Beginnen wir am Anfang: Wann hast du festgestellt, dass du dich der Literatur widmen, also Schriftsteller sein willst? Und in welchem Moment hast du dir gesagt: »Mensch, ich bin Schriftsteller!«?
Ehrlich gesagt ist mir weder das eine noch das andere passiert. In beiden Fällen ist die Überzeugung allmählich entstanden. Es hat mich einiges gekostet, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich ein Schriftsteller bin. Aber es gab Momente, Ereignisse und Entscheidungen, die mich Stück für Stück näher an die Literatur gebracht haben. Der erste war vielleicht in der Oberstufe, als ich anfing, die Bücher, die im Literaturprogramm vorgesehen waren, ganz zu lesen, anstatt ausschließlich die Heftchen mit dem Titel »Der Autor und sein Werk«. Danach kam die Entscheidung, Literatur an der Universität zu studieren, und ich glaube, dass dies ein zweiter Schritt war, er geschah quasi gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass ich als Baseballspieler keine Zukunft haben würde. Außerdem wollte ich wie meine Studienkollegen anfangen zu schreiben: reine Konkurrenz und Eigensinn. Am Ende kamen einige schreckliche Erzählungen heraus und verschiedene Reportagen, die ich in Zeitschriften publizieren konnte. Als ich schon für El Caimán Barbudo arbeitete, las ich Frühstück bei Tiffany von Truman Capote, und es gefiel mir so sehr, wirklich so sehr, dass ich beschloss, so einen Roman zu schreiben. Das Ergebnis ist Fiebre de caballos. Als ich das beendet hatte, fühlte ich, dass ich mehr oder weniger so etwas wie ein Schriftsteller war.
Hattest du nie Interesse an einer akademischen Karriere? Dich professionell der Erforschung und der Lehre der Literatur zu widmen?
Die Wahrheit ist: Nein. Es macht mir keinen Spaß, Lehrer zu sein, unter anderem, weil ich kein gutes Gedächtnis habe und auch kein guter Redner bin. Was die Forschung betrifft, habe ich immer die Freiheit vorgezogen, meine eigenen Interessen zu verfolgen, was an der Universität unmöglich ist.
In anderen Interviews hat man viel über deine journalistische Arbeit beim Caimán Barbudo, bei der Juventud Rebelde und La Gaceta de Cuba gesprochen. Trotzdem möchte ich gerne fragen, was jede einzelne Zeitung oder Zeitschrift zu deiner Ausbildung beigetragen hat, und ob es eine gibt, bei der du gerne geblieben wärst.
Als ich Anfang der Achtzigerjahre für den Caimán gearbeitet habe, dachte ich, das ist das Paradies und dass ich noch für diese Zeitung schreibe, wenn ich in Rente gehe. Ich hatte gute Kollegen, hatte Zeit, ein wenig Literatur zu schreiben und genoss den Einfluss, den der Caimán seinerzeit hatte. Außerdem lernte ich in kürzester Zeit fast alle Schriftsteller, Maler und Theaterleute Kubas kennen. Aber die Wahrheit ist, dass in diesem Paradies fast alles verboten war, man arbeitete dort ständig unter Spannung, unter dem Druck der politischen, ideologischen bis hin zur polizeilichen Zensur. 1983 zeigte man mir die rote Karte, und ich wurde zur Juventud Rebelde strafversetzt, mit dem Etikett »ideologische Probleme«. Aber die mich bestrafen wollten, taten mir den größten Gefallen meines Lebens: Sie zwangen mich dazu, journalistisches Schreiben zu lernen – ich hatte keinerlei Ahnung vom Journalismus. Ich lernte es so schnell, dass ich nach weniger als sechs Monaten schon zur »Spezialgruppe« am Sonntag gehörte, wo ich lange Reportagen machte und schreiben konnte – das musst du mir glauben –, was ich wollte. Hier begann ein äußerst wichtiger Moment meiner Ausbildung. Während ich das Land kennenlernte, seine Geschichte und seine vergessenen Persönlichkeiten erforschte, indem ich mich in die verstaubten Ecken der Erinnerung begab – das chinesische Viertel, Yarini, Angerona, die Geschichte von Bacardi, die von der Jungfrau de la Caridad del Cobre –, lernte ich, wie ein Schriftsteller zu schreiben, denn ich machte das Experiment, publizistische wie literarische Texte zu verfassen.
Gehörst du zu jenen Autoren, die an Inspiration glauben? Musst du motiviert sein, um zu schreiben? Wie sieht der Schreibprozess bei Leonardo Padura aus?
Na ja, zunächst brauche ich eine Idee, und die erscheint auf verschiedene Arten, obwohl sie meistens beim Lesen auftaucht. Dann beginnt das Schreiben, was das Unterhaltsamste ist, denn ich plane nichts voraus, sondern ich entdecke die Geschichte während ich sie schreibe. Das ist besonders angenehm bei den Romanen mit Conde, denn ich habe sie immer geschrieben, ohne vorab den Mörder zu kennen. So stellen also Conde und ich eine Art Nachforschung an, bis wir am Ende einen Mörder haben. Und dann gehe ich bereits zur schrecklichsten Stufe über: diese geschriebene Geschichte in Literatur zu verwandeln. Ich mache fünf, sechs oder wer weiß wie viele Versionen, bis ich glaube, dass ich nichts mehr daran verbessern kann. Und natürlich brauche ich für die verschiedenen Versionen Leser. Sie sind für mich äußerst wichtig, denn sie haben den Abstand, zu dem ich selbst nicht mehr in der Lage bin.
Gehen wir zu deinen Romanen über: Du bist ein Schriftsteller, dem es gelingt, den Leser von Anfang bis Ende zu fesseln. Wie erklärst du dir das? Eine Frage der Technik? Literarischer Trick? Zufall?
Das habe ich während meiner Ausbildung im Journalismus gelernt: Man kann in einer Zeitung nicht eine Geschichte von zwei Seiten erzählen – insbesondere wenn es eine Serie ist –, ohne ein Moment zu haben, das den Leser fesselt. Und auf gewisse Weise muss die Literatur dasselbe machen. Denn ich schreibe, damit man mich liest, und wenn ich es nicht schaffe, den Leser zu fesseln, dann gelingt mir überhaupt nichts. Ich denke, dass verschiedene Elemente dieses Problem beeinflussen – technische, argumentative usw. –, aber vor allem das Ziel, ernsthaft zu sprechen, von ernsten Dingen, ohne dass man dafür den Leser allein auf weiter Flur lassen muss. Der Schriftsteller muss immer Verstehensbrücken bauen, und selbst wenn ich mir das nicht vornehme, baue ich doch immer diese Brücken.
Es gibt Schriftsteller, die bestimmte Manien haben, wenn es ums Schreiben geht. Zum Beispiel: Mempo Giardinelli schreibt nackt und mit einem Handtuch um den Hals, um sich den Schweiß abzuwischen; José Agustín kann auf der Schreibmaschine und dem Computer schreiben, aber Fiktion ausschließlich mit der Hand. Hast du irgendeine Obsession, wenn es ums Schreiben geht?
Ich weiß nicht, ob das Manien oder Bedürfnisse sind, aber ich kann ausschließlich in Mantilla schreiben, in meinem Haus, morgens, mit Kaffee, Zigaretten, meinem Hund und, seit wir zusammenleben, mit meiner Frau. Es darf weder zu kalt noch zu heiß sein, noch kann ich Musik ertragen. Und um zu schreiben – schreiben im Sinne des zweiten Moments, von dem ich vorher sprach – muss ich Autoren lesen, die mich literarisch provozieren: Vargas Llosa, Cabrera Infante, Vázquez Montalbán, Updike, García Márquez, Fernando del Paso, Truman Capote … und natürlich Salinger. Abgesehen davon schreibe ich von 7.30 bis 13.00 Uhr, dann höre ich auf, weil ich dann nichts mehr zustande bringe. Und ich versuche, jeden Tag zu schreiben, von Sonntag zu Sonntag.
Bist du in Kuba für die Gesamtheit deines Werkes bekannt oder lediglich für die Kriminalromane?
In Kuba geht alles einen anderen Gang, denn weil es keinen Buchmarkt gibt, sind die Wege zum Leser unvorhersehbar. Aber ich glaube jedenfalls, dass sowohl meine Arbeit als Journalist als auch meine Romane bei vielen Lesern bekannt sind. Das wird mir fast täglich neu bestätigt, insbesondere für Conde und die Kriminalromane sowie für die alten Reportagen in Juventud Rebelde. Trotzdem erscheint es mir zu einfach, mich als »Kriminalschriftsteller« abzustempeln, denn es ist doch allen klar, dass das nicht stimmt. Ich bin ein Lügner, und wenn ich Kriminalgeschichten schreibe, dann lüge ich, weil es mir um andere Wahrheiten geht, zu denen ich gelangen will. Tatsache ist, dass ich nicht in Kriminalliteraturverlagen publiziere, weder innerhalb noch außerhalb Kubas.
Was sind deiner Meinung nach die Vor- und Nachteile der Literaturförderung in Kuba? Gibt es ein System, und wie beeinflusst es den Prozess der Herstellung eines Buches?
Natürlich gibt es kein Förderprogramm, auch wenn in den letzten Jahren viel darüber geredet worden ist. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Gründe haben eine Förderung von kubanischen Autoren immer wieder zum Scheitern gebracht. Sie leben und arbeiten auf der Insel, manchmal ohne die geringste Anerkennung ihrer Arbeit. Weißt du zum Beispiel, dass der beste Biograf der letzten Jahre, Urbano Martínez Carmenate, der viele Preise gewonnen hat, nicht einmal einen Computer zum Arbeiten hat? Oder dass Jorge Luis Hernández seinen Beruf als Schriftsteller praktisch aufgeben musste, als er sein eigenes Haus baute? Ich könnte dir unzählige solcher Beispiele von guten Autoren nennen, denen keinerlei Anerkennung widerfährt. Andererseits könnte ich von zahlreichen schlechten Autoren erzählen – ich werde es natürlich nicht machen –, die als das Nonplusultra der Literatur gelten, mit öffentlicher Anerkennung, Rezensionen, Reisen ins Ausland zu Buchmessen, auf denen sie kein einziges Buch vorstellen usw.
Ich möchte dich jetzt bitten, kurz zu antworten, welche Rolle die folgenden Dinge in deinem Leben spielen: Baseball:
Muss ich dir erst erklären, dass es im Leben nichts Aufregenderes als ein gutes Baseballspiel gibt, egal, ob es in Lateinamerika ist, in einem Yankee-Stadion oder in irgendeiner Nebenstraße? Der Ball, das Spielen mit dem Ball, den Ball zu lieben, das sind für mich Geschenke des Lebens.
Mantilla:
Das ist meine Heimat. Schrecklich, aber wahr: Ich bin aus Mantilla, und das prägt mich mehr, als Kubaner oder Habanero zu sein, im Guten wie im Schlechten.
Journalismus:
Ein Laster. Deshalb bin ich immer noch dabei, obwohl ich kaum mehr Zeit dafür habe. Vor ein paar Monaten habe ich eine Geschichte an Juventud Rebelde geschickt, also an die Zeitung, für die ich über Jahre gearbeitet habe. Sie haben mir nicht einmal geantwortet, dass sie es nicht haben wollen. Absolut nichts.
Freundschaft:
Ein Segen. Gute Freunde zu haben, sie zu sehen und zu lieben, die Freundschaft zu erhalten, das ist viel wert. Sie zu verlieren ist, als ob man dir etwas abtrennt. Tragisch ist es, wenn sie weit entfernt leben.
Lucía Lopez Coll:
Sie ist mein Gegenstück. Wir sind seit zweiundzwanzig Jahren zusammen, wir haben also fast unser ganzes erwachsenes Leben gemeinsam verbracht. Wir sind das Ergebnis eines langen Zusammenlebens. Ohne Lucía wäre ich bestimmt nicht der, der ich heute bin.
Heute sieht man dich als einen erfolgreichen Schriftsteller an. Mempo Giardinelli hat einmal zu Ciro Bianchi über den Erfolg gesagt: »Der Erfolg ist Schwachsinn. Was wirklich zählt, ist, dass der Schriftsteller sich selbst überwindet und dass es ihm gelingt, seine Zeit zu erfassen, und zwar nicht in einem dokumentierenden, sondern einem erklärenden Sinn.« Was denkst du vom Erfolg? Bist du derselben Meinung?
In gewisser Weise bin ich auch dieser Auffassung, denn der Erfolg ist eine Lüge. Wie viele erfolgreiche Autoren gibt es heute in Spanien, die reinen Müll schreiben. Und wie viele gibt es in Kuba, die keinen Erfolg haben, aber hervorragende Schriftsteller sind. Der Erfolg ist trügerisch, und wenn du mir sagst, ich bin ein erfolgreicher Schriftsteller, dann werde ich aufmerksam: Sechs- oder siebentausend Exemplare in Spanien, Frankreich oder Italien zu verkaufen ist nichts, wenn man bedenkt, dass Schriftsteller wie García Márquez, Vázquez Montalbán oder Vargas Llosa – um mal ein paar richtige zu nennen – eine viertel Million verkaufen. Wirklich wichtig ist, meiner Meinung nach, dass man sich selbst gegenüber Erfolg hat: dass man seine Fantasien besiegt, seine Ängste, seine Beschränktheit und seine Unfähigkeit, die Vereinfachung und die Selbstzensur. Dass man schreibt, was einen selbst zufrieden stellt, denn das ist das Beste, was man schreiben kann. Das habe ich immer so gehalten: Fiebre de caballos war 1984 mein bester Roman, Besseres hätte ich damals nicht schreiben können. Dasselbe gilt auch für Ein perfektes Leben von 91, für Labyrinth der Masken von 95 oder jetzt für La novela de mi vida. In jedem von ihnen versuche ich den Schriftsteller zu überwinden, der ich bis dahin gewesen bin. In jedem versuche ich so ehrlich wie möglich einen Teil der Wirklichkeit zu schildern und über meine Gegenwart sowie über meine Vergangenheit ohne Hemmungen nachzudenken. Und wenn es die Leute dann auch noch lesen und es ihnen auf irgendeine Weise beim Einschlafen, Nachdenken oder Zeitvertreiben hilft, oder sogar dabei, besser zu sein – was auch immer –, also wenn es ihnen irgendwie hilft, dann verdoppelt sich der Erfolg.
Bist du bisher mit deinem Leben zufrieden? Was würdest du machen oder nicht mehr machen, was bleibt dir noch zu tun, oder was konntest du nie tun?
Es gibt schon eine Menge Dinge, mit denen ich wirklich unzufrieden bin: dass ich nicht tanzen kann, obwohl mir die kubanische Musik so gut gefällt. Niemals in Lateinamerika gespielt zu haben, wovon ich so oft geträumt habe. Nicht Ulysses von James Joyce gelesen zu haben – es muss ein großartiges Buch sein, alle sagen es. Dass ich nicht eine Zeit lang in Paris, Barcelona, Neapel oder Lissabon gelebt habe oder dass ich nie ein Konzert der Beatles gesehen habe. Dass ich nicht in der Lage bin, das Rauchen zu lassen. Dass ich nie einen Roman wie Gespräch in der »Kathedrale« geschrieben habe. Oder dass ich es nicht schaffe, einfach mit offenem Hemd, den Anhänger auf der Brust und das Bierchen in der Hand, in der Straße herumzustehen und auf alles zu scheißen, wie es so viele in diesem Land tun. Aber es gibt auch einige wenige nicht zu verachtende Dinge, mit denen ich wirklich zufrieden bin: Ich habe nie jemanden verraten, niemanden bewusst verletzt. Ich habe eine gute Familie und eine gute Frau, und ich mag mein Haus, meinen Hund und mein Viertel. Ich habe einige Bücher geschrieben, die mir und auch anderen gefallen; und einmal, als ich fünfzehn Jahre alt war, habe ich einen Schlag bis an die Anzeigentafel des Stadions »Rafael Conte« gehauen, dort, mitten in unserem Zentralpark … Ansonsten habe ich getan, was in meinen Kräften stand, manchmal sogar, was ich wollte, und ich bereue nichts, denn ich schäme mich für nichts. Und das ist gut, oder?
Das Interview führte Gerardo Soler Cedré. Erschienen in La Letra del Escriba, Havanna, Febraur 2001