An dem Rock 'n' Roll, der den Blues als Fundament hat, hängt mein Herz, seit ich als Kind - allein und elend - ins Internat kam. Wie bei vielen meiner Generation fing auch bei mir alles an mit Radio Luxemburg, abends im Bett, das Transistorradio fest am Ohr. Fats Domino sang Ain't That A Shame - für mich und über mich. Es war immer eine ganz persönliche Angelegenheit.
Jeder Mensch, der weiß, wie kalt und trostlos und ärmlich England damals war, versteht sofort, dass eine lebenslange Romanze aus derart kleinen Anfängen entstehen kann. Jeder Mensch, der weiß, wie opahaft und langweilig und armselig der Musikbetrieb damals war, versteht sofort, warum die Stromstöße von Chuck Berry oder Little Richard eine ganze Generation galvanisiert haben. Ich finde es nicht überraschend, dass die zweite Welle - die Beatles, die Stones - dann englisch waren.
Später, als ich schon auf der Kunstakademie war, gab es Zeiten, da konnte man einfach abends in irgendeinen kleinen Club in Nord-London gehen und Blueslegenden wie T-Bone Walker und Bill Broonzy hören oder neben Mick Jagger und John Lennon stehen undzum selben Beat grooven. Lernen. In jenen Zeiten haben alle noch gelernt. Freundschaften gründeten sich auf Musikgeschmack. Es war tatsächlich eine so wichtige Angelegenheit.
Ein paar meiner Freunde von der Art School haben dann eine Band aufgemacht. Es war wahrscheinlich die schlechteste von ganz London. Ich war nicht drin. Rockmusik war Männersache. Aber ich war wild entschlossen, der Top-Super-Roadie zu werden. Das war eigentlich auch Männersache, aber die Männer wollten doch lieber alle Leadgitarristen sein oder singen. Außerdem hatte ich als einzige einen ordentlichen Führerschein. Also fuhr ich den Bus durch London und alle möglichen Provinznester. Ich schleppte Verstärker und Lautsprecher auf Bühnen und wieder herunter. Ich gab mir Mühe, den Bassisten nicht unter Strom zu setzen und versuchte, den Leadgitarristen davon abzuhalten, sich im Klo einen Schuss zu setzen. Zu meinem Job gehörte auch, dafür zu sorgen, dass die Bandmitglieder ihre Termine in diversen Entzugskliniken und bei diversen Haut- und Geschlechtsärzten einheilten. Und wenn sie mal ganz spendabel waren, durfte ich an Texten mitschreiben. Na ja, so kleine Stellen, die man sowieso nicht hört, weil alle viel zu laut spielen.
Wir spielten hauptsächlich auf Uni-Feten und in Studentenkneipen. Und zwar immer nur einmal. Die Band gehörte nicht zu denen, die man ein zweites Mal holt.
Gut, das war nicht der glamouröseste Job, den ich je hatte, aber - hey, dachte ich damals, es war Rock'n Roll. Und wir waren jung und dumm und optimistisch ohne Ende. Der Musikbetrieb, den ich heute kenne, strotzt einerseits auch vor Jugendlichkeit und Dummheit und Optimismus, aber andererseits vor Ausbeuterei und Gier. Die Band ist natürlich auseinander gebrochen. Sie hatte keine Überlebenschance gegen Flops, Bitterkeit, schlechtes Management und einen inkompetenten Roadie. Aber die Musik liebe ich immer noch.
Ich bin nicht sehr musikalisch, im aktiven Sinn, und ich trete von Natur aus auch nicht gern auf. Im Gegenteil. Aber heute singe ich in zwei A-cappella-Chören. Schlecht natürlich. Aber das Wunderbare am Singen in verschiedenen Stimmen ist, das man etwas zusammen tut, dass das immer irgendwie waghalsig ist und dass das Ganze tatsächlich viel viel mehr ist als seine Einzelteile. Es ist etwas völlig anderes als Schreiben, diese einsame, introvertierte Tätigkeit, bei der kein Mensch am liebsten mittanzen oder -singen würde. Es ist das beste Gegengift gegen zu viel Innenschau, das ich kenne.
Die Helden meiner Vergangenheit sind auch heute noch meine Helden. Wenn ich müde bin, gestresst oder einfach blue, kann Taj Mahal mich immer noch zum Tanzen bringen. Bei Nina Simone singe ich immer noch mit. Und ich hacke immer noch auf meinem kleinen Keyboard rum und versuche, die Akkorde von einem Bill-Withers-Stück rauszufummeln. Es ist ein ururalter Zauber, und er hat die Macht bewahrt, aus blue Gold zu machen.