Gespräch mit Helen Zahavi
Während der ersten zwei Drittel von Helen Zahavis neuem Roman Donna und der Fettsack versucht die weibliche Hauptfigur eine brutale, bestialische Tat zu verstehen, die von der männlichen Hauptfigur begangen worden ist. »Das ist doch der Punkt, meine Liebe«, antwortet er. »Es geschah ohne besondere Absichten.«
Genau darum geht es. Zahavis drittes und bestes Buch dreht sich wieder um die kontrollierte Wut der Autorin gegen mutwilligen Machtmissbrauch, ein Thema, das sie 1990 mit Schmutziges Wochenende anging und 1994 mit True Romance weiterführte. Und jetzt, nach weiteren vier Jahren, ist ihre Wut kontrollierter denn je. Sie hat einen Roman geschrieben, der gleichzeitig witzig und beängstigend ist. Frei von den farcenhaften Elementen in Schmutziges Wochenende und der morbiden Selbstbeobachtung in True Romance lebt Zahavis neuer Roman sowohl von Elementen des Thrillers als auch des Rachedramas.
Rache spielt in Zahavis Denken eine große Rolle. In diesem Buch ist Rache »mehr als süß. Sie ist wie eine Crème brulée.« Es geht »nicht nur um das Recht, sich zu rächen, sondern um die Pflicht – um die physische und psychische Notwendigkeit«. Zahavi stellt fest, dass in der modernen, zivilisierten westlichen Gesellschaft der Impuls zur Rache unterdrückt wird, und glaubt, dass in dieser Hinsicht die Boulevardblätter der Realität näher kommen als die renommierten Zeitungen.
»Manchmal werden Verbrechen begangen, die so schrecklich sind, dass es beinahe übermenschlich ist, vom Opfer oder der Familie des Opfers zu erwarten, sich nicht zu rächen«, sagt Zahavi. »Ich denke an ein einfaches Verbrechen, ohne politischen Hintergrund, an ein Verbrechen, das mutwillig und nur zur eigenen Befriedigung verübt wird.« Mit Henry, dem Fettsack, hat sie »den puren Kriminellen und Psychopathen geschaffen; er macht, was er macht, weil er es kann. Die Leute lassen ihn gewähren, weil sie seine Macht respektieren.« Zahavi argumentiert, dies sei ein extremes Beispiel, das sich aber aus ganz alltäglichen Zusammenhängen ergibt. »Unsere Beziehungen werden stark geprägt von einer unbewussten Anerkennung dessen, der Macht besitzt. Häufig sind wir nicht deshalb höflich zu anderen, weil wir sie besonders schätzen, sondern weil sie mächtig sind. Sie können uns verletzen oder schaden, sie können uns einstellen oder rauswerfen. Die meisten Menschen halten sich unter Kontrolle und sind dabei voller Groll.«
Vielleicht legt sie deshalb so großen Wert darauf, ein nomadenhaftes, eigenständiges Leben zu führen. Sie hat an den verschiedensten Orten in England, Frankreich, Israel und Irland gelebt. Dazu kommt, dass sie ein konsequentes Single-Leben führt, seit sie ihr erstes Buch geschrieben hat. In ihrer Kindheit hat wenig auf ein solches Leben hingewiesen. Sie wuchs in einer »normalen« Familie im Nordwesten Londons auf, besuchte das Gymnasium. Danach machte sie einen weiten Bogen um die Universität, lernte Russisch und wurde Übersetzerin. »Aus einer meiner Launen heraus« zog sie nach Brighton. Dieser Ort faszinierte sie ungemein. »Ich fand Brighton außergewöhnlich, vibrierend, es pulsierte vor Leben, Hoffnung, Verzweiflung und Verwahrlosung. Es war das einzige Mal, dass ich eine Wohnung kaufte.« Hier, in dieser Umgebung, wurde Zahavi inspiriert, Schmutziges Wochenende zu schreiben.
Schmutziges Wochenende ist die Geschichte von Bella, die einen Telefontäter, der sie bis aufs Blut gequält hat, mit einem Hammer erschlägt. Daraufhin reißt sie weitere Männer auf, um sie dann lustvoll zu töten. Die Geschichte dieser Mordorgie an der Südküste wurde zur Sensation, das Buch verfilmt.
Zahavi und ihre Heldin Bella wurden zu Ikonen für Feministinnen und zum Schandfleck für andere. Sie wehrt sich gegen diese Rolle: »Es gab auch viele Männer, die sich mit Bella identifiziert haben, mit dem Underdog, der zurückschlägt. Das Buch ist nicht geschlechtsspezifisch. Ich denke, dass die heutigen geschlechtlichen Klischees diskriminierend sind. In Donna und der Fettsack ist es Donnas Freund Joe, der letztlich zum Opfer wird. Sie verführt ihn. Er ist der Unschuldige, und ihm wird Gewalt angetan, im direkten und im übertragenen Sinn.«
Es fällt auf, dass Joe »die weibliche Rolle einnimmt«. Ich frage sie, ob sie den Männern zeigen möchte, wie es ist, eine Frau zu sein. Sie meint dunkel: »Es wäre doch schön, wenn sie eine leise Ahnung davon bekommen, finden Sie nicht?«
Es gibt in diesem Buch zwei weitere zentrale männliche Figuren, zwei junge, schnoddrige und aufgeblasene Londoner Gangster. »Ich habe gewalttätige Männer angetroffen, die so sind«, sagt Zahavi. »Sie geben sich gerne witzig, sie sind unterhaltsam. Oft werden sie erst dann unangenehm, wenn man näher mit ihnen zu tun hat.«
»Frauen spüren das die ganze Zeit«, fügt Zahavi an, »nicht nur mit wirklich gewalttätigen Männern. Sie fühlen sich bis zu einem bestimmten Grad gegenüber allen Männern verletzlich. Deshalb können Frauen so charmant sein. Aus Angst vor der Möglichkeit, dass der Mann tätlich werden könnte, versuchen sie, ihn nicht zu beleidigen. Ich spreche nicht von allen Männern, doch es gibt genug von der Sorte.
Die Furcht vor der weiblichen Sexualität ist ein wichtiger Faktor in der Psyche vieler Männer und erklärt einen großen Teil ihres Verhaltens. Es ist erschreckend, dass man Partner haben kann, die sehr stark und dabei gleichzeitig verstört und verbittert sind. Doch während es Männer gibt, die Frauen aus der Furcht vor ihrer Sexualität heraus wirklich hassen, gibt es nur sehr wenige Frauen, die die Männer hassen. Die Männer sprechen von männerhassenden Frauen, doch ich finde, dass die Frauen die Männer viel zu sehr mögen. Sie finden sich mit vielem ab, werden mit vielem fertig, lassen zu, verzeihen.«
Ihre eigene Haltung Männern gegenüber beschreibt sie als »warm und sehr entspannt. Die meisten meiner Freunde sin
Männer. Die Beziehung zwischen Männern und Frauen hält die Welt in Bewegung. Sie inspiriert mein Schreiben. Die Wechselwirkung zwischen Frauen und Männern in allen Formen und Perversionen interessiert mich. Ich finde, dass Frauen implodieren, Männer hingegen explodieren.«
Explosion ist zur Genüge vorhanden in Donna und der Fettsack. Es ist, als ob Quentin Tarantino im Norden Londons eine Studienreise gemacht hätte. Kein Wunder, dass der Stoff filmische Qualitäten aufweist. Mit den witzigen Dialogen und lebendigen Ortsbeschreibungen ist das Buch eine Huldigung an die wenigen Cockney-Gangsterfilme, die sich gegen die großen Hollywoodstreifen behaupten. Der Beispiele sind nicht viele, doch zwei der unvergesslichsten Filme, The Long Good Friday und Performance, sind nahe liegender Weise unter Zahavis Favoriten.
Michael Winner, der Regisseur von Dirty Weekend, wird diesmal aber kaum zum Zug kommen. Helen Zahavi war von der Filmversion ihres ersten Buches sehr enttäuscht. »Ich unterstützte den Film zwar, als er herauskam, doch es war nicht mein Buch. Die Dynamik, das Gefühl, die Angst waren verloren gegangen. Die Gewalt im Buch unterscheidet sich sehr von der Gewalt im Film, die fade ist.«
Fadheit kann man Helen Zahavi nun wirklich nicht vorwerfen. Sie hat das einer professionellen Übersetzerin eigene Gefühl für das richtige Wort. Ihre Prosa ist durchzogen von witzigen literarischen Anspielungen, und ihre Freude an der Sprache wird deutlich durch kleine Details, wie zum Beispiel die Namen ihrer Heldinnen. Doch obwohl Bella und Donna zusammengehören, besteht ein thematischer Unterschied. »Ich identifizierte mich mit der Geschichte von Bella«, sagt Zahavi mit dem für ihr Schreiben typischen lächelnd_bedrohlichen Unterton. »Ich handelte wie sie, als ich Schmutziges Wochenende schrieb. Donna hingegen ist nur eine Figur innerhalb des Romans, zusammen mit drei Gangstern und ihrem Freund, dem Fahrer der Gangster.«
»Donna«, fährt sie fort und zündet dabei ihre Gauloise an, »ist das Mädchen von nebenan – passen Sie bloß auf.«
Gerald Jacobs Independent on Sunday, 10. Mai 1998