Ich will meine Worte mit einem Dankesgruß an Deutschland beginnen, das Land, in dem Johannes Gutenberg die Buchdruckkunst erfunden hat. Ohne diese großartige Leistung würden wir das Buch nicht kennen, würden wir uns nicht heute um das Buch scharen.
Es heißt, dass das Buch wegen der modernen Kommunikationsmittel in unserem Leben bald nicht mehr existieren wird. Das elektronische Buch soll die Quelle allen Wissens werden. Aber in Wahrheit ist es doch so, dass das Buch, das der Leser in den Händen hält oder das neben seinem Bett liegt, nicht durch das stundenlange Hocken vor dem Bildschirm ersetzt werden kann.
Selbst wenn sich die Zeit des gedruckten Buchs zum Ende neigen sollte, kann niemand leugnen, dass uns mit der Erfindung der Druckmaschine ein großartiges Geschenk gemacht wurde. Die Maschine, die Johann Gutenberg im Jahr 1450 erfand, blieb 500 Jahre lang bis ins 20. Jahrhundert die maßgebliche Technik für den Buchdruck, und zwar ohne einschneidende Veränderungen zu erfahren.
Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Grund, um Deutschland einen Dankesgruß zu übermitteln. Zu danken ist für die Wahl, die die Frankfurter Buchmesse getroffen hat, nämlich in diesem Jahr zum ersten Mal die arabische Welt des Buchs als Ehrengast zu präsentieren. Die arabische Welt besitzt eine jahrhundertealte Kultur und Zivilisation. Da mag es einem seltsam vorkommen, dass diese Wahl nicht schon früher einmal getroffen wurde, vor allem deshalb, weil die arabische Welt und Deutschland einander seit Jahrhunderten verbunden sind. In Deutschland hat sich eine große Anzahl von Autoren um die arabische Welt verdient gemacht, und arabische Geistesschaffende haben sich vornehmlich für Deutschland und seine Kultur interessiert. Viele unserer Schriftsteller sind von den Größen der deutschen Literatur und Philosophie geprägt worden, von Goethe, Thomas Mann, Nietzsche, Schopenhauer, um nur einige herausragende Persönlichkeiten zu nennen.
Musste es tatsächlich erst zu dieser bedauerlichen Konfrontation des Okzidents mit dem arabisch-islamischen Orient kommen, damit wir uns bewusst werden, wie wichtig es ist, unsere Beziehungen weiter zu pflegen? Musste sich der Okzident erst in seiner Sicherheit vom Orient bedroht fühlen, um sich erneut der Wiederentdeckung der islamischen Zivilisation und arabischen Kultur zuzuwenden? Mussten die Araber erst das Gefühl haben, dass die westlichen Medien tagtäglich ein verzerrtes Bild von ihnen geben, um sich dazu durchzuringen, sich höchst persönlich darzustellen?
Was auch immer geschehen sein mag, wir haben mit dieser Begegnung eine Etappe in unserer Geschichte erreicht, aus der wir im Interesse beider Seiten den größtmöglichen Nutzen ziehen müssen. Lassen Sie mich in diesem Sinne eine Antwort auf die Frage geben, die sich bestimmt viele Menschen stellen, die die Frankfurter Buchmesse besuchen: Worin besteht die arabische Kultur, und was sind ihre Quellen?
Die zeitgenössische arabische Kultur speist sich aus drei Quellen. Da sind zum Ersten die alten Zivilisationen, die die arabische Region erfahren hat, insbesondere das alte Ägypten und die Kultur des Zweistromlands im Irak, aber natürlich auch die Kultur, die sich im Jemen entwickelt hat sowie die der Assyrer und Akkader und vieler anderer.
Gemessen an anderen Kulturen der alten Welt ist die alte ägyptische Kultur am stärksten von einer humanistischen Grundhaltung geprägt. Das menschliche Leben war ihr heilig, und deshalb gab es auch, im Unterschied zu anderen Zivilisationen, weder Sklaverei noch Rituale, bei denen Menschen geopfert wurden. Die Liebe zum Leben, der Grad der Verehrung des Lebens, ging so weit, dass das Bild des jenseitigen Lebens von dem des irdischen Lebens geprägt war. Wer die Wandmalereien in den alten ägyptischen Grabstätten aufmerksam betrachtet, wird auf der Stelle begreifen, dass es sich hier um eine Kultur handelt, die nicht etwa den Tod, wie manch ein flüchtiger Besucher meint, sondern das Leben als höchstes Gut verehrt. Diese Wandmalereien stellen all jene Dinge dar, die mit dem Toten in die andere Welt überführt werden sollen. Es sind irdische Vergnügungen, die köstlichsten Früchte, die schönsten Tänzerinnen und die feinsten Musikinstrumente zu sehen.
Wenn wir heute Deutschland dafür danken, dass es im 15. Jahrhundert nach Christus den Buchdruck erfunden hat, wollen wir daran erinnern, dass es die Zivilisation im Zweistromland war, die als Erste das Alphabet einführte, und zwar Jahrtausende vor Christi Geburt. Es ist äußerst bedauerlich, dass nun diese Region die Bühne für eine blutige Konfrontation zwischen Orient und Okzident ist. Unsere jetzige Begegnung trägt ganz gewiss zur Linderung dieser Konfrontation bei.
Die zweite Quelle, die die Kultur der arabischen Welt speist, ist der Islam, jene Religion, die über ein gewaltiges Maß an Toleranz verfügt. Mit dieser Religion schenkte Gott den arabischen Völkern eine Satzung von Werten, die unsere gegenwärtige Identität prägen und zu denen die Freiheit gehört. Die Formulierung »Es gibt keinen Gott außer Gott«, auf die sich das islamische Glaubensbekenntnis gründet, meint nichts anderes, als dass Gott der alleinige Herrscher ist, sich also der Mensch über den Menschen nicht als Herrscher erheben darf. Zu diesen Werten gehört auch die Gleichberechtigung, denn alle Gläubigen, seien sie nun weiß oder schwarz oder gelb, gehören der islamischen Gemeinschaft an, und zwar unabhängig davon, welcher Herkunft sie sind. Ein weiterer Wert ist die Toleranz, dank derer das islamische Reich ein Klima schuf, in dem sich christliche und jüdische Gelehrte und Philosophen nicht nur wohl gefühlt haben, sondern auch hohe Ämter einnahmen, wie zum Beispiel in Andalusien den Posten des Ministerpräsidenten.
Noch ein Wert muss genannt werden – die Gerechtigkeit, die ein Grundprinzip darstellt. Es gibt zahlreiche historische Überlieferungen, die davon berichten, dass Herrscher selbst zum Schaden der Menschen, die ihnen am nächsten standen, ein gerechtes Urteil fällten.
Die dritte Quelle unserer arabischen Zivilisation ist die westliche Zivilisation, die heutzutage sogar als einer der wesentlichsten Faktoren unsere Gegenwart beeinflusst. Das betrifft nicht nur die Politik oder die Wissenschaft, sondern auch Literatur und Kunst. Ein Ergebnis dieses Reichtums besteht darin, dass die arabische Welt hier und da berühmte Persönlichkeiten hervorbringt, auch wenn diese Region zu den Entwicklungsländern gehört und mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Viele arabische Menschen sind auf den unterschiedlichsten Gebieten zu internationaler Anerkennung gelangt, angefangen bei Literatur, Film und den andern Künsten bis hin zu Medizin, Mathematik und Astronomie. Manche durften sogar höchste internationale Auszeichnungen entgegennehmen.
Es zeigt sich also, dass dieser Andere, der Araber, dessen Wirklichkeit man bei dieser Begegnung erkunden will, kein ganz Fremder ist. Möglicherweise gibt es zwischen seiner und eurer Kultur Unterschiede, aber er steht, wie ihr, für humanistische Werte und erhabene Grundsätze ein. Das ist nicht verwunderlich, denn so wie die westliche Zivilisation heute unsere arabische Zivilisation beeinflusst, hat die arabische Zivilisation in der Vergangenheit die westliche Zivilisation beeinflusst. Die menschheitliche Zivilisation ist zahlreich an Kulturen, aber letztendlich ist sie ein großes Ganzes, das nicht teilbar ist.