Reflexionen relativiert; vielmehr sind es Legenden oder besser, ist es der Prozess der Legendenbildung, der sie übergroß, unsterblich macht. Gerüchte, halblaut Weitergesagtes, Hoffnungen, die sich von Halbsätzen nähren, befördern diesen Prozess. In immerfort wechselnder Besetzung wird ein Kollektiv, gebildet aus Stimmen, tätig.
Mehr noch als in dem frühen Roman Memed mein Falke, begegnen uns diese gedoppelten, gar vervielfältigten Helden in einem 1978 erschienenen epischen Werk, das übersetzt unter dem Titel Zorn des Meeres vorliegt und nicht mehr in der anatolischen Çukurova und im Taurusgebirge seine Schauplätze sucht, sondern ins Chaos der Großstadt, nach Istanbul, führt. Wieder sind es Einzelgänger, die das schlingernde Gefälle der Handlung bestimmen. Der eine, Selim der Fischer, ist kaukasisch-tscherkessischer Herkunft und erleidet das aus bloßer Profitgier organisierte Abschlachten der Delfine im Marmarameer wie den Beginn des Weltuntergangs, der andere, Zeynel, ist Lase – seine Vorfahren stammen von der Schwarzmeerküste – und eröffnet den Roman wie einen klassischen Krimi mit einem Mord, fortan ist er ein von der Polizei und den eigenen Ängsten Gehetzter, der den Leser in die finstersten Zufluchten der Großstadt versetzt.
Die Großstadt am Bosporus ist der Schauplatz dieses Verwirrspiels und das davorgelagerte Meer. Yaşar Kemal gelingt es, mit Bildern, die sich hetzen, übersteigern und löschen, um abermals als bebilderter Vorhof der Hölle zu entstehen, Istanbul als Drehscheibe aller Schrecknisse und zugleich als Freistatt der Literatur zu beschwören: »Mit Istanbul erwachte auch das verdreckte, schreckliche Goldene Horn, dieser unter Abfällen und dem Gewicht der Kadaver von Katzen, Hunden, Ratten und Möwen erstarrte Fluss, der keine Welle schlägt, in dessen Schlamm sich fahl das Licht der Sonne, der Neonröhren und Scheinwerfer spiegelt, auf dem sich Astwerk, Obstschalen und am Gemüsemarkt eingekippte Unmengen vergammelter Tomaten, Auberginen, Apfelsinen, Melonen, vermischt mit Industrieabwässern und Fetten, zu einer zähen, stinkenden Schicht verklebt haben, einer Schicht über einem Sumpf, so übelriechend wie kein zweiter auf dieser Welt.« Dieses Zitat mag für viele andere stehen.
Vom Zentrum treibt es den Flüchtenden in die Vororte. Hier findet er Unterschlupf, dort wird ihm Zuflucht verweigert. Und allgegenwärtig ist die Polizei. Deutlich wie an keiner anderen Stelle des Romans bildet Yaşar Kemal sie als Vertreter der Gegenmacht ab: sie warteten auf Zeynel, obwohl sie fest damit rechneten, dass er nicht zurückkommen würde. Alle drei waren vom Lande. Alle drei reinen Bluts und edler Rasse, hatte man ihnen weisgemacht und sie eben wegen dieser Eigenschaften in die Polizei übernommen. Und nachdem sie schließlich selbst an ihre ganz besondere Eigenheit glaubten, erklärten sie jeden, der nicht so geartet war wie sie, ob Tscherkesse, Kurde, Lase, gar Jude, Grieche oder Armenier, zum Feind. Und so wetzten sie für Zeynel auch schon das Messer, denn Zeynel war Lase.
Bekämen sie ihn nur erst in die Finger, würden sie diesem Lasen schon die Haut abziehen und das Maul mit Blei vollpumpen! Sie sprachen auch nicht mit den Fischern in der Gaststube, betrachteten sie von oben herab, hockten in einer Ecke und tuschelten, wie sie eines Tages die Sozialisten abschlachten und das edle Blut der Türkei reinigen würden. Sie seien schließlich sehr stark. Allein bei der Polizei gebe es 20 000 reinblütige, edelrassige Feinde der Kurden, Lasen, Tscherkessen, Nomaden und Juden, 20 000 jagende Adler. Die minderwertigen Nomaden, Kurden, Tscherkessen, Juden und Einwanderer aus Griechenland seien der Ruin dieses Landes. Der Führer brauche nur den Befehl zu geben.
Sie hätten säuberlich Buch geführt, die Führer: Die Grauen Wölfe würden drei Millionen töten, fünf Millionen verbannen und aus Mittelasien die echten Türken, besonders die reinblütigen Kirgisen, unsere Väter, ins Land holen, und die Türkei wäre mit einem Schlag gerettet.
Wie sonst nirgendwo im Roman Zorn des Meeres räumt Yaşar Kemal hier, im Kaffeehaus, dem großsprecherischen Hass Redefreiheit ein. Zwar ist von reinrassischen Türken und minderwertigen Kurden, Lasen, Juden, Tscherkessen die Rede, doch kommt es dem Leser vor, als spreche sich ein international besetzter, also auch deutschsprachiger Stammtisch so hemmungslos aus. Nicht nur Polizisten reden derart faschistisch freiweg; war es nicht ein deutscher Politiker von Rang, der vor einiger Zeit vor der »Durchrassung des deutschen Volkes« gewarnt hat? Spricht nicht der in Deutschland latente Fremdenhass, bürokratisch verklausuliert, aus der Abschiebepraxis des gegenwärtigen Innenministers, dessen Härte bei rechtsradikalen Schlägerkolonnen ihr Echo findet? Über viertausend Flüchtlinge, aus der Türkei, Algerien, Nigeria, denen nichts Kriminelles nachgewiesen werden kann, sitzen in Abschiebelagern hinter Schloss und Riegel, Schüblinge werden sie auf neudeutsch genannt. Es ist wohl so, dass wir alle untätige Zeugen einer abermaligen, diesmal demokratisch abgesicherten Barbarei sind.
In Yaşar Kemals Büchern ist die Darstellung des Rassenwahns als Ausdruck offizieller Regierungspolitik kenntlich. Deshalb ist der Autor den Herrschenden lästig. Deshalb zerren sie ihn immer wieder vor Gericht. Deshalb musste er Gefängnis und Folter erleiden. Deshalb und um rechtsradikalen Anschlägen zu entgehen suchte er im Ausland einige Jahre lang Zuflucht. Doch er kehrte nach Istanbul zurück und wird dort, wo er in seine Sprache und deren Legenden gebettet ist, weiterhin der herrschenden Regierung lästig bleiben.
Ein Schriftsteller jenseits des Elfenbeinturms. Jemand, der sich nicht als seiner Gesellschaft enthoben begreift. Deshalb wird er belangt. Deshalb ein Leben lang in Opposition. Schon früh lernt er, verurteilt als marxistischer Sozialist, türkische Gefängnisse kennen. Später nennt er sie die Schule der türkischen Literatur. Der Lyriker Nâzim Hikmet konnte, verurteilt als Kommunist, das Gefängnis nur mit dem Exil tauschen. Der Satiriker Aziz Nesin war in seinem politischen Engagement freundschaftlich Yaşar Kemal verbunden. Diese drei Namen bürgen für die andere Türkei, für ein Land, in dem die Völker gleichberechtigt miteinander leben, für ein Land, in dem das Verlangen nach Frieden den Wunsch nach sozial gerechtem Ausgleich einschließt. Alle drei haben die Literatur türkischer Sprache der Welt bekannt gemacht. Unbeirrt von den im Westen und insbesondere in Deutschland so beliebten Polemiken gegen eine die sozialen Wirklichkeiten entschleiernde Literatur, also dem Zeitgeist und seinen Moden zuwider, hat Yaşar Kemal Buch nach Buch geschrieben, hat mit Der Wind aus der Ebene, dem Unsterblichkeitskraut, hat mit Eisenerde, Kupferhimmel und dem Lied der Tausend Stiere das Gewebe seiner anatolischen Sage verdichtet und uns sein Land bis in entlegenste Regionen hinein erschlossen. Was dumpfe und zwanghaft ängstliche Politik zu verhindern sucht, ist dem Schriftsteller gelungen: erzählend, dem Mythos die Realität und der Realität das mythische Unterfutter nachweisend, hat er den Leser über Grenzen geführt, ihm die Fremde zugänglich gemacht. Nun, nach langer Lesereise zurück, liegt es an uns, dem Autor zu danken, das heißt, die Zwänge der ab- und ausgrenzenden Politik zu überwinden, mehr noch, eine Politik zu fordern, die den Millionen Türken und Kurden in unserem Land endlich staatsbürgerliche Rechte gewährt.
Ob jahrelang in Berlin oder neuerdings in Lübeck, wo immer ich lebte und also schrieb, gehörten Türken zum Straßenbild, waren und sind türkische Kinder Mitschüler meiner Kinder und Enkelkinder. Und immer war mir gewiss, dass diese täglichen Berührungen mit einer anderen Lebensart nur fruchtbar sein können, denn keine Kultur kann auf Dauer von eigener Substanz leben. Als im 17. und 18. Jahrhundert französische Hugenotten nach Deutschland und mit Vorzug in Brandenburg einwanderten, belebten diese Emigranten zusehends die Wirtschaft, den Handel und nicht zuletzt die deutschsprachige Literatur; wie dürftig wäre uns das 19. Jahrhundert überliefert, gäbe es nicht Theodor Fontanes Romane. Ähnliches lässt sich schon heute vom bereichernden Einfluss der über sechs Millionen Ausländer sagen, wenngleich ihnen, im Gegensatz zu den Hugenotten, denen ein Toleranzedikt bürgerliche Rechte zusprach, nach wie vor ausgrenzende, in der Tendenz fremdenfeindliche Politik hinderlich bleibt; der Ruf »Ausländer raus« steht nicht nur auf Wände geschmiert.
Doch vielleicht kann der Friedenspreis einen Anstoß, nein, mehrere Anstöße geben. Das wäre im Sinn des Preisträgers Yaşar Kemal, dessen Kritik sich ja nicht nur an den inneren Zuständen seines Landes reibt. In einem vor wenigen Jahren im Spiegel veröffentlichten Artikel hat er die Verfolgung der Kurden in seinem Land beklagt und zugleich die westlichen Demokratien an ihre Mitverantwortung erinnert: »An der Schwelle zum 21. Jahrhundert kann man keinem Volk, keiner ethnischen Volksgruppe die Menschenrechte verwehren. Dazu fehlt jedem Staat die Macht. Schließlich war es die Kraft der Menschen, welche die Amerikaner aus Vietnam, die Sowjets aus Afghanistan verjagte und das Wunder von Südafrika vollbrachte. Die Türkische Republik darf durch die Fortsetzung dieses Kriegs nicht als fluchbeladenes Land ins 21. Jahrhundert eintreten. Das Gewissen der Menschheit wird den Völkern der Türkei helfen, diesen unmenschlichen Krieg zu beenden. Besonders die Völker der Länder, die dem türkischen Staat Waffen verkaufen, müssen dazu beitragen.«
Dieser Appell ist auch an die deutsche Adresse gerichtet. Wer immer hier, versammelt in der Paulskirche, die Interessen der Regierung Kohl/Kinkel vertritt, weiß, dass die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik duldet. Nach 1990, als uns die Gunst der Stunde die Möglichkeiten einer deutschen Einigung eröffnete, sind sogar Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus den Beständen der DDR in dieses kriegführende Land geliefert worden. Wir wurden und sind Mittäter. Wir duldeten ein so schnelles wie schmutziges Geschäft. Ich schäme mich meines Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zulässt und zudem den verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert.
Ein Friedenspreis wird vergeben. Wenn diese einen Schriftsteller von Rang ehrende Auszeichnung einen solchen Namen zu Recht trägt, wenn der Ort dieser Feier, die Paulskirche, nicht bloß Kulisse sein soll, wenn Literatur, wie die von mir gepriesene, noch einen Anstoß geben kann, dann sind alle hier heute versammelten Autoren, Verleger, Buchhändler, ein jeder, der sich politischer Verantwortung bewusst ist, ermahnt und aufgerufen, Yaşar Kemals Appell zu folgen, ihn weiterzutragen und mit ihm dafür zu sorgen, dass in seinem Land endlich die Menschenrechte geachtet werden, keine Waffengewalt mehr wütet, sondern bis in die letzten Dörfer Frieden einkehrt.
© Günter Grass, 1997.