La Provincia: Was sind die wichtigsten Erzählstränge in Paisaje de otoño?
Leonardo Padura: Mit Das Meer der Illusionen ist der vierte Roman erschienen und somit die Tetralogie Das Havanna-Quartett beendet. Und wie in den vorherigen ist die Hauptfigur der Polizeileutnant Conde, von dem die Romane handeln. In diesem Fall hat die Geschichte etwas mit einem tatsächlichen Korruptionsfall zu tun, der sich in Kuba ereignet hat. Einige Persönlichkeiten aus der kubanischen Regierung sind darin verwickelt. Es hat außerdem mit dem kubanischen Exil in den Vereinigten Staaten zu tun und vor allem handelt es von dem Konzept von Freundschaft, das für meine Figuren sehr wichtig ist. In der Erzählung geschieht etwas, das eine Gruppe von Freunden aus dem Gleichgewicht bringen kann. Weil der Roman die Serie beschließt, zeugt er auch ein wenig vom Niedergang, denn Conde verlässt die Polizei und man spürt das Ende nach einem Zyklus, der sich schließt.
Auch wenn die lateinamerikanischen Autoren inzwischen die Nase voll haben, ständig von Journalisten nach dem Magischen Realismus gefragt zu werden, sind die europäischen Leser sicherlich ein wenig überrascht, einen kubanischen Autor als Verfasser von Krimis zu sehen. Einen Schriftsteller wie Sie, der noch zudem zwei Essays über Alejo Carpentier verfasst hat.
Meine Romane haben überhaupt nichts mit dem Magischen Realismus zu tun, den ich eingehend studiert habe. Diese Literatur war eine Art Gründungsliteratur, als es notwendig war, die lateinamerikanische Kultur zu definieren. Wir, die nachkommenden Schriftsteller, sind schon darüber hinaus, sodass wir heute anders schreiben können. In diesem Falle ist es ein Roman mit einem urbanen Ambiente, in einem Viertel von Havanna, wo viele der Ereignisse stattfinden. Es ist keine Literatur, die versucht, die große Welt zu erklären wie der lateinamerikanische Roman der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Es ist ein Roman des alltäglichen Kuba.
Sie haben früher einmal erklärt, dass die Ideologie in ihren Romanen nur eine Nebenrolle spielt. Doch die wichtigsten Repräsentanten der Kriminalliteratur sind Schriftsteller aus kapitalistischen Ländern, die aus marxistischen Positionen Kritik am Kapitalismus üben. Wie bringt sich ein Schriftsteller in diese Tendenz ein, der aus einem sozialistischen Land schreibt?
Nun, für mich liegt der Schwerpunkt auf der Ästhetik, aber ich habe immer auch noch eine ideologische Vision in diesen Romanen. Die kubanische Realität ist hoch politisiert. Jede Entscheidung, die man in Kuba fällt, hat etwas mit Politik zu tun, von der Entscheidung, welches Brot du isst bis hin zur Frage, ob du ein Baby machst oder nicht. In meinen Büchern beziehe ich mich auf diese Realität, manchmal auch kritisch. Wenn ich von der Korruption von Regierungsbeamten rede, vom politischen Oportunismus oder der Ausgrenzung von Künstlern, die homosexuell sind, dann beziehe ich mich auf einen faktischen Zustand.
Geht es also um eine Kritik an einzelnen Fällen oder um eine des kompletten Gebäudes, wie sie die Klassiker des Kriminalromans am Kapitalismus üben?
Ich kritisiere nicht das System im Allgemeinen, worauf ich mich beziehe, das sind bestimmte Aspekte der kubanischen Realität, die meiner Meinung nach negativ sind. Das soll nicht heißen, dass ich Literatur aus politischer Berufung schreibe, ich beziehe mich auf die kubanische Gesellschaft, in der es Dinge gibt, die nicht gut funktionieren und die ich in meinen Büchern behandeln kann. Es gibt andere, die meines Wissens auch nicht gut funktionieren, die ich aber nicht behandeln möchte.
Seit Beginn der Achtzigerjahre gibt es eine gewisse Nachgiebigkeit in der kubanischen Kulturpolitik, aber doch immer innerhalb bestimmter Grenzen. Verstärken Sie dementsprechend ihre Kritik nicht, weil Sie nicht können?
Weil ich nicht will. Ich glaube nicht, dass eine Gesamtkritik des Gebäudes nötig ist, denn dieses Gebäude hat Säulen, die ein wichtiges gesellschaftliches Projekt über lange Zeit aufrecht erhalten haben. Ich habe an einer Universität von höchstem Niveau studiert und dafür musste ich nicht einen Centavo bezahlen. Das öffentliche Gesundheitssystem in Kuba gehört zu den besten und es ist kostenlos. Es hat also keinen Sinn, dass ich versuche, ein Gebäude zum Einstürzen zu bringen, damit ich nachher auf der Straße stehe.
Ich gehe zu einem anderen Thema über, ohne das vorherige ganz beiseitezulassen. Man sagt des Öfteren, dass der Roman sich aufgrund der Unsicherheiten des Marktes erschöpft, denen sogar die großen Schriftsteller unterliegen. Sie behaupten, dass Kuba zurzeit eine »Reserve des Romans« ist, die nur erst bekannt werden muss. Hat dieses Potenzial etwas mit der Abwesenheit des Buchmarktes auf Kuba zu tun?
Weil sie nicht vom internationalen Markt abhängen, müssen die kubanischen Autoren zum Überleben im Allgemeinen vom nationalen Markt leben. In Kuba gibt es einige Autoren, die von ihrem Werk bescheiden leben können. Das erlaubt uns eine gewisse Freiheit, wenn es darum geht, Themen auszusuchen – das gilt auch für die Zeit, die wir uns nehmen, um sie auszuarbeiten. Selbstverständlich gibt es nicht die Ungewissheit des Marktes, wie Sie das ausdrücken, aber die Augen der kubanischen Schriftsteller müssen sich in jedem Fall mehr auf diesen Markt richten, denn dieser Markt ist zurzeit die Realität.
Das Interview führte Mariano de Santa Ana, La Provincia, Las Palmas.