Thomas Wörtche: Mr. Simon, wie kommt ein New Yorker dazu, nach L.A. zu gehen und dort den ersten kiffenden, linken Privatdetektiv der Literaturgeschichte zu erfinden?
Roger L. Simon: Vor allem bin ich deswegen nach L.A. gegangen, weil ich eine Frau von da geheiratet habe. Sie war mit mir auf der Yale Drama School, wo ich das Stückeschreiben gelernt habe. Aber damals wollte ich sowieso unbedingt weg aus New York, um meiner Familie zu entkommen. Und Kalifornien war es eben – aus zwei Gründen: Es waren die späten Sechziger und alles passierte in Kalifornien. Und in L.A. wurden die Filme gemacht und dort wollte ich hin.
Moses Wine selbst ist eigentlich eher zufällig passiert. Ich hatte schon zwei ziemlich obskure Romane veröffentlicht und einen dritten geschrieben. Ein ziemlich düsteres Ding à la Simenon. Ich dachte, dass das Buch ganz toll sei, aber niemand wollte es verlegen. Mein damaliger Lektor war inzwischen auch von New York nach San Francisco umgezogen, um dort den neuen Buchverlag des Rolling Stone zu leiten – Straight Arrow Press. Natürlich wollte ich ihn überreden, diesen neuen Roman zu machen, aber auch er war der Meinung, dass sich damit kein Geld machen lässt. Eines Tages lungerten wir in meinem Hinterhof rum, in einem Chicano-barrio in L.A., wo ich zur der Zeit, also 1972, wohnte, und waren bis zu den Kiemen voll mit Gras. Wir sahen mit unseren langen Haaren und den Bärten aus wie John Lennon in der Sergeant-Pepper-Zeit, und er fragte mich, ob mir was einfällt, was genau das Richtige für den Rolling Stone wäre. So aus dem hohlen Bauch sagte ich, dass ich gerade viel Raymond Chandler, Ross Macdonald und Dashiell Hammett gelesen hätte und dass so was doch mal jemand für unsere Generation machen sollte – Sam Spade auf Stoff. Er sagte sofort Klasse und fragte mich, wie der Detektiv heißen solle. Und ich sagte wieder aus dem hohlen Bauch: Moses Wine. Er sagte wieder Klasse und sechs Wochen später war Das Geschäft mit der Macht geschrieben. Inzwischen ist der Roman in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und in der x-ten Auflage, außerdem ist er verfilmt worden. Also ein ziemlich glücklicher Zufall.
Und wie kam Moses Wine dann zu Anfang an?
Wenn ich heute zurückschaue – er wurde ein größeres Ding als ich erwartet habe. Und so allmählich wurde er Kult. Übrigens auch in Frankreich und Japan.
... und in Deutschland ...
Dort aber erst später. Irgendwie wurde Moses Wine der globale 68er. Deswegen reist er auch so viel. Aber dass er Kult war, habe ich damals selbst gar nicht richtig gemerkt. Jetzt kommen plötzlich jüngere Schriftsteller und sagen, sie schreiben Kriminalromane wegen mir. Das ist natürlich sehr schmeichelhaft, aber irgendwie auch ziemlich beängstigend. Ich möchte mich mir nicht als Fossil vorstellen müssen. Das Beste muss doch noch kommen, finde ich jedenfalls.
Und dann, 1978, kam die Verfilmung von Das Geschäft mit der Macht. Hat der Film den Büchern - der zweite Band, Hecht unter Haien, war ja inzwischen erschienen - geholfen?
Klar, der Film hat der Figur sehr geholfen bekannt zu werden und natürlich auch, die Bücher zu verkaufen. Für mich ging das viel zu einfach. Ich wollte François Truffaut sein. Das habe ich natürlich nicht geschafft, aber vor lauter Rumrennen und François Truffaut sein wollen, hab ich mich nicht so um die Bücher gekümmert, wie ich es eigentlich hätte tun sollen.
Moses Wine, der »Hippie-Detektiv«, der »Detektiv des Volkes«: Können Sie eigentlich mit diesen Begriffen etwas anfangen?
Ach ja, das waren diese Schlagworte, die im Gefolge der ersten beiden Bücher aufgetaucht sind. Ich habe das immer mit sehr gemischten Gefühlen gesehen, weil sie, wie alle Schlagwörter, die Tendenz haben zu vereinfachen. Okay, den Moses Wine von Das Geschäft mit der Macht Hippie-Detektiv zu nennen, ist nicht ganz falsch. Aber den erwachsenen Moses von Die Baumkrieger und Director's Cut als Hippie zu bezeichnen, ist bloß albern.
Moses Wine ist ja ein Spötter und Speier. Hintereinander gelesen bilden die Romane eine Art Chronik der Neurosen, Macken, Scheinheiligkeiten und natürlich auch Probleme der amerikanischen links-alternativen Szene. War das Absicht?
Ich habe das immer so gesehen - die Bücher sollten ganz bewusst eine Chronik der Zeitläufte sein. Ein großer Vorteil, dass ich nur so wenige - zumindest im Vergleich mit anderen Kriminalschriftstellern - Bücher geschrieben habe, liegt darin, dass sich in der Zwischenzeit jeweils die Zeiten, die Verhältnisse und das Verhalten der Leute so stark verändert hatten, um auch als Veränderungen bei Moses Wine und der Welt, in der er lebt, wirklich erkennbar zu werden. Scheinheiligkeit, ja, das ist etwas, was ich zutiefst verabscheue. Aber irgendwie verschwindet sie nie. Ach ja .
Sie haben die Moses-Wine-Romane immer schnell hintereinander geschrieben und dann wieder größere Pausen eingelegt. Wie kommt das?
Weil ich zwischendurch immer wieder Material sammeln musste oder eine neue Idee ausbrüten, die auch wirklich trägt. Dazu kommt natürlich noch, dass es mich manchmal langweilt, eine Serien-Figur zu schreiben.
Moses Wine und Roger Simon machen sich beide besonders gerne über politische Dogmen lustig. Aber in Die Peking-Ente sind Moses' Kommentare zur Volksrepublik China auffallend zahm. Roger Simon war selbst dort .
Treffer. Ja, ich war 1978 in der VR China, mit einer der ersten Reisegruppen. Außer uns war damals nur noch eine andere Reisegruppe im Land und die Leute dort liefen fast alle in Mao-Anzügen rum. Und, ja, ich habe mich damals in die VR verliebt, und das sehe ich heute als Naivität an. Ich wusste damals nicht, wie brutal die Kulturrevolution wirklich war. Aber ich möchte mich gleich entschuldigen: Ich bin ein Romantiker.
Ziemlich provokant war die Idee, ausgerechnet den kalifornischen Juden Moses Wine in Auferstanden von den Toten in Israel für die Araber arbeiten zu lassen .
Ich weiß auch gar nicht, ob ich heute so eine Geschichte noch einmal schreiben könnte. Die Grundvoraussetzungen haben sich verändert. In vieler Hinsicht ist der Roman trotzdem noch mein Lieblingsbuch. Aber heute sehen die Dinge ja zappenduster aus; es gibt so viel Hass, dass man nicht mehr mit klarem Kopf über die Situation nachdenken kann. Ich wüsste gar nicht, wo anfangen .
Die Baumkrieger sollte ursprünglich in Chiapas spielen, nun ist Moses Wine in den Regenwäldern des Nordwestens der USA gelandet. Wie ist das passiert?
Wegen Die Baumkrieger hatte ich die größten Probleme mit einem Verlag, konkret mit HarperCollins, die ich je hatte. Sie wollten schlichtweg nicht, dass ich ein Buch schreibe, das außerhalb der Vereinigten Staaten spielt. Man hatte im Verlag die idiotische Vorstellung, dass Leser keine Bücher m ögen, die in fremder Umgebung spielen. Das stimmt natürlich ganz und gar nicht, aber ich konnte nichts machen. Sie haben sich einfach geweigert, das zu veröffentlichen, was ich schreiben wollte, aber ich hatte einen Vertrag. Die ursprüngliche Grundkonstellation war ebenfalls der Vater-Sohn-Konflikt, nur dass Moses Wines Sohn in den Dschungel von Chiapas gegangen war, um sich Subcomandante Marcos anzuschließen. Generationenkonflikt ohne Ökologie, dafür aber mit Revolution auf dem Lande. Aber schlussendlich war ich dann sehr stolz auf mich, ein Buch hingekriegt zu haben, das funktioniert. Alles, was gut ausgeht, ist gut.
Stichwort Ökologie. Von Europa aus gesehen scheint das Thema ja nicht der große Schlager in USA zu sein .
Das ist aber unfair, so unwichtig ist Ökologie für die amerikanische Gesellschaft nicht. Klar, Bush ist bei Kyoto ausgestiegen, aber sämtliche Umfragen zeigen, dass Umweltschutz das Thema ist, bei dem die amerikanische Öffentlichkeit mit Abstand am unzufriedensten mit ihm ist (bemerkenswerterweise!). Ökoterroristische Vereinigungen - obwohl ich selbst diesen Begriff nicht benutzen würde, in Sachen Umweltschutz bin ich ganz links außen – gibt es immer noch in den USA, besonders EARTH FIRST, ein manchmal äußerst kreativer Verein. Die machen zum Beispiel Skihotels schon kaputt, während sie noch gebaut werden, damit die Bergwelt nicht zerstört wird ...
Director's Cut, Moses Wines neuestes Abenteuer – um was geht es da?
Das ist das Buch, in dem ich zum ersten Mal ganz ausführlich über meine zweite Karriere, die im Filmgeschäft, schreibe. Es ist ein Kriminalroman über die Unabhängigen im Filmgeschäft und eine ausgesprochen bösartig-komische Attacke auf die Theorie des Autorenfilms. Das Buch fängt mit einem berühmten Zitat von Orson Welles an, der Regieführen die am meisten überschätzte Kunstform des Jahrhunderts nannte. Das Buch spielt zu größeren Teilen in Prag ...
Wo Sie Prague Duet (Eine Liebe in Prag) gedreht haben .
... und kulminiert beim Sundance Film Festival, wo Moses Wine - wegen einer Reihe von Verwicklungen, die ich hier nicht verrate - am Ende doch tatsächlich die Regie bei einem Film führt, den vor terroristischen Angriffen zu schützen er engagiert worden war. Es ist ein ganz und gar Post-9-11-Buch!
Genau, die zwei Karrieren. Sie sind ja sowohl als Drehbuchautor als auch als Romancier erfolgreich und beherrschen beide Formen gleich gut. Das ist ziemlich selten. Mögen Sie beide Arten des Schreibens gleich gern?
Aus irgendwelchen Gründen ist es mir schwerer gefallen, zu lernen, wie man Drehbücher schreibt. Die Technik ist härter, aber einen Roman zu schreiben ist entschieden befriedigender.
Das Verhältnis oder besser die Verbindung zu einem Leser ist letzten Endes viel stärker als die zu einem Filmpublikum. Wie dem auch sei, ich habe heute nicht mehr so viele Optionen wie früher. Mit Hollywood wird es immer schlimmer, es interessiert sich immer weniger für Qualitätsfilme. Das tun fast nur noch die Unabhängigen. Gute Filme zu machen ist in einem gewissen Sinne wie Opern produzieren – ein Unternehmen zur Geldvernichtung für die cognoscenti. Das schlimmste Problem, wenn man für die Filmindustrie arbeitet, jedoch ist, dass man nur schon für den Versuch, einen Film zu realisieren, unglaublich viel Zeit verschwenden muss. In derselben Zeit könnte man drei Romane schreiben. Wirklich!
Und die gute alte Privatdetektiv-Formel, funktioniert die noch?
Sie meinen das traditionelle Chandler/Hammett-Muster? Nein, das funktioniert nicht mehr. Man muss immer mehr Dampf machen, um vorwärts zu kommen ... Aber wenn man älter wird, ist das nicht immer so leicht.