In Europa gefeierte, amerikanische Künstler, die in ihrer Heimat kaum beachtet werden, schmoren in einem speziellen Fegefeuer der Kritik. Der Fall Chester Himes ist ein typisches Beispiel für diese Ironie. In Amerika begegnete man seinen realistischen Erzählungen über die schwierigen Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe mit Gleichgültigkeit und Spott, woraufhin Himes nach Frankreich zog. Auch dort war er völlig unbekannt, bis ihn ein Krimiverleger überzeugte, einen Krimalroman zu schreiben, der in Harlem spielen sollte.
Himes, der aus dem mittleren Westen stammte, kannte Harlem nur flüchtig. Dieser erste Versuch war eindrucksvoll und orginell, seine französische Uebersetzung ein durchschlagender Erfolg. Bald war Himes in Europa berühmt, aber er verdiente nicht besonders viel Geld mit seinen Romanen, bis zwei von ihnen als Vorlage für Hollywoodfilme dienten, zu einem Zeitpunkt als Himes bereits wiederaufgehört hatte, Krimis zu schreiben.
Nicht wenige Parallelen lassen sich zwischen dem Schicksal der Himes'schen Bücher und dem des Menschen Himes ziehen. Sein berufliches und persönliches Leben waren von erlebter und verinnerlichter Ausgrenzung geprägt - ein Prozess, in dem er Objekt und handelndes Subjekt gleichzeitig war. Seine heutige Popularität hätte Himes mit bitterer Genugtuung erfüllt, die Entfremdung, die er zu spüren bekommen hatte, kehrte er in Stolz um, bewaffnete sich mit ihr und machte sie zu seinem Anliegen, überall in seinem Werk finden sich Spuren davon.
Himes lernte früh mit Trennungen und Widersprüchen umzugehen. Die bittere Trennlinie zwischen schwarz und weiss zog sich durch seine eigene Familie. Seine Mutter kam aus einer vornehmen Familie und prahlte damit, dass nur einer ihrer Grosseltern schwarz sei. Himes beschrieb ihr Aussehen als das "einer Weissen nach langer Krankheit". Sein Vater hatte eine sehr dunkle Hautfarbe, seine Eltern waren Sklaven gewesen. Er arbeitete sich bis zum Professor für Feinmechanik hoch und lehrte an verschieden schwarzen Unis im mittleren Westen und Süden. Ihre Ehe überlebte die steten grossen und kleinen gegenseitigen Beleidigungen nur knapp.
Himes' Erziehung war sorgfältig und gutbürgerlich, obwohl sie von Tragödien überschattet wurde (ein älterer Bruder erblindete durch eine Explosion bei einer Chemiedemonstration in der Schule, die finanziellen und emotionalen Belastungen brachten die Familie an den Rand des Ruins). Erst im College brach Himes' wilde Natur durch. Als junger Student der Ohio State Universität schwänzte er die Kurse und hing in den Billardkneipen der Schwarzenviertel der Stadt herum, bis er schliesslich aus dem College geworfen wurde, weil er eine Gruppe braver Studenten und Studentinnen an ein Fest in einem Bordell mitnahm, das im Krawall endete. Himes kehrte nach Cleveland zurück, wo seine Familie wohnte, und trieb sich in den Spielhöllen und Bordellen der Scovil Avenue herum. Diese Umgebung prägte ihn emotional, hier traf er die Menschen, die später in seinen Krimis wiederauftauchten, beobachtete ihre Dummheiten und sog ihre Haltungen in sich auf.
Allerdings schaute Himes nicht nur zu. Er beteiligte sich an einem Waffen- und Munitionsdiebstahl beim schwarzen YMCA und wurde verhaftet, einige Zeit später folgte eine weitere Verhaftung wegen Scheckfälschung. Für beide Taten erhielt er Strafen auf Bewährung. Diese Ereignisse dienten Himes als Vorlage für seine stark autobiographische Erzählung "Third Generation" (Mrs. Taylor und ihre Söhne), nur baute er noch eine Steigerung mit ein, einen melodramatischen Kampf um seine Seele. In Realität wurde Himes erneut verhaftet, weil er versuchte, die von ihm gestohlenen Juwelen eines reichen, weissen Paares zu verkaufen.
Dieses Mal wurde er zu zwanzig Jahren im Ohio State-Zuchthaus verurteilt (der Richter meinte, er habe jedem der Opfer zehn Jahre ihres Lebens genommen). Siebeneinhalb Jahre musste er schließlich absitzen, die Strafe trat er 1929 mit neunzehn Jahren an. Im Gefängnis begann Himes zu schreiben. 1934 publizierte das Magazin "Esquire" seinen Text "To What Red Hell" - einen Bericht über das Feuer am Ostermontag 1930 im Ohio State-Zuchthaus, bei dem mehr als 330 Insassen ums Leben kamen. Bis heute hallt dieser außergewöhnliche Text, eine Mischung aus Reportage und Impressionen, nach:
'Eine bunte Farbpalette entstand vor seinen Augen: schwarze, rauchumhüllte Nacht, gelbes Licht, rote Flammen, grauer Tod, kreuz und quer in wirrem Durcheinander. Er bahnte sich einen Weg durch das Chaos und fühlte, dass er bei jedem Schritt eine andere Farbe berührte. Links von ihm war der weisse Glanz des Krankenhausflures, graue Körper lagen auf dem Boden, weiss gekleidete Krankenschwestern beugten sich über sie. Zu seiner Rechten nahm er das schwarze Durcheinander des Hofes wahr, in dem die Körper in mattem Schein zwischen aufgeregt hin und herlaufenden Insassen lagen. Am Rande des dünnen Rauches war eine dicke, graue Mauer.'
Nach seiner Entlassung schrieb Himes einen Gefängnisroman, in den er diese Geschichte, leicht überarbeitet, einflocht. Erst 1952 erschien das Buch unter dem Titel "Cast The First Stone", einer früheren Veröffentlichung stand die Ehrlichkeit des Buches im Wege. Himes schilderte die Homosexualität als zentralen, unausweichlichen Bestandteil des Gefängnislebens - auch sein Protagonist musste seine anfänglichen Vorurteile ablegen - und war damit seiner Zeit weit voraus.
In seinen beiden Romanen "If He Hollers Let Him Go" (1945) und "Lonely Crusade" (1947) bezog er sich auf seine Arbeit auf den Schiffswerten in Los Angeles während des Krieges. Das erste Buch ist hart, schnell und sicher, während das zweite streckenweise an der schweren Last seines Inhaltes trägt, wofür die Mühe, die sich Himes mit dessen Komplexität machte, entschädigt. "If He Hollers Let Him Go" erzielte positive Rezensionen und verkaufte sich nicht schlecht, während "Lonely Crusade" verschmäht wurde. "Hass durchzieht dieses Buch wie ein Streifen gelber Galle", schrieb der "Atlantic", "Ebony" erklärte Himes für psychotisch, "Commentary" verglich das Buch mit einem Graffiti an der Wand einer öffenlichen Toilette.
Die nächsten sechs Jahre ging Himes vielerlei Beschäftigungen nach - er arbeitete als Hausverwalter, Gepäckträger, Hausmeister und Hotelpage - in seiner freien Zeit überarbeitete er "Cast the First Stone", schrieb an "The Third Generation" (Mrs. Taylor und ihre Söhne) und an Geschichten, für die ihm seine unterschiedlichen Jobs Material lieferten.
1953 am Ende seiner Weisheit, segelte er nach Frankreich, wo er sich mit Richard Wright und der afroamerikanischen Gemeinschaft in Paris befreundete. Himes, eher ein Einzelgänger, entfremdete sich jedoch bald von der Gruppe. Mit verschiedenen Frauen zog er durch Europa. wobei er selten über der Armutsgrenze lebte, obwohl der Dollar im armen Nachkriegs-Europa die härteste Währung war.
Himes' Beziehungen zu Frauen waren geprägt von Schwierigkeiten. Seine erste Ehe mit einer schwarzen Amerikanerin, die er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis geheiratet hatte, war in die Brüche gegangen, bevor er die USA verließ. In Paris tat er sich mit einer Frau aus New England, die vor ihrer Ehe mit einem Holländer geflüchtet war, zusammen, dann mit einer jungen Deutschen, die ebenfalls in Schwierigkeiten steckte. Beide Verbindungen waren quälend, ertranken im eigenen und gemeinsamen Unglück. Seine zweite und letzte Ehe schloss Himes mit der gebildeten Irin Lesley Packard, über die in seinen Büchern wenig zu lesen ist, was wahrscheinlich als Zeichen für die Stabilität dieser Beziehung gedeutet werden kann.
Im Jahre 1952 wandte sich Marcel Duhamel, ein ehemaliger Surrealist, an Himes. Duhamel war der Herausgeber der sehr einflussreichen "Serié noire", einer Krimi-Reihe, die zumeist aus dem Amerikanischen übersetzt, regelmässig erschien. Duhamels Ratschläge waren kurz und bündig: "Schreibe in Bildern", sagte er zu Himes, "es ist uns völlig egal, wer was denkt - es zählt nur, was sie tun." Er zahlte Himes einen Vorschuss von 1000 Dollar, eine so hohe Summe hatte dieser noch nie erhalten. Kurz darauf steckte Himes schon mitten in seiner Geschichte. Später sagte er darüber:
"Ich sass in meinem Zimmer und wurde fast hysterisch, wenn ich an die wilde und unglaubliche Geschichte, die ich schrieb, dachte. Es war ja nur für die Franzosen, glaubte ich, und die würden alles über die weißen und schwarzen Amerikaner glauben, wenn es nur verkommen genug war. Ich glaubte mich im Realismus zu bewegen. Ich wäre nie darauf gekommen, dass ich Absurditäten schreibe. Die Realität und das Absurde liegen im Leben der schwarzen Amerikaner so nahe beieinander, dass man den Unterschied nicht mehr erkennen kann."
Das so entstandene Buch bestätigt sein Urteil. Auf Französisch hiess es "La Reine des Pommes" (Fenstersturz in Harlem), in Amerika erschien es zuerst unter dem Titel "For Love of Imabelle" und später als "A Rage in Harlem". Es ist eine grosse Geschichte, die in einem weitgehend imaginären Harlem spielt und voller Bilder Clevelands in den zwanziger Jahren steckt. Die Sprache ist ein Slang, der teilweise authentisch und teilweise erfunden ist, und doch sehr lebendig wirkt und von einer geradezu poetischen Wahrheit ist. "Das Harlem meiner Bücher sollte nie real sein", schrieb Himes, "ich habe es nie real genannt, ich wollte es nur den Weißen wegnehmen, wenigstens in meinen Büchern".
Die Franzosen machten seine Bücher zu Bestsellern und Himes zu einer Berühmtheit, obwohl es ihnen nicht gelang, ihn reich zu machen. Es ist zweifelhaft, ob Himes in Amerika eine solche Chance bekommen hätte; die Verleger kamen nicht auf die Idee, ein schwarzer Autor könne etwas anderes als "Protestromane" schreiben. Sein Heimatland strafte ihn mit Nichtachtung, sogar in den Taschenbuchregalen der Läden in den schwarzen Ghettos wurden die kunstlosen Werke von Donald Goines und Iceberg Slim seinen Büchern vorgezogen, eine Literatur, die heute in den Rythmen des Rap der Gangstarapper widerhallt.
Die erzählerischen Konventionen des Genres zwangen Himes seine Anliegen zu kanalisieren, ohne sie zu verraten, auf Umwegen heimlich fortzufahren, seine Wut mit Humor zu verkleiden, seinen Focus von sich selber auf unterschiedliche und vereinzelte Einwohner einer wimmelnden Welt zu verschieben. Er tauschte seine Defensive gegen einen glanzvollen Angriff an allen Fronten ein und behandelte soziale Themen mit offensichtlicher Sorglosigkeit, um so die Verteidigungslinien seiner Leser zu durchdringen. Die Populärliteratur, meist als enges Genre charakterisiert, öffnete für den Schriftsteller Himes neue Welten.
Duhamel musste Himes überreden, in seinem Buch einige Polizisten auftauchen zu lassen. Himes' Ablehnung überraschte nicht, hatte er doch durch die Polizei viel Leid erfahren. Was er daraus machte, war jedoch denkwürdig: das unverwechselbare Team Coffin Ed Johnson und Grave Digger Jones war geboren.
Die beiden sind nicht besonders auffällig, sind meistens müde und oftmals wütend. Beide stammen aus Harlem - das sich zu der Zeit als die Bücher entstanden, immer noch mit Einwanderen aus dem Süden füllte - aber sie versuchten, ihre Familien in dem ruhigeren Vorort Queens großzuziehen, wo sie an der gleichen Strasse wohnten. In Harlem weichen sogar die frommen Menschen den Cops aus, jeder versucht irgendwie zu Geld zu kommen und ist prinzipiell zu Gewalt bereit.
Himes' Bücher spielen alle im eisigen Winter oder in der kochenden Sommerhitze. Die Handlung verlagert sich von der Strasse in die Bar, in den Billardraum, ins Bordell, in die Kirche, in den Tempel, ins Büro, ins Barbecue-Restaurant, in die Hütte am Wasser, ins Sugar Hill Hochhaus, ins verlotterte Wohnhaus, in den Hinterhof, in die Müllkippe. Die Figuren kommen aus allen Bereichen des Lebens in Harlem und haben alle ein sehr distanziertes Verhältnis zum Gesetz. Die wenigen Weißen, die vorkommen, sind entweder Bettler oder Leichen, mit der Ausnahme des ungeschickten, aber gutmütigen Vorgesetzten der beiden Detektive.
Mit der Fortsetzung der Serie wurde Himes' Vorstellungswelt immer apokalyptischer. In "Cotton Comes To Harlem" (1965, Schwarzes Geld für weiße Gauner) zeichnete Himes ein absurdes Porträt der Bewegung "Zurück zu den afrikanischen Wurzeln" von Marcus Garvey und konfrontierte diese mit einer ebenso grandios konstruierten weissen, rassistischen Sicht, alle Schwarzen sollten in den Süden zurückgehen. In "The Heat's On" (1966, Heroin für Harlem) thematisierte Himes mit grimmigem Humor den Drogenhandel: Eine stetig wachsende Anzahl Figuren hetzt auf der Suche nach Heroin im Wert von 3 Millionen Dollar umher.
"Blind Man With a Pistol" (1969, Blind, mit einer Pistole) beendete Himes als letztes Buch dieser Serie, es wurde sein tiefgründigstes. Es gibt in diesem Text keine eigentliche Handlung und kein Zentrum, außer den beiden Detektiven, die dieses Mal von ihren Gegnern fast besiegt werden. Zwei Kriminalfälle, die beide nicht gelöst werden, durchziehen das Chaos einer Sommerwoche, die von Unruhen geprägt ist. Ein Freund hatte Himes die Geschichte eines blinden Mannes erzählt, der nachdem er geschlagen worden war, versuchte seinen Angreifer zu erschießen und dabei einen Zuschauer umbrachte. "Dann dachte ich an einige unserer großmäuligen Leader, die unsere verletzlichen Brüder dazu bringen, sich umbringen zu lassen, und ich dachte weiter, dass alle unorganisierte Gewalt wie ein blinder Mann mit einer Pistole ist." Was in den anderen Büchern implizit vorhanden ist, wird hier deutlich: Harlem ist der Protagonist der Bücher. Auf der 125. Straße lässt Himes eine Brotherhood-Demo, eine Black-Power-Kundgebung und einen Black-Jesus Marsch ("Sie lynchten mich") aufeinandertreffen. Die daraus entstehenden Unruhen zeigen, warum die Verbrechen nicht aufgeklärt werden können: es gibt keinen einzelnen Verbrecher. Sie sind das Resultat eines Systems, das Rassismus institutionalisiert und Ghettos schafft, in denen das Verbrechen gedeiht. Die Serie kommt zu einem überwältigenden und passenden Ende, der Blick weitet sich zum Panaroma. Die früheren Bücher handelten von einzelnen Fällen - gute Geschichten mit treffender Metaphorik. In "Blind Man with a Pistol" zeigt Himes jedoch den Zusammenhang seiner Fälle und deren Bedingungen, sie sind parallel, überschneiden sich und sind miteinander verbunden. Keine Geschichte kann alleine stehen, und kein Fall kann zu Ende geführt werden.
Die beiden letzten Bücher Himes' waren "The Quality of Hurt" (1972) und "My Life of Absurdity" (1976), die Teile eins und zwei seiner Autobiographie. Es sind dies breite, verrückte Bücher voll dichtem Schmerz, Wut, innerer Widersprüche und Trivialität.
Himes beklagte sich häufig, Weisse könnten die Bücher von Schwarzen nur schätzen, wenn sie mit dem angemessen Maß Schmerzen gespickt seien. Nach seinem frühen Werk wollte er eher in der Hölle schmoren, als ihnen diese Befriedigung zu geben, obwohl sein eigenes Leiden offensichtlich war. Er war ein Orginal, mit einer stacheligen und unregierbaren Natur, beladen mit dem Fluch der afroamerikanischen Schriftsteller, repräsentativ sein zu müssen, ohne dafür auserwählt zu sein. Er drückte sich nie vor dieser Aufgabe, aber es ist bemerkenswert, dass er seine besten Arbeiten unter dem dreifachen Deckmantel des Exils, der Uebersetzung und des Genres schrieb.
Aus: The New York Review