Isabeltxu Ojeda Cruz: Die meisten Ihrer Bücher handeln von Abenteuern in einer Zeit der Korruption, der Skandale, der Morde und der unmöglichen Liebesgeschichten. Warum haben Sie dieses Genre gewählt?
Alberto Vázquez-Figueroa: Ich bin in der Wüste aufgewachsen und das Einzige, was ein Kind dort machen kann, ist lesen. Mich faszinierten die Abenteuergeschichten von Stevenson, Conrad und Jules Verne. Ich beschloss, auch irgendwann solche Abenteuergeschichten zu schreiben. Ich bin nach Madrid gegangen, um Publizistik zu studieren und 1962 habe ich angefangen, als Korrespondent für Destino zu arbeiten. Ich habe niemals eine Zeitungsredaktion betreten. Ich bin viel gereist, um schreiben zu können. Ich habe bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr in Afrika gelebt und ich kehre oft dorthin zurück. Dort gehöre ich hin, ich mag die Menschen und dort bin ich mich selbst. Inzwischen fahre ich nicht mehr so oft, denn das Reisen ermüdet mich mehr als früher. Unabhängig davon habe ich dort einige Entsalzungsanlagen installiert, die ich erfunden habe, um große Mengen entsalzten Wassers zu gewinnen – die muss ich regelmäßig besuchen. Afrika ist mein Ursprung.
Wie viel von Ihnen steckt in Ihren Figuren?
Nicht viel, täuschen Sie sich nicht. Ich versuche meine Figuren in Extremsituationen zu versetzen. Ich zwinge sie, sich allein mit den Problemen auseinanderzusetzen. Dabei nutze ich die Ortskenntnisse, die ich habe. Es ist eine schwierige Aufgabe. Manchmal sind die Umstände so kompliziert, dass ich mehrere Tage damit verbringe, sie zu lösen. Das Leben meiner Figuren hängt von ihrer Geduld ab. Alle haben einen realen Hintergrund. Ich schreibe nur über Dinge, die ich auch kenne. Das Gebiet im Tschad, in dem Bocanegra spielt, ist mir gut bekannt, denn ich habe einige Jahre in der Nähe gelebt. Andere Romane spielen im Amazonasgebiet, das ich auch kenne. Ich achte schon darauf, gut vorbereitet zu sein, bevor ich schreibe.
Viele Ihrer Bücher sind Bestseller geworden. Gibt es ein Geheimnis, wie man eine so große Anzahl von Lesern erreicht?
Meine Bücher sind nicht die klassischen »Bestseller«. Es geht in ihnen nicht um Themen wie Sex und Luxus, und sie sind nicht für einen schnellen und massiven Konsum gedacht. In meinen Büchern geht es um Abenteuer. Außerdem verschwinden Bestseller meist wenige Monate nach ihrem Erscheinen aus den Buchhandlungen. Sie haben nur einen oberflächlichen Erfolg. Einige meiner Bücher so wie Tuareg, Ébano, Océano und Mango, das aus dem Jahr 1967 stammt, werden noch nach mehr als dreißig Jahren verkauft. Ich glaube, dass das Publikum immer noch meine Bücher liest, weil die Abenteuer ihre Geltung behalten. Sie hängen nicht mit einer bestimmten politischen Situation zusammen oder behandeln keine tagesaktuellen Themen. Außerdem wenden sie sich an ein sehr breites Publikum: Ich habe Leser, die noch nicht geboren sind und Großmütter von achtzig Jahren. Das Abenteuer liegt in der Vorstellungskraft aller. Ich bringe ihnen Welten näher, die sie nicht kennen und die sie wahrscheinlich auch nie kennenlernen werden.
Seit zwanzig Jahren sagte er, dass sein Roman Tuareg (1980 – mehr als zwei Millionen verkaufte Exemplare in Spanien) unwiederholbar sei, ein Erfolg, den man nicht fortsetzen könne. Aber dann hörte er eine Geschichte, in der es um sein geliebtes Volk ging. Er wollte die Geschichte mit den Figuren bearbeiten, die er schon kannte, im Wesentlichen nur deshalb, weil er keine anderen erfinden mochte. »Die Berberstämme haben sich dagegen gewehrt, dass die Ralley Paris-Dakar weiterhin durch ihr Gebiet läuft und dabei die Brunnen und alles weitere zerstört. Es schien mir ein wichtiges Thema zu sein: Denn wir wundern uns, dass täglich ganze Gruppen von verzweifelten Leuten in Paddelbooten aus der Sahara zu uns kommen. Doch selbst schicken wir einmal im Jahr eine Phalanx von mehr als tausend Leuten da runter, die ihren Reichtum dort verschwenden, wo die Armut am größten ist. Und die Menschen dort denken: Na klar, wenn die Europäer all das auf sich nehmen, nur um sich zu amüsieren, was würden sie uns nicht alles geben, wenn wir für sie arbeiten. Es ist absurd. Wen um Himmels Willen interessiert es eigentlich, dass irgendjemand, von dem du noch nie in deinem Leben etwas gehört hast, als Erster ins Ziel kommt oder sich in irgendeinem verlorenen Dorf im Niger den Kopf einschlägt? Wen? Die großen Firmen, die überall in der Welt ihre Zigaretten- und Alkoholwerbung in die Zeitungen setzen wollen.« Er hatte eine Geschichte und »anstatt irgendwelche Tuaregs zu nehmen«, sagte er sich, »nehme ich doch lieber die, die ich schon kenne. Der Tuareg, der damals im ersten Roman die Hauptfigur gewesen war, war schon tot, aber seine Anwesenheit ist in diesem ganzen zweiten Buch spürbar.« Noch einmal die Geschichte der Völker der Wüste erleben: Eine Hommage an seine Kindheit in der Sahara.
»Ich lebte in einer Dorfgemeinschaft, die sich um das militärische Fort herum gebildet hatte. Ich habe meine ganze Kindheit damit verbracht, mit ihnen durch die Wüste zu streifen, sie haben mir alles beigebracht, was ich vom Leben wusste. Dieses Mal musste ich nicht einmal an den Ort des Geschehens reisen: alles war in meiner Erinnerung vorhanden. Das sind die ersten Erinnerungen, die man nie vergisst.«
Er wurde in dem Schicksalsjahr 1936 geboren (in Santa Cruz de Tenerife), während seine Mutter niederkam, wurde sein Vater im Gefängnis zum Tode verurteilt. Seine Strafe wurde umgewandelt in die Deportation nach Afrika. Nein, Vázquez-Figueroa erinnert sich nicht an die Ereignisse (»Wie soll ich mich daran erinnern, wenn ich gerade erst ein Jahr alt war?«): das Haar geschoren und in Handschellen mit der ganzen Familie nach Marokko verfrachtet. Der Vater war Telegrafist bzw. Telekommunikationsingenieur – wie sein Sohn heute erzählt – und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Schreibmaschinen, weil er seinen Beruf nicht ausüben konnte. Elend. Vázquez-Figueroa erwähnt immer die tragischen Umstände des Todes seiner Mutter, als er erst neun Jahre alt war. Kann er oder will er sich daran erinnern? »Ja, ich kann mich daran erinnern. Meine Mutter hat so unter dem Bürgerkrieg gelitten, als sie schwanger und ihr Mann im Gefängnis war, der Bruder und der Mann zum Tode verurteilt, Flüchtlinge. Sie bekam eine gewaltige Depression und hat schließlich Selbstmord begangen. Aufgrund dieser Tragödie bekam mein Vater eine derartige Schwindsucht, dass er sich sechs Jahre lang in einem Sanatorium immer zwischen Leben und Tod befand. Mich schickten sie zu einem Onkel, der in einem Militärfort in der Wüste lebte, mein einziger Bruder wurde nach Venezuela geschickt. Mein ganzes Leben brach wie ein Kartenhaus zusammen. Wenn man mich fragt, warum mir der Krieg nichts ausmacht, sage ich, dass ich immun geworden bin: meine Kindheit war unglaublich hart.«
Der Onkel, ziviler Verwaltungsbeamter des Forts, begründete Vázquez-Figueroas Vorliebe für Abenteuergeschichten. »Mein Onkel war ein großer Leser. Er und meine Mutter sind auf der Isla de Lobos groß geworden, als Kinder des Leuchtturmwärters, als einzige Bewohner der Insel. Mein Großvater war ein sehr belesener Leuchtturmwärter. In meiner Familie gab es immer eine große Leidenschaft für die Lektüre. Und was sollte ich in der Wüste anderes machen? Mit den Einheimischen spielen und … lesen. Es gab weder Schule noch Abitur. Mein Onkel gab mir alle möglichen Bücher, nicht nur Romane.« Sodass Alberto Vázquez-Figueroa, als er im jugendlichen Alter erstmals über seine Zukunft nachdachte, sich wieder zurück in die Zivilisation einschiffen musste, zurück nach Santa Cruz de Tenerife. »Was Philosophie, Geschichte, Literatur und Geografie betrifft, war ich sehr viel besser vorbereitet als die Jungs in meinem Alter. Andererseits hatte ich große Mängel in Mathematik, Latein usw.«
Er hatte das Glück, dass er in den Kursen mit den Geistlichen das eine durch das andere kompensieren konnte. Er muss sich wie ein Zirkusaffe gefühlt haben, der Junge aus der Wüste. »Ich musste vier Nummern größere Schuhe tragen, weil meine Fußsohlen nur aus Schwielen bestanden, ich war dürr und fast schwarz. Auch heute bin ich immer noch ein komischer Kerl, aber es hat mich nie gekümmert, was die Leute von mir denken – worum ich mich kümmere, ist, ob ich glücklich bin.« Mit der Zeit begann er zu schwimmen, ganze Meereslängen hat er an der Küste der Sahara durchschwommen. Schließlich trat er in die spanische Schwimmannschaft ein. Später wurde er Tauchlehrer und fuhr zwei Jahre mit Cousteau auf einem Schulschiff. Aber was der Junge wirklich machen wollte, stand in Büchern geschrieben.
»Ich wollte wie die Männer sein, die außergewöhnliche Dinge erzählen. Denn sie ließen mich träumen, sie brachten mich an fantastische Orte, wo ich nie gewesen war, sie ließen mich vergessen, es war großartig. Deshalb bin ich Journalist geworden und deshalb habe ich mich zwei Kriegen ausgesetzt: Ich habe gelernt, auch diese Seite der Welt zu sehen.«
Bald gelang es ihm, davon zu leben, dass er Berichte über seine Reisen in Zeitschriften veröffentlichte. Seit er bei La Vanguardia arbeitete, wurde er mit siebenundzwanzig Jahren der bestbezahlte junge Journalist des Landes – ein Glücksfall. Doch schon bald war er nicht mehr auf Rosen gebettet. Denn er spielte in der Politik mit, als er sich mehrmals auf die Seite derer stellte, die sich gegen die Macht auflehnten. »Der Wandel ist eine Notwendigkeit. Sich an etwas zu gewöhnen, wie gut es auch sein mag, produziert auf die Dauer Unzufriedenheit. Ich wurde gut bezahlt und ich fühlte mich prächtig. Aber was ich wirklich wollte, war, Schriftsteller zu werden, und ich war dabei, es zu versäumen.«
Er war vierzig Jahre alt. Abgesehen von den zahllosen Reportagen war sein Traum vom Schreiben nicht in Erfüllung gegangen. Aber diesmal kniete er sich rein, brach alles ab und machte nichts anderes. Er schrieb Ébano und erreichte in drei Monaten ungeahnte Verkaufszahlen. Wusste er, wie man erfolgreich wird? »Hm, … nein, das ist unergründlich«, sagt er. »Den Leuten hat der Roman gefallen und alles ging los. Warum? Die Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg ist so schmal, das es sich nicht lohnt, über die Gründe nachzudenken.«
Vázquez-Figueroa erzählt seinen Tagesablauf: »Sich im Schwimmbad sonnen, schreiben, wenn einem danach ist, dazu noch Bücher, die wunderbar bezahlt werden, umgeben von meinen Kindern, glücklich mit meiner Frau und meinem Ausflugsboot und meinen Dominopartien am Sonntagnachmittag, kein Problem am Horizont.« Aber eines Tages entdeckte er, dass Wasser, siebenhundert Meter ins Vakuum geschleudert, entsalzt wird. Wenn er bis dahin das seltene Glück genossen hatte, von seinen Romanen zu leben, warum sollte es nicht gelingen, ein neues Risiko zu wagen? Er nahm eine Hypothek auf und versuchte der Welt zu zeigen, dass er recht hatte: »Jetzt bin ich um zweihundert Millionen Peseten ärmer, aber auch glücklicher. Wir sind nah daran, Jordanien und Palästina einen kostenlosen Süßwasserfluss zu bescheren.« Zweihundert Millionen für Patente, Analysen und den Aufbau der Entsalzungsfirma AVF. »Jetzt will ich erreichen, dass wegen Wassermangels anstatt acht Kindern pro Minute nur noch vier sterben. Dass die Menschen trinken und nicht mehr mit kontaminiertem Wasser leben. Wenn ich es nicht probiert hätte, hätte ich wirklich alles verloren, zuallererst den Glauben an mich selbst, weil ich nicht genug Mumm hatte, es durchzuziehen. Diese sechs Jahre des Kampfes und der Träume nimmt mir niemand mehr, auch wenn mir die zweihundert Millionen keiner ersetzt.«