Willem Elsschot (1882–1960) war kein Freund vieler – und schon gar nicht großer – Worte. Seine Romane zeichnen sich durch ihre Kürze und ihre nüchterne, ungekünstelte Sprache aus. Er war auch kein Vielschreiber, sodass seine Gesammelten Werke aus dem Jahre 1957 in einem einzigen, 750 Seiten starken Band Platz fanden und somit bequem in das kulturelle Gepäck eines jeden gebildeten Flamen oder Niederländers passten, aus dem sie seither auch regelmäßig hervorgeholt werden. Denn Willem Elsschot zählt zu den ganz Großen der niederländischsprachigen Literatur, dessen Romane viel gelesen und gern zitiert werden. »Kaum ein niederländischer Schriftsteller hat so wenig geschrieben wie Willem Elsschot, doch kein niederländischer Schriftsteller hat so viele Meisterwerke hervorgebracht wie er«, schrieb etwa der Journalist und Literaturkritiker Guus Luijters vor ein paar Jahren in der niederländischen Tageszeitung Het Parool. Elsschots Romane gehören »zum Besten, was in unserer Sprache geschrieben worden ist« und seien darüber hinaus »keinerlei Verschleiß unterworfen«.
Dies alles gilt auch, und vielleicht sogar in besonderem Maße, für den 1933 erschienenen Roman Käse (im Original: Kaas), den Elsschot – nach zehnjährigem Schweigen – innerhalb von nur zwei Wochen niedergeschrieben und später einmal als seine beste Arbeit bezeichnet hat. Käse erzählt die Geschichte eines kleinen Mannes mit großen Plänen. Frans Laarmans ist Büroangestellter auf einer Antwerpener Schiffswerft, der über den zufälligen Kontakt zu dem alten Advokaten van Schoonbeke Zugang zu den etwas halbseidenen Kreisen der örtlichen Geschäftswelt findet. Auf Vermittlung van Schoonbekes erhält Laarmans die Generalvertretung eines Amsterdamer Käsehändlers für Belgien und das Großherzogtum Luxemburg. Für den kleinen Büroangestellten geht damit ein Traum in Erfüllung: nie mehr buckeln vor dem Chef, stattdessen ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit, als erfolgreicher Geschäftsmann, der sogar noch die Urlaubsreise auf dem Spesenkonto seines Auftraggebers antreten kann.
Doch es gibt da noch ein paar kleinere Probleme. Da ist zunächst einmal das Produkt, das er vertreiben soll: vollfetter Edamer Käse. Nicht nur, dass Laarmans über keinerlei Erfahrung mit dem Verkauf dieses Milchprodukts verfügt (um ehrlich zu sein, hat er bisher überhaupt keine Erfahrung im Verkauf) – Käse in jedweder Form widert ihn an, wie er etwa beim Blick in das Schaufenster eines Käseladens feststellen muss: »Gruyères, riesig wie Mühlsteine, dienten als Fundament, und darauf lagen Chesters, Goudas, Edamer und zahlreiche Käsesorten, die mir vollkommen unbekannt waren, ein paar der größten mit aufgerissenem Bauch und freiliegenden Eingeweiden. Die Roqueforts und Gorgonzolas prunkten liederlich mit ihrem grünen Schimmel, und eine Schwadron Camemberts ließ ihrem Eiter freien Lauf.«
Ein anderes Problem ist sein Büro. Ein echter Geschäftsmann muss schließlich ein Büro haben. »Es muss für Briefpapier gesorgt werden, für einen Diplomatenschreibtisch, eine Schreibmaschine, eine Telegrammadresse, für Briefordner und einen Haufen anderer Dinge, sodass ich schrecklich viel zu tun habe. […] Das Telefon muss klingeln, die Schreibmaschine klappern, die Ordner müssen auf- und zuklappen. Und ich sitze mittendrin, denn ich bin das Gehirn.«
Doch wer soll den Käse verkaufen, wenn er in der Schaltzentrale sitzen muss? Laarmans hat eine Idee: Sein Käse muss »durch einen Trupp wackerer Agenten an den Mann gebracht werden. Burschen, die bis zum kleinsten Laden vordringen, die gut reden können und jede Woche, oder sogar zweimal die Woche, ihre Bestellungen abliefern. […] Und selbst komme ich mit dem Käse gar nicht in Berührung.«
Also setzt er eine Anzeige in die Zeitung – und erlebt einen wahren Ansturm von Bewerbern. Doch beim Anblick der Kandidaten kommen ihm Zweifel: »Verfasser prachtvoller Briefe entpuppten sich manchmal als richtige Wracks und umgekehrt. […] Sie redeten von reichen Familien und früheren Ministern, die sie kannten. Es war ein eigenartiges Gefühl, dazusitzen als der Mann, der mit einem einzigen Wort so einen frohlockenden Kerl in ein nichts verwandeln konnte. Einer gestand offenherzig, dass er Hunger habe und mit einem Käse zufrieden wäre, auch ohne Agentur. Das berührte mich derart, dass ich ihm einen Edamer gab. Nachher erfuhr ich, dass er im Weggehen bei meiner Frau auch noch ein Paar von meinen alten Schuhen loseiste.«
Man ahnt es: Seine »Agenten« lassen ihn samt und sonders sitzen, und dem gänzlich unerfahrenen Laarmans selbst will es ebenfalls nicht recht gelingen, seinen Käse an den Mann zu bringen. Schließlich muss er einsehen, dass er mit seinen hochfliegenden Plänen auf ganzer Linie gescheitert ist, und beschließt, den »KäsetraumIch gehe auf sie zu und schließe sie in die Arme. Und als meine ersten Tränen auf ihr verwittertes Gesicht fallen, sehe ich, dass sie mir entgegenweint.«
Auch siebzig Jahre nach seinem Erscheinen hat Käse kaum etwas von seiner Frische und Aktualität eingebüßt – oder vielleicht sind es gerade die heutigen Zeiten, die den Roman wieder aktuell machen. Er spielt in den Jahren einer tiefen Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit, wie sich etwa in den Bewerbungsschreiben widerspiegelt, die Laarmans auf sein Stellenangebot für die Übernahme von Agenturen hin erhält: »Es sind Leute darunter, die ihre ganze Lebensgeschichte erzählen, von Kindesbeinen an. Viele beginnen damit, dass sie den Weltkrieg als Soldat mitgemacht haben und sieben Ehrenzeichen tragen. […] Andere sprechen von ihrer großen Familie und dem Elend, das sie durchgemacht haben, und appellieren an mein mitleidiges Herz. Beim Lesen einiger Briefe sind mir die Tränen in die Augen gestiegen. Die werde ich an einem speziellen Ort bewahren, denn ich will nicht, dass sie meinen Kindern unter die Augen kommen, sonst liegen sie mir in den Ohren, bis ich diesen Leuten den Zuschlag erteile.«
Hinsichtlich seiner eigenen beruflichen Möglichkeiten als Büroangestellter in solchen Zeiten gibt sich Laarmans ebenfalls keinen Illusionen hin: »Büroschreiber sind im Allgemeinen wenig spezialisiert und ähneln sich so sehr, dass sogar ein Mann mit langjähriger Erfahrung bei der erstbesten Gelegenheit einen Tritt in seinen fünfzigjährigen treuen Hintern kriegt und durch einen andern ersetzt wird, der genauso gut und billiger ist. Da ich das weiß und Kinder habe, vermeide ich es sorgfältig, mit Unbekannten in Streit zu geraten, denn es können Freunde meines Chefs sein. Ich lasse mich also in der Straßenbahn herumschubsen und reagiere nicht allzu heftig, wenn mir jemand auf die Zehen tritt.«
Das alles klingt irgendwie vertraut. Damals wie heute lautet das Zauberwort: berufliche Selbständigkeit. In dem aufmunternden »Käse geht immer«, das Frans Laarmans aus seiner Umgebung entgegenschallt, meint man, das unbeschwerte »Gründen Sie doch eine Ich-AG!« des modernen Arbeitsamtsberaters zu hören, und im grandiosen Scheitern des Laarmans'schen Traums vom vom großen Gllück ahnt man, dass wohl auch den meisten der heutigen »Ich-AGs« ein ähnliches Schicksal beschieden sein wird.
Der Dichter Jan Greshoff – der den Autor zum Schreiben von Käse animierte und dem dieser seinen Roman mit einem Eingangsgedicht gewidmet hat – bemerkte einmal über seinen Freund Elsschot, dass es ihm immer wieder gelinge, das Kleine »groß zu erfahreneinfachen Leute«, Kleinbürger, die davon träumen, sich ein kleines Stück vom großen Kuchen abzuschneiden. Die dilettantischen Versuche, mit denen sich Elsschots Helden nach oben stümpern, haben ob ihrer Skurrilität oft etwas ungemein Erheiterndes, doch der Autor versteht es zugleich, dass einem das Lachen im nächsten Augenblick im Halse stecken bleibt und man von der tiefen existenziellen Tragik seiner Figuren ergriffen wird. So auch im Showdown zu Käse: Nachdem ihm der missratene Sohn eines Mitglieds der Mittwochs-Gesellschaft von van Schoonbeke ein krummes Geschäft vorgeschlagen hat – der Sprössling möchte den eigenen Vater über eine Scheinbeteiligung an der Käsefirma um »zweihunderttausend Mäuse« erleichtern –, beschließt Laarmans angewiedert, dem »Käseelend« ein Ende zu bereiten. Er schleicht sich in den Keller, zählt die noch verbliebenen Edamer nach und nagelt die Kiste zu. »Ich hämmerte so behutsam wie möglich, um meine Frau oben nicht zu erschrecken. Sie könnte sonst glauben, dass ich mich erhänge.«
Willem Elsschot wird oft ein zynischer Stil bescheinigt. Zitate wie diese zeigen jedoch, dass sein Zynismus sich nicht auf eine Misanthropie gründet, die ihre Belustigung auf Kosten der, oft naiven und halbgebildeten, Protagonisten sucht. Vielmehr sind die Charakterschilderugnen Elsschots trotz ihrer beißenden Kritik von einer tiefen Sympathie für seine Helden getragen, und vielleicht ist es gerade das, was beim Leser jenes Wechselbad der Gefühle auslöst.
Elsschot hat in seinem Werk immer wieder autobiografische Erlebnisse verarbeitet – in Käse etwa seine Zeit als Angestellter auf einer Schiffswerft, aber auch die Erfahrungen, die er als Eigentümer einer Werbeagentur gemacht hatte. Paul Vincent, Übersetzer der englischen Ausgabe von Käse, erinnert in seinem Vorwort daran, dass der stinkende Käse, den Laarmans unters Volk zu bringen versucht, für Elsschot selbst sogar eine Metapher für das abscheuliche Reklamegeschäft gewesen sei, in dem er jahrelang tätig war.
Willem Elsschot wurde am 7. Mai 1882 als Alfons de Ridder im belgischen Antwerpen geboren; sein Pseudonym entlehnte er dem gleichnamigen Landstrich nordöstlich von Brüssel. Er besuchte das Gymnasium in Antwerpen, wurde jedoch mit sechzehn Jahren wegen schlechter Führung von der Schule verwiesen und schlug sich danach ein paar Jahre als Laufbursche bei verschiedenen Handelsfirmen durch. Bereits während seiner Schulzeit hatte er sich für Literatur und für die nationalistische Vlaamse Beweging, die »Bewegung für Flandern«, zu interessieren begonnen. Zusammen mit einigen Freunden gründete er einen literarischen Zirkel. In der Zeitschrift Alvoorder, deren Redaktion er ab 1900 angehörte, debütierte Elsschot mit ersten Gedichten. Auf Druck seines Bruders schrieb er sich 1901 an der Antwerpener Handelshochschule ein und machte drei Jahre später seinen Abschluss in den »Handels-, Konsular- und Kolonialwissenschaften«. Er nahm aktiv am Studentenleben teil und komponierte verschiedene Studentenlieder.
Nach seinem Studium war er in unterschiedlichen kaufmännischen Funktionen tätig, unter anderem bei der Société Coloniale Anversoise und der Banque de Crédit Commercial. 1906 zog er nach Paris, um als Sekretär bei einem argentinischen Geschäftsmann zu arbeiten, der für seine Regierung im Ausland tätig war. »Sein Chef erschien nur selten im Büro, der hatte etwa ein Dutzend Pariser Maitressen, die er zu betreuen hatte. Seine Angestellten ließ er äußerst komplizierte Rechnungen aufmachen, laut denen jener südamerikanischen Regierung außer pompösen Reise- und Spesenrechnungen die Gehälter von sieben Ingenieuren, drei Sekretärinnen und einem Heer von Typistinnen, die es allesamt selbstverständlich nur auf dem Papier gab, in Rechnung gestellt wurden« – so erinnert sich ein Freund Willem Elsschots, der ihn in Paris besucht hatte. Zwei Jahre später, 1908, ging er in die Niederlande, um als Angestellter auf mehreren Schiffswerften in und bei Rotterdam zu arbeiten. Im selben Jahr heiratete er die gleichaltrige Joséphine Scheurwegen, die ihm bereits 1901 einen Sohn geschenkt hatte und mit der er noch fünf weitere Kinder haben sollte. In Paris und Rotterdam schrieb er Gedichte, die später in der Sammlung Verzen van vroeger (Verse von früher, 1934) erschienen.
Im Jahre 1912 kehrte Elsschot nach Brüssel zurück und arbeitete zunächst als Buchhalter in einer Gelatinefabrik, danach als Mitbetreiber der Revue Continentale Illustrée, einer Zeitschrift, die lobhudelnde Artikel über Unternehmen und Institute enthielt und diesen anschließend in hohen Auflagen als eine Art »Werbegeschenk« für die Kundschaft verkauft wurde. Die Revue diente später als Vorlage für die »Allgemeine Weltzeitschrift für Finanzen, Handel, Gewerbe, Kunst und Wissenschaften«, die ihm Roman Leimen (im Original: Lijmen) aus dem Jahre 1924 eine fröhliche Wiederauferstehung feiert.
Während des Ersten Weltkriegs lebte Elsschot in Antwerpen und arbeitete als Sekretär beim Provinzialen Kriegsbüro des Nationalen Komitees für Hilfe und Ernährung. Nach der Kapitulation war er einige Monate als Korrespondent für den Nieuwe Rotterdamsche Courant tätig, danach widmete er sich ausschließlich seinen kaufmännischen Aktivitäten. 1919 gründete er zusammen mit einem Partner eine Werbeagentur, die so erfolgreich war, dass bald eine zweite Niederlassung in Brüssel eröffnet werden musste. 1931 machte er sich mit einer eigenen Firma selbständig, mit der er ebenfalls sehr erfolgreich war. Der Almanach der kinderreichen Familien und Snoeck’s, ein damals sehr beliebter kommerzieller Almanach, gehörten zu seinen größten Auftraggebern. Für Snoeck’s Almanach schrieb Elsschot Werbetexte, u. a. für eine Senffirma. »Bei Letzteren handelt es sich vor allem um naiv und holprig wirkende Gelegenheitsgedichte, die sich durch eine bestechende, schlitzohrige Harmlosigkeit auszeichnen«, so der Elsschot-Kenner Carel ter Haar, der fortfährt: »Diese gleiche ›Harmlosigkeit‹ spiegelte ebenfalls ein Projekt, das sich Das Goldene Buch des belgischen Widerstandes nannte. Die Anzeigenwerbung konzentrierte sich ausgerechnet auf Firmen, die im Geruch der Kollaboration standen …«
Elsschot hat insgesamt elf Romane geschrieben. Der erste, Villa des Roses, entstand 1910 – nach Erinnerungen an die Zeit, die der Autor in Paris verbracht hatte – und wurde 1913 veröffentlicht (deutsch: 1993). Geschildert werden darin die skurrilen Ereignisse in einer drittklassigen Pariser Pension, in deren Verlauf sich etwa einer der Kostgänger das Leben nimmt, aus Platzgründen im Bett der steinalten und schon etwas dementen Madame Gendron »geparkt« wird oder das Lieblingsäffchen der Pensionswirtin im Zuge eines Racheakts eben derselben Madame Gendron in den brennenden Kamin befördert wird und dort sein Leben aushaucht. Obwohl Villa des Roses heute unbestritten als Meisterwerk gilt, wurde es bei seinem Erscheinen kaum beachtet.
Erst 1921 veröffentlichte Elsschot wieder zwei Romane: Een ontgoocheling (Eine Enttäuschung), geschrieben 1914, beschreibt das doppelte Fiasko des Zigarrenfabrikanten De Keizer, dessen Sohn – wie Elsschot selbst – in der Schule versagt und der als Vorsitzender eines Kartenspielvereins durch den örtlichen Kohlenhändler beiseite geschoben wird. De verlossing (Die Erlösung) aus demselben Jahr handelt von dem schicksalhaften Aufeinandertreffen eines Dorfpfarrers mit einem atheistischen Ladenbesitzer, dessen bigotte Tochter für die Sünden ihres Vaters glaubt büßen zu müssen.
Mit Leimen aus dem Jahre 1924 beginnen die Ich-Romane, in denen, meist aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, die Figur des etwas naiven, doch kreuzbraven Kleinbürgers Frans Laarmans im Mittelpunkt steht. Laarmans, der stark autobigrafische Parallelen zu Elsschot aufweist und in immer neuen Rollen auftritt, ist längst zu einer klassischen Figur der modernen niederländischen Literatur geworden. In Leimen wird Laarmans zum Assistenten eines schlitzohrigen Geschäftsmanns namens Boorman (dem Elsschot auch in Käse noch einen kurzen Auftritt gönnt), der sich darauf verlegt hat, kleinen Gewerbetreibenden hohe Auflagen einer höchst dubiosen »Allgemeinen Weltzeitschrift für Finanzen, Handel, Gewerbe, Kunst und Wissenschaften« anzudrehen, in der sich lobende Artikel über das Unternehmen finden. Auch Leimen war bei seinem Erscheinen kein großer Erfolg beschieden.
Nach Käse aus dem Jahre 1933 folgte Tsjip (1934; deutsch: 1936), in welchem Buch Laarmans’ Tochter – wie übrigens auch die von Elsschot – nach vielem Hin und Her einen polnischen Jüngling heiratet. Laarmans kann sein Glück kaum fassen, als er seinen Enkel – den er »Tsjip« nennt – zum ersten Mal sieht. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Carel ter Haar berichtet, dass es bei der deutschen Übersetzung zu einer Diskussion zwischen Autor und Übersetzerin gekommen sei, »weil Letztere einen angeblich aufrührerischen Satz nicht übersetzt hatte, um ein Verbot des Buches zu vermeiden«. De leeuwentemmer (Der Löwenbändiger) aus dem Jahre 1940 ist eine Art Fortsetzung der Geschichte um Tsjip.
Davor war jedoch noch der Roman Pensioen (Rente, 1937) erschienen, ebenfalls mit Laarmans, diesmal in der Rolle des Schwiegersohns. Der Roman ist eine Satire auf die Mutterliebe. Mutter Verstappen riskiert ihr Leben, um ihren Sohn an der Front mit Lebensmittelpaketen zu versorgen. Als er umkommt, erhält sie das Recht auf eine Rente und kassiert sie auch jahrelang – bis Alfred, der uneheliche Sohn des Soldaten, sie für sich einfordert.
Bei Het been (Das Bein) aus dem Jahre 1938 handelt es sich um eine Fortsetzung von Leimen, die allerdings bei weitem nicht die Qualität des ersten Teils erreicht. In Het tankschip (Der Tanker, 1942) berichtet Laarmans über eine gigantische Steuerhinterziehung seines Schwagers, und in Het dwaallicht (Das Irrlicht) aus dem Jahre 1946 schließlich hilft Laarmans drei afghanischen Seeleuten bei der Suche nach einem Mädchen, das gar nicht existiert.
Nach seinem Debüt mit Villa des Roses sollte es mehr als zwanzig Jahre dauern, bis Elsschot die ihm gebührende Anerkennung fand. Dies hat er vor allem den Literaten um die belgisch-niederländische Zeitschrift Forum zu verdanken, die sich für sein Werk stark machten. Zum fehlenden Erfolg Elsschots hat der Amsterdamer Essayist und Bewunderer des flämischen Autors, Karel van het Reve, einmal eine interessante Vermutung geäußert: »Meine Theorie ist eigentlich diese: Wären in den Niederlanden jener Jahre mittelmäßige, ja schlechte Erzählungen publiziert worden, in denen ohne viel Aufhebens die Bewohner einer Pariser Pension beschrieben würden, hätten die Leser, gewöhnt an diese Art Geschichten, plötzlich in dem ihnen bekannten Genre etwas sehr Gutes entdeckt und womöglich begierig aufgegriffen. Doch diese Geschichten waren weit und breit nicht in Sicht, und so machte Villa des Roses, dieses unsterbliche Meisterwerk, einen kahlen und armseligen Eindruck.«
Der bereits erwähnte Gedichtband Verzen van vroeger (Verse von früher) erschien 1934 und fand 1957, zusammen mit den Romanen, Eingang in das einbändige Verzameld werk (Gesammelte Werke), das seither in zahlreichen Neuauflagen erschienen ist und zu den großen Monumenten niederländischer Literatur gehört. Elsschot wurde zweimal mit dem Preis der flämischen Provinzen ausgezeichnet, 1934 für Käse und 1942 für Pensioen. Für Het dwaallicht erhielt er 1948 den Staatspreis für erzählende Prosa; für sein Gesamtwerk wurde ihm 1951 der Constantijn-Huygens-Preis verliehen.
Willem Elsschot starb am 31. Mai 1960 in Antwerpen; seine Frau folgte ihm einen Tag später. Beide wurden auf dem Friedhof Schoonselhof in Antwerpen begraben. Der Schriftsteller erhielt postum den Staatsprijs voor Litteratuur. Seine Romane sind in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und in jüngster Zeit gleich mehrfach verfilmt worden: im Jahre 2000 Käse (unter der Regie von Orlow Seunke) sowie der Doppelroman Lijmen/Het been (Regie: Robbe de Hert), 2002 Villa des Roses (Regie: Frank van Passel), das 1968 bereits, unter der Regie von Walter van der Kamp, als Fernsehserie ausgestrahlt worden war.
Dortmund, im November 2003