Friedliche Engel
Der Krieg der skandinavischen Rocker
Von Elke Wittich
Nachdem sich die Rockergangs Bandidos und Hell's Angels in Skandinavien jahrelang blutige Kämpfe mit insgesamt zwölf Todesopfern geliefert hatten, war es 1997 endlich soweit: Nach langen Verhandlungen unter Leitung des dänischen Rechtsanwalts Thorkild Høyer, in deren Verlauf skandinavische Anführer beider Gruppen auch in Washington waren, wo die internationalen Chefs in die Gespräche einbezogen worden waren, konnte der Abschluss der Friedensverhandlungen live in der Hauptnachrichtensendung des dänischen Fernsehens verkündet werden.
Eine Frage der Motorradfahrer-Ehre waren diese Auseinandersetzungen nicht. »Motorrad-Klubs sind Gelddruckmaschinen« schrieb das norwegische Dagbladet schon 1995, der Krieg der Rocker war in Wirklichkeit ein Verteilungskampf um den skandinavischen Absatzmarkt, auf dem es viel Geld zu verdienen gibt: Alkohol ist sehr teuer und man kann nur in staatlichen Läden kaufen. Vorrangiges Ziel der skandinavischen Alkoholpolitik ist es nämlich nicht, möglichst viel Ware zu verkaufen, sondern die Bürger vom Trinken abzuhalten.
In Interviews bestritten die Bandidos und die Hell's Angels diese Theorie jeweils vehement und stellten sich gerne als Opfer einer skandinavischen Polizeiverschwörung und als freiheitsdurstige Individualisten dar. »Die kollektive Haltung der Angels war immer eine faschistische«, schrieb Hunter S. Thompson dagegen in seinem 1967 erschienenen Buch Hell's Angels. Diese Erfahrung hatten 1965 schon die gegen den Vietnam-Krieg Protestierenden machen müssen - Hell's Angels hatten ihre Kundgebung unter Rufen wie »Kommunisten!« und »Verräter!« gesprengt. Die Überfallenen waren erschüttert, immerhin hatte man die Angels als individualistische und revolutionäre Aussteiger gesehen, und dann das - 15000 Hippies ließen sich von einem Dutzend Rocker einschüchtern. Trotzdem hofften sie weiter auf die Angels als Verbündete - Allen Ginsburg verfasste sogar ein Gedicht To the Angels, in dem er sie bat, »Camrado, Freund, Geliebter« zu sein und bei der nächsten Demo mitzumarschieren. Einen Tag vorher verkündeten die Angels allerdings auf einer Pressekonferenz, an diesen »unamerikanischen Umtrieben« nicht teilnehmen zu wollen. Gleichzeitig verlas Angels-Präsident Barger ein Telegramm an Präsident Johnson, in dem er sich und seine Jungs als freiwillige Kämpfer in Vietnam anbot. Die jüngeren Mitglieder der Hell's Angels waren außerdem schon Mitte der Sechziger ins Heroingeschäft eingestiegen.
Dass die skandinavische Polizei bei Hausdurchsuchungen bislang außer Waffen noch nie illegale Ware entdeckte, sieht sie eher als Beweis für ihre Theorie, daß die Klubs eigentlich dem organisierten Verbrechen zuzuordnen sind, dem Drogen- und Alkoholschmuggel, der Schutzgelderpressung und der Prostitution - auf einem zur Zeit heiß umkämpften Markt. Die Angels sahen ihre Monopolstellung deshalb durch die Konkurrenz der Bandidos bedroht.
Eine der Hauptfiguren im jüngsten Verteilungskampf war der Däne Michael Garcia »Lerche« Olson. Aufgewachsen in einem reichen Elternhaus, ging die Sache mit der bürgerlichen Karriere gründlich schief. Als 1979 eine dänische Abteilung der weltweit agierenden Motorradgang Hell's Angel gegründet wurde, gehörte Olson zu den ersten Mitgliedern. Ein knappes Jahr später wurde er wegen Mordes an einem Aussteiger zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, was sich bei den Angels jedoch nicht karriereknickend auswirken muss: Nach seiner Entlassung stieg er zum Klubpräsidenten auf.
1986 war die Angels-Laufbahn dann allerdings auch schon wieder zu Ende. Eine offizielle Begründung gab es zwar nicht, aber anscheinend hatte Lerche Geld aus illegalen Geschäften unterschlagen und Einkünfte aus mindestens einem von den Rockern betriebenen Kopenhagener Bordell für sich behalten. Das bedeutete die Höchststrafe, unehrenhafte Entlassung, genannt »bad stand«: Alle Gegenstände mit dem Hell's-Angels-Symbol sind sofort abzuliefern (mit dem Verkauf dieser Devotionalien wird der Defense Fund, der Verteidigungsfonds für straffällig gewordene Mitglieder, finanziert), und einschlägige Tätowierungen zu ändern. Ferner ist es untersagt, sich weiter im Biker-Milieu aufzuhalten und eine Harley Davidson zu fahren. Ein Aufenthaltsverbot für Kopenhagen kam in Lerches Fall hinzu.
1993 wurde der kleine Motorradklub, dem sich Olson sofort nach seinem Rauswurf angeschlossen hatte, dann zur dänischen Filiale des US-amerikanischen Mutterklubs MC Bandidos - und zur massiven Konkurrenz für den Marktführer Hell's Angels. Schnell stieg Lerche zum so genannten Kriegsminister auf und wurde überdies Leibwächter des Klubchefs von ganz Skandinavien. Diesen letzten Job erledigte er allerdings bemerkenswert erfolglos: Michael »Joe« Lundgren wurde 1995 auf einer schwedischen Autobahn erschossen, kurz nachdem er seinen Bodyguard weggeschickt hatte.
Dann wurde Lerche zum Hauptangriffsziel der Angels-Attacken. 1996 entging er nur knapp einem Maschinenpistolenangriff auf dem Osloer Flughafen Fornebu. Bis dahin war Norwegen von den Auseinandersetzungen verschont geblieben: Während sich in Dänemark und Schweden schon Anfang der Neunziger Bandidos und Angels mit bei Überfällen auf Militärdepots erbeuteten Panzerabwehrraketen beschossen, kam es in Norwegen lange Zeit nur zu Brandanschlägen auf die mit Stacheldraht, Flutlicht und Videoüberwachung festungsartig ausgebauten Klubheime. Dabei war die Situation dort noch etwas unübersichtlicher, denn es standen sich gleich mehrere Gangs, allesamt assoziierte Mitglieder US-amerikanischer Mutterklubs, gegenüber: Hell's Angels und der MC Norway mit Hauptsitz in Trondheim auf der einen, Bandidos und Outlaws, die Oslo und Umgebung kontrollierten, auf der anderen Seite.
Im Frühjahr 1997 gab es jedoch auch in Norwegen das erste Todesopfer. Bei einem Bombenanschlag auf das Drammener Klubheim, der Lerche galt, wurde eine zufällig vorbeifahrende Autofahrerin getötet.
Das dänische Gesetz, wonach es den Klubs verboten ist, ihre Vereinsheime in bewohnten Gebieten einzurichten, wurde danach auch in Norwegen übernommen. Und Bandidos und Hell's Angels sorgten gemeinsam dafür, dass die Norweger Maßnahmen diskutierten, die sie bislang immer strikt abgelehnt haben, Telefonüberwachung beispielsweise, die bislang nur in schweren Fällen, wenn z. B. die Landessicherheit auf dem Spiel stand, erlaubt war oder Zeugenschutzprogramme, die es bis dahin überhaupt nicht gab. Mit dem nun geschlossenen Frieden sind die Rocker jedoch vor allem dem drohenden Verbot ihrer Klubs zuvorgekommen.
(In: Jungle, Berlin, 10.7.1997)