Es gibt Romane, die man nicht mehr beiseite legen kann, wenn man sie einmal begonnen hat. Voltaires Kalligraph ist ein solcher Roman; er hinterlässt eine unauslöschliche Spur beim Leser Pablo de Santis hat seinen Protagonisten in der Zeit vor der Französischen Revolution angesiedelt, und er lässt ihn an einer Reihe Abenteuer teilhaben, die mit den Machtkämpfen jener Zeit zusammenhängen.
Der zur Zeit der Handlung noch junge Kalligraph, der im Mittelpunkt der Handlung steht, erzählt als alter Mann seine Geschichte, die aufs engste mit Voltaire und der Suche nach einer Frau mit ganz besonderen Eigenschaften verbunden ist.
Dalessius, der im Dienst des Autors des »Candide« steht, unternimmt Reisen nach Toulouse und Paris, wo er in Kontakt mit schillernden Personen tritt, dem das Buch eine Polyphonie von Stimmen sowie zahlreiche Porträts und Schilderungen verdankt, eine interessanter als die andere. Über die körperlichen Eigenschaften des Protagonisten, ob er etwa ein angenehmes Äußereres hat oder welches seine Haarfarbe ist, wissen wir hingegen nichts oder fast nichts. Wir erfahren, dass er Waise ist und dass sein Onkel, der ein Nachtpostbüro leitet, sich seiner bei der ersten Gelegenheit zu entledigen versucht.
Als Student der Kalligraphie, ein Handwerk, das seit dem Zeitpunkt im Verschwinden begriffen war, als die gedruckte Schrift sich gegenüber der Handschrift definitiv durchgesetzt hatte, wird Dalessius in diese alte Kunst eingeweiht, die mit ihm zu ihrem Ende kommt. Der Protagonist wird zum letzten Meister einer Wissenschaft, die mit dem Gott Thot im alten Ägypten begann, als er die Hieroglyphen schuf.
Die Anstellung bei Voltaire verschafft Dalessius Einblick in obskure Vorgänge unter Laien und insbesondere Klerikern im Kampf um Einfluss, das heißt, um die Macht, die bestimmte Kreise bis dahin an der Basis der Gesellschaft und in den hohen politischen Sphären ausgeübt hatten: die Jesuiten. Die Reisen erlauben dem jungen Dalessius, seine Kunst so zu perfektionieren, dass er die seltene Vollkommenheit seines verehrten Meisters Silas Darel erreicht, der ein Geheimnis für ihn bereithält, das erst auf den letzten Seiten der Erzählung gelüftet wird. Die Reisen bedrohen aber auch immer Dalessius körperliche Unversehrtheit, so dass sein Leben zu einem ständigen Vorrücken wird - er flüchtet immer wieder, um daraufhin zurückzukehren. Besonders als eine merkwürdige Frau, Clarissa, auf den Plan tritt, die zum Mittelpunkt seines eigenen Interesses wird.
Der Plot ist meisterhaft in kleinen Kapiteln ausgearbeitet, und die Kontinuität der Handlung erlaubt weder ein Ausruhen noch das Beiseitelegen des Buches: Man muss weiterlesen und versuchen herauszufinden, welches der nächste Schritt, die nächste Gefahr, die nacheinander auftretenden Figuren, das neue Abenteuer sein wird, in das Dalessius aus freien Stücken oder auch unfreiwillig verwickelt wird. Bei Dalessius Erlebnissen sind auch die Geschehnisse um Von Knepper, einen Automatenhersteller, und Kolm, einen ehemaligen Henker, von zunehmender Wichtigkeit. Sie bescheren dem Protagonisten nicht wenige Überraschungen und auch die eine oder andere brenzlige Situation.
Der Beruf seines Helden gibt Pablo de Santis die Gelegenheit zu Ausflügen in die Kunst der Kalligraphie und des Buchdrucks. Tinten, Schriften, Papiere, Skizzen, wirkliche und erdachte, erlauben das Schwelgen in der Liebe zu Büchern, die per Hand von Künstlern hergestellt wurden, die in die Menschheitsgeschichte eingegangen sind. Natürlich lädt dieser Beruf auch dazu ein, sich den des Schriftstellers genauer anzuschauen, dem das Gewicht der Worte, der skizzierten Worte, und die Bedeutung des Schweigens des Redners und dessen, der sich dem Schreiben widmet, bewusst sind. Wenn Worte Leben geben können, wie es im Roman der Fall ist, dann könne sie auch den Tod verursachen. Denn »alles, was uns zum Schreiben dient, dient auch zum Töten«.
Antonio A. Gómez Yebra, El Sur (Málaga), 3.11.2001
Es gibt Berufe, die sich ganz besonders dazu eignen, zum Zentrum von Intrigen zu werden. Wie der argentinische Schriftsteller Pablo de Santis in seinem neuen Roman, »Voltaires Kalligraph« bewiesen hat, muss dem Kalligraphen ein Ehrenplatz auf der Liste dieser Berufe eingeräumt werden.
Dalessius, der Protagonist dieser Geschichte, kommt aus dem Frankreich der Aufklärung in eine Hafenstadt, im Gepäck einen seltsamen Gegenstand: das Herz Voltaires in einem Glasbehälter.
Er blickt zurück in die Vergangenheit, um die gefährlichen Abenteuer zu erzählen, die ihn in den Besitz dieser wertvollen Reliquie gebracht haben, und bei denen ihn eine Reihe merkwürdiger Gestalten begleiten: Kolm, der Henker, die stille Clarissa, Voltaire selbst, alt und weit weg von Paris, wo er sich seines Lebens nicht mehr sicher ist.
In der französischen Hauptstadt wird Dalessius in eine Intrige verwickelt, die von einem religiösen Orden geschmiedet wird, um sich die Macht zu erhalten, und an der ein aalglatter Automatenhersteller seinen Anteil hat. Mit diesen Zutaten und der zugrundeliegenden These, dass alles, was zum Schreiben dient, auch zum Töten dient, schafft Santis eine äußerst geheimnisvolle Atmosphäre, die unterstützt wird vom Rhythmus der Erzählung und der Macht der Lettern, die der Kalligraph zeichnet, dessen Entwicklung zur Perfektion auch den Autor charakterisiert: von der Suche nach der Schönheit und der Perfektion bis hin zu eher heiteren und einfachen Zeichnungen, die niemanden blenden wollen, und die dem eigen sind, der »weiß, dass das, was man aufschreibt, sowohl das birgt, was man besitzt, als auch das, was verlorengegangen ist«.
Der Autor stellte gestern in Madrid seinen Roman vor, der »von dem Gemälde inspiriert ist, auf dem Voltaire aus dem Bett springt und fast tanzend seinem Sekretär Wagnière etwas diktiert.«
Isabel Esparza, La Gaceta de los negocios (Madrid), 2.10.2001.
Ein Wort kann töten, richten, erniedrigen, ins Exil schicken. Und eine Feder kann morden. Dazu reichen ein wenig Kraft und Treffsicherheit. Pablo de Santis weiß das, und er schreibt es. In Voltaires Kalligraph, einem Intrigenroman aus der Zeit vor der Französischen Revolution. Ein Kalligraph kommt in fremden Gefilden an mit einem Glasbehälter, in dem sich das Herz Voltaires befindet, des Schriftstellers mit der vergifteten Feder, sarkastisch und unbequem.
»Mir gefallen Tinten, Federn, und die Herausforderung, etwas so Friedliches wie das Schreiben in eine kriminelle Intrige zu verwandeln, hat mich begeistert«, erzählt De Santis. So kriminell, dass in einem Abschnitt eine Figur eine andere mit einem Federstrich in die Halsvene zu ermorden weiß. »Dieser Roman handelt vom Schreiben und vom Lesen. Er versucht, eine Parallele zu ziehen zwischen dem Akt des Lesens und dem, die Welt zu verstehen«. Eine Welt und eine historische Zeit, deren Rekonstruktion sich als »Wahnsinn« herausgestellt hat, da der Autor »die Zeit der Aufklärung in Frankreich in eine gotische Szenerie, der schrecklichsten Seite der Gotik« verwandelt hat. Und so hat De Santis seinen Roman mit Automaten bevölkert, die menschliche Wesen zu seinen scheinen und durch die eine komplexe Intrige gesponnen wird. Und natürlich steht der intrigante Voltaire im Zentrum des Geschehens.
»In gewisser Weise könnte das ein Kriminalroman sein, wenn ich auch glaube, dass der Roman der fantastischen Literatur näher steht, obschon die Automaten, die hier auftauchen, nichts tun, was sie nicht auch in Wirklichkeit tun würden. Einige waren sogar in der Lage, zu schreiben. In meinen vorherigen Romanen habe ich mich bemüht, intellektuelle Intrigen über das Erzählen, utopische Sprachen zu spinnen, und diesmal habe ich versucht, das Schreiben zu thematisieren.«
Pilar Maurell, El Mundo (Catalunya), 7.11.2001