»Der größte Schriftsteller Chiles . Ein Gigant!«
Zwischen den großen Schriftstellern Chiles wie Vincente Huidobro, Gabriela Mistral, Luis Sepúlveda und allen voran Pablo Neruda ist uns Francisco Coloane seltsamerweise immer entwischt. In seiner Heimat ist er schon seit den 60ern berühmt dank seinen realistischen Erzählungen aus dem äußersten Süden, heute wird er mit dem Erzählband Feuerland, 1963 in Chile erschienen, auch in Frankreich bekannt. Neben Sepúlveda, der im Vorwort verkündet: »Der größte Schriftsteller Chiles . Ein Gigant!«, hat er noch einen anderen Bürgen - Alvaro Mutis, der dieses Werk »voller Elemente des Unheils« schätzt und lobt.
Gemeinsam ist den drei Autoren der Abenteuerroman, der in dieser »Welt am Ende der Welt«, in diesen - in unseren Augen - ebenso mysteriösen wie gefährlichen Gegenden spielt: das berüchtigte Feuerland, Patagonien, Amazonien . wo noch etwas von Amerika und seinem exotischen Traum Bestand hat.
Feuerland gleicht einem Monument aus Worten zu Ehren des Landes. Wie der lakonische Titel suggeriert, beherrscht bei Coloane die Landschaft - gemeinsamer Punkt der verschiedenen Erzählungen - alles: die Sehnsüchte und Träume der Helden oder Antihelden, die übrigens nur in ihrer Beziehung zu Feuerland existieren: Sind es denn nicht immer Goldsucher, Männer, die nach Fotos oder Walen jagen, entwurzelte Matrosen oder melancholische Schmuggler? Ob es nun ihr Wahn ist oder ihr Erinnerungsvermögen, die diese urtümlichen, unbezwingbaren Landschaften hervorrufen . aber wie könnte es anders zugehen im »Land des Vergessens« (so der Titel der sechsten Erzählung).
Es ist, als zögen diese verlassenen Gegenden nur Abenteurer, Außenseiter, Glücksritter, von der öffentlichen Macht Verdammte an. »In meinen Romanen und Erzählungen versuche ich, die Seele des chilenischen Menschen zu schildern«, erklärt Coloane, »vor allem der Feuerländer und der Bewohner der Insel Chiloé, die im täglichen Kampf mit dem Meer stehen, umgeben von den Klippen der Kordilleren, die vor Jahrtausenden von den gewaltigen Gletschern des Südpols geschliffen wurden und heute vom wildesten Ozean der Welt umspült und zerklüftet werden. Vor dieser grandiosen Kulisse lebt ein Mensch, einmal schwach wie eine Brise, einmal gewaltig wie der Westwind .«
Coloane, Sohn des Kapitäns eines Walfangschiffs und selbst ein leidenschaftlicher Meeresbezwinger, erzählt uns in klarer, schnörkelloser Sprache geradezu »klassische« Geschichten, die im Atomzeitalter anachronistisch scheinen könnten, die aber gerade mit ihrem Hauch von Jugendträumen und -sehnsucht (in der Art von Herman Melville, Joseph Conrad oder Jack London) faszinieren. Mit dem Schauer des Verbotenen, das die Monotonie des Lebens erschüttert, mit dem Geschmack des Abenteuers, das ohne Zweifel wiederaufersteht in den starren Jahren unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts.
Marie-France Renard
Libre Belgique, 26. März 1994
Francisco Coloane ist ein legendärer Schriftsteller in Chile. Und Feuerland ist sein Meisterwerk.
Stilisten und Goldsucher - derselbe Kampf? Sie sind gleichermaßen Träumer und Abenteurer, streben nach einer Form des Absoluten, nach dem perfekten Satz wie nach der unentdeckten Goldader. Aber ach! Sie stoßen selten auf einen Schatz, und ihre Arbeit ist mehr Transpiration als Inspiration. Das Gold gewinnen sie aus der Erde, indem sie sie waschen und sieben, wieder und wieder, bis zur Unendlichkeit. Den perfekten Satz destillieren sie auf dieselbe Weise, sie befreien ihn vom Ganggestein seiner überflüssigen Wörter, Einschübe, Adverbien oder Rost, sie lesen ihn, wieder und wieder, sieben und filtern.
Warum ist der Chilene Francisco Coloane ein hervorrageder Schriftsteller? Warum sein Erzählband Feuerland ein Buch, in dem die wilde Kraft des Ozeans brüllt, die Weite der Pampa ruft? Ganz einfach weil dem Autor nichts vom Leben der Goldsucher fremd ist, demzufolge auch nichts von der Arbeit des Stilisten (und umgekehrt). Er weiß genau, daß sein Stil nicht nach geschlossenen Räumen riechen noch metapherngesättigt einherschreiten oder sich mit Adjektiven schmücken darf, wenn er die lakonische Gewalt seiner Abenteurer, verloren in den weiten Ebenen Patagoniens oder in der schrecklichen Einsamkeit von Feuerland, beschreiben will. Im Gegenteil - ursprüngliche Roheit. Reinheit. Geschwenkt und gesiebt. Da ist sie wieder, die Arbeit des Goldwäschers!
Ein Verwandter, ein Vertrauter der Goldsucher also, Coloane? Aber das ist noch nicht alles! Als Sohn eines Walfänger-Kapitäns wuchs er zwischen Robbenjägern, Tauchern und Schatzsuchern auf und hörte den Erzählungen der Yaghan- und Alakaluf-Indianer zu. Später arbeitete er selbst auf einem Walfänger, dann auf einer Schafzucht, leitete Erdöl-Prospektierexpeditionen, pflügte die Wellen der südlichen Meere, nahm an der Rettung in Seenot geratener Schiffe teil . (diese biographischen Angaben verdanke ich dem begeisterten Vorwort von Luis Sepúlveda, das dieser der ersten Übersetzung von »Tierra del Fuego« widmet). 1956, als Coloane dieses Buch schrieb, war er sechsundvierzig Jahre alt und bereits der beliebteste Schriftsteller seines Landes. Ist er heute, mit über achtzig Jahren, zur Legende geworden?
Wie dem auch sei, die Stärke dieses legendären Schriftstellers liegt gerade darin, daß er sich weigert, Legenden zu schreiben. Er verfällt nicht in Andacht oder Begeisterung vor seinen Glücksrittern, die - nach einer verlorenen Schlacht gegen einen tyrannischen Goldsucher - am Strand Gold finden, das durch das Skelett eines angeschwemmten Wales gesiebt worden ist; er hält sich mit der Poesie, der halluzinierten Gewalt dieser Vision nicht auf. Nichts ist in seinen Augen gewöhnlicher als ein mörderischer Wolfsjäger, ein vor Einsamkeit und Stille wahnsinnig gewordener Greis in einem Tal, einem »Land des Vergessens«, ein Buchhalter einer Farm, der sich in der Nacht verirrt, in einer Höhle wiederfindet und eine Form der Vertrautheit mit dem Höhlenmenschen prähistorischer Tage entwickelt .
Coloane macht nichts anderes, als von seinen Freunden zu berichten, den Männern des Feuerlandes. Auf einen Schlag zieht sich unser Herz zusammen. Und unsere Vorstellungskraft weitet sich. »Ich habe einen Fischer gesehen,« erzählt er nebenbei, »der sein Essen jeden Abend ins Meer warf, genau an jener Stelle, wo seine Frau ertrunken war.« Als ob er die Hoffnung hegte, sie wieder auftauchen zu sehen, als ob es für ihn außer Frage stände, daß er dem geliebten Mund zu essen gäbe. Sie sehen, das ist ganz einfach. Und sublim.
Frédéric Vitoux
Le Nouvel Observateur, 20. Januar 1994
Alvaro Mutis sieht ihn als den Jack London des Südens, Luis Sepúlveda hält ihn für den größten Schriftsteller Chiles: Francisco Coloane.
In seinem begeisterten Vorwort erzählt Sepúlveda, wie Coloane ohne anzuklopfen den Elfenbeinturm der Literatur betrat, als ob er im Zentrum so mancher Bestimmung und Konvention verkünden wollte: »Ich komme vom Ende der Welt, mit Worten, die von allen bösen Winden des Südens gepeitscht wurden; ich komme von einem Horizont, wo die Ozeane sich aufeinandertürmen, übereinanderstürzen, ich komme aus einem Land von Feuer und Eis.«
Wie die »payadores«, die vagabundierenden Bänkelsänger im äußersten Süden Amerikas, erzählt er Balladen von Abenteuern und Schicksalen, offen, ja brutal, unvergänglich und voller Sehnsucht. Mit dem Atem unendlicher Räume komponiert er so packende Schilderungen der ungezähmten Natur und der durch sie geprägten Menschen, und er beklagt das Unrecht, das andere, die von so weit her kommen, daß sie sie nicht verstehen können, dieser Natur zufügen .
Keine »Literatur«, sondern eine ursprüngliche Kraft, die uns packt, uns fasziniert.
Daniel Walther
Dernières Nouvelles d'Alsace, 6. Januar 1994
Lichtjahre entfernt vom spanischen Barock, von dem wir bis zum Überdruß gehört haben, erzählt die herbe, ursprüngliche und lakonische Schreibweise Francisco Coloanes Geschichten über den extremen Süden Chiles, über verlorene Männer in diesem absoluten Finisterrae.
Einige Seiten genügen unserem Autor schon, um unvergessene Porträts einer ganzen Bevölkerung verlorener Gauchos, gestrandeter Matrosen, Schmuggler, Aufständischer auf der Flucht, Ausgestoßener, auf der Suche nach Solidarität oder Haß ewig Umherirrender zu entwerfen. Die Beschreibung der unaufhörlichen Kämpfe, die die Männer gegen die Übermacht der feindlichen Natur liefern, gehören mit zu den intensivsten Momenten dieser in epischen Dimensionen vibrierenden »Tierra del fuego«.
Sowohl unter den Matrosen, die an Land gekommen sind, um einen der ihren zu begraben und die den Sarg im Schnee bis zum Frühling vergessen, als auch bei den beiden einer Revolte entwischten Goldsuchern und unter den in der Einsamkeit der Weite verlorenen Reitern ist die Beklemmung weniger metaphysisch als physisch, und dennoch, hinter all dieser Brutalität, die uns erfaßt, erscheint eine Gewissheit: jedes Leben erschafft sich sein Schicksal.
Gérard de Cortanze
Figaro Magazine, 12. Februar 1994
Die Welt Coloanes ist ausschließlich von Männern bevölkert. Und dies scheint ganz normal. Die Einsamkeit ist ihre einzige Geliebte, die Unermeßlichkeit ihre einzige Gesellschaft. Und wenn zwei von ihnen ein Stück Weg gemeinsam gehen, wissen sie schon im voraus, daß eines Tages jeder seinen eigenen, einsamen Weg fortschreitet. Stärker als die Frau, stärker als der Alkohol, stärker sogar als das Leben selbst ist das Gold. In seinem Namen ist alles erlaubt, Diebstal, Verrat, Totschlag. Und auf den schwarzen Sandstränden, die vom weißen Schaum benetzt werden, zwischen Walknochen schürfen sie Gold ohne Unterlaß, ohne ein Wort zu sprechen, die anderen belauernd, zu allem bereit. Sie wiegen die Nuggets und gehen ihres Weges. So ist das Leben in der Welt am Ende der Welt.
Coloane, der Mann mit der Haltung eines Seemanns, der Riese mit dem nun so weißen Haar und Bart, aufrecht auf seinem Boot, erforscht unermüdlich die Weite des Ozeans. Wovon träumt er? Wenn er nur wüßte, wie er uns mit seinen wunderbaren Geschichten voller Unruhe und Sehnsucht erschauern läßt. Aber dort, in der Welt am Ende der Welt, sollte man nicht mit überflüssigen Worten stören. Coloane schreibt. Also muß man einfach warten. Man möchte ihm nur ein unauffälliges Zeichen mit dem Kopf geben, als Gruß, dort unten, am äußersten Ende des Piers.
Martine Laval
Telerama, 16. März 1994
Tierra del Fuego
in: Le Figaro
von Isabelle Nataf
Keine beengende Atmosphäre wie bei geschlossenen Türen. Nein, der Chilene Francisco Coloane - für einige der Jack London der lateinamerikanischen Literatur - liebt nur weite Räume, vorzugsweise vom Wind gepeitschte Gegenden der Verzweiflung, von Gebirgsketten ausgezackt, vom Eis durchbohrt. Die Personen, die auf beunruhigende Art und Weise in diesen Kurzgeschichten von Feuerland auftauchen sind Außenseiter, die alles verpassen und die ihre Rettung nur dem Überlebensinstinkt verdanken: Essen, schlafen, kämpfen, sich erinnern. Seeleute, die an alten, außer Betrieb geratenen Kähnen hängen, Aufständische auf der Flucht, Schmuggler, Robbenjäger, Ausgestoßene - alle von diesem Großen Süden erfaßt. »In diesem grandiosen Theater lebt der Mensch, bald so schwach wie eine Brise, bald so mächtig wie der Westwind« sagt Francisco Coloane zu seinen Kurzgeschichten. Ein Schriftsteller von der Größe eines Joseph Conrad oder Herman Melville.