Verlage fördern – geistiges Leben ermöglichen
Vielleicht staunen Sie, wenn in diesen Zeiten eine Branche, die bisher ohne staatliche systematische Unterstützung funktioniert hat, nun plötzlich nach Förderung ruft.
Ich staunte auch, als ich vor etwa einem Jahr schlaftrunken die Zeitung aufschlug und die Schlagzeile las: »80 Mio. jährlich für die Verleger!« Es zeigte sich, es geht um die Zeitungsverleger, denen zur Abgeltung ihrer Leistungen für das demokratische Gemeinwesen schon immer Unterstützung zukam, die nun neu geregelt werden sollte.
Als ich dann weiterforschte, stellte ich fest: Das Buch kommt in der offiziellen Medienpolitik nicht vor. Der ECOPLAN-Bericht zum Beispiel, der im Auftrag der Eidgenössischen Finanzkommission die Wirtschaftlichkeit von Presseförderung untersuchte, nennt im Überblick über die Bestandteile der »Medienvielfalt« Radio/Fernsehen, Internet und Presse. Das Verlagswesen, bzw. das Buch findet keine Erwähnung. In den verschiedenen Fassungen des kommenden sogenannten »Kulturförderungsgesetzes« tauchte die Förderung von Verlagsaktivitäten immer wieder mal auf, fiel wieder raus, und ist einstweilen ganz gestrichen. Dass in diesem Gesetz, bzw. im Kommentar dazu, die «Lesung» gleichberechtigt neben der
Theateraufführung und dem Konzert als kulturelle Darbietung gennant wird, mussten wir in letzter Minute überhaupt erst vorschlagen
Es gibt viele Gründe, Buchverlage für eine Förderung nicht in Betracht zu ziehen. Wir sagen ja selbst so leichthin und unbedacht, es »gebe zu viele Bücher«. Und meinen eigentlich: zuviele gleichartige, nutzlose, rein kommerziell inspirierte Bücher. Immerhin gibt es in der Statistik noch etwa 500 Verlage in der Schweiz. Etwa 50 beschäftigen mehr als 10 Mitarbeiter, und nur etwa 10 über 50 Mitarbeiter. Also eine sehr vielfältige, reich gegliederte, kleinteilige Branche, die knapp eine halbe Milliarde Umsatz erwirtschaftet und etwa zur Hälfte exportiert. Verlage arbeiten und kalkulieren hart am Markt, auch kulturell orientierte Verlage. Die Buchkalkulation ist nicht zufällig ein Herzstück der Ausbildung. Und Verlage sind seit je her flexible Überlebenskünstler, oft sogar Hungerkünstler. Die zudem oft stolz sind auf ihre Autonomie. Das ist gut so.
Es gibt allerdings auch gute Gründe, warum eine Politik der gezielten Verlagsförderung sinnvoll und immer nötiger wird. Verlage sind ja nichts anderes als »Bühnen des geistigen Lebens«, meinetwegen Konzertsäle für die Ideen und die Ausdruckskraft ihrer Autoren. Ohne Verlage gibt es keine Bücher. Genauso wie es ohne Bühnen keine Theaterkultur gibt. Leider ist es aber auch so, dass immer mehr Verlage sich gewisse Bücher immer weniger leisten können. Jeder Verlagskollege wird Ihnen das bestätigen können: Es gibt so viele Bücher, die, wie wir sagen, eigentlich »sein müssten«. Bücher, die nicht erscheinen, klagen nicht, machen keinen Lärm, sie fallen nicht auf, vielleicht stellt der Beobachter erst nach Jahren den Trend fest: Hoppla, es gibt ja, zum Beispiel, nur noch eine Handvoll literarischer Verlage, die kontinuierlich neue Autoren riskieren können. Soweit sind wir heute. In der Romandie gibt es heute keinen Kunstverlag mehr. Was bedeutet das wohl für die dortige Kunstszene?
Viele traditionsreiche Verlage sind in den letzten Jahrzehnten aus unserem geistigen Leben verschwunden. Walter Verlag, Benziger, Sauerländer, Artemis. Sie wurden verkauft, ausgesiedelt, gingen auf, ein oder unter. Das sind normale Prozesse, bedenklich ist aber, dass es auch für die kreativsten Neugründung so schwer geworden ist, nachzuwachsen, oder gar auf dem weiteren deutschen oder französischen Sprachraum festen Fuss zu fassen. Die Konzentrationen im Buchhandel, die wachsenden Lücken bei den Bibliotheken, der Verlust an Vielfalt und Platz auch in den Medien machen es immer schwieriger, zur Leserschaft vorzudringen.
Wenn wir von Verlagsförderung reden, meinen wir nicht Subventionen im klassischen, verpönten Sinn. Verlage sind Wirtschaftsbetriebe und sollen es bleiben. Verlagsförderung kann und soll keinen Verlag am Leben erhalten. Sondern wir meinen Anreiz und Ausgleich für Projekte, die für das Allgemeinwesen bedeutsam, aber für die Bilanz bedenklich sind. Dies genauso beim Sachbuch, bei der Wissenschaft, beim Kinder- und Jugendbuch, wie bei der Belletristik. Letztlich geht es darum, diese Teile der Verlagsproduktionen als einen Service Public am Gemeinwesen zu erkennen und dafür zu sorgen, dass sie möglich werden und bleiben.
Beim Stichwort Verlagsförderung kommt zurecht die Frage: »Aber wie denn?« Andere Länder in vergleichbarer Lage haben verschiedenste Modelle ausprobiert. Zum Beispiel nordische Länder, die wie die Schweiz einen relativ kleinen geistigen Binnenmarkt lebendig erhalten wollen. Länder wie Österreich, Kanada, Australien, Neuseeland stehen wie die Schweiz vor der Aufgabe, ein unabhängiges Verlagswesen zu sichern, das nicht von den grossen internationalen Verlagskonzernen des gleichen Sprachgebiets erdrückt wird. Die positiven und negativen Erfahrungen können ausgewertet und bei der Entwicklung einer schweizerischen Verlagsförderung berücksichtigt werden. Die Pro Helvetia hat mit ihren Verlagspämien bereits erste Erfahrungen gesammelt, auf denen man aufbauen könnte.
Es geht nicht um grosse Beträge, gemessen an Opernhäusern, Symphonieorchestern, Museen oder Bühnen – denen wir im Übrigen jede Unterstützung gönnen. 80 Millionen wie die Zeitungsverleger brauchen die Buchverleger nicht. Mit einem Zehntel könnten sie bereits Berge versetzen. Und nota bene – wir denken dabei auch an Massnahmen, die den Autoren, den Bibliotheken und Buchhandlungen zugute kommen und sich gleichzeitig auf die Verlage auswirken.
Das ist ja das Wunderbare an den Büchern. Gemessen an ihrer möglichen Wirkung sind sie extrem billig.Die Ökonomen oder Entwicklungspolitiker würden sagen: Ein Schlüsselsektor mit Hebelwirkung. Wer hier investiert, erzielt maximale Effekte. Die Wirkung eines einzelnen Buches kann man nicht messen, aber die Regsamkeit und Kreativität des geistigen Lebens eines Landes kann man durchaus an der Vitalität seines Buchmarkts ablesen.
Lucien Leitess