»Poe wollte nicht, dass das Krimigenre ein realistisches Genre sei, er wollte, dass es ein intellektuelles Genre sei, ein fantastisches, wenn Sie wollen, aber ein fantastisches der Intelligenz«, so schrieb Borges über den Autor von Der entwendete Brief. Eine ähnliche Intention könnte man Pablo De Santis zuschreiben.
Zuallererst möchte ich anmerken, dass ich schon lange nicht mehr auf einen Altersgenossen gestoßen bin, der mit seinem Talent Literatur in anhaltenden Genuss und in ein Fest für die Intelligenz verwandeln kann. De Santis hat bereits Filosofía y Letras veröffentlicht, ebenfalls eine hypnotische und vergnügliche Lektüre.
Es lohnt sich, auf die literarische Vorgeschichte von De Santis einzugehen, weil sie zeigt, dass Beharrlichkeit und gesunde Vorurteilslosigkeit vereint mit Talent belohnt werden. Auch wenn der erste Roman El Palacio De La Noche – der Titel erinnert an Paul Auster – wundersamerweise 1987, mitten in einer Phase wirtschaftlicher Depression in Argentinien veröffentlicht wurde, musste De Santis sich in verschiedenen und seltsamen Berufen verdingen – aber immer im Dunstkreis der Literatur, die im Träumen und Wachen seine Leidenschaft ist. Er begann damit, sich in Boulevardredaktionen herumzutreiben und Müßiggänger zu interviewen. Seine Themen führten ihn dann zur parapsychologischen Presse, später fand er als Texter von Comics eine Anstellung. Er arbeitete abwechselnd als Redakteur bei der Zeitschrift Fierro und als Drehbuchautor für so betäubende oder aufputschende Fernsehsendungen wie El otro lado oder El visitante, die wir uns als ein Potpourri aus Akte X und Astrologischer Beratung vorstellen müssen. Währenddessen brachte er noch die Zeit auf, ein halbes Dutzend Jugendbücher zu schreiben, ein paar Bücher über Comics und eben diese beiden kleinen Juwelen Filosofía y Letras und La traducción.
Beide knüpfen an die Tradition von Borges und Bioy Casares an, in der sich in Sprache und Form Elemente des Kriminalromans und des fantastischen Romans vermischen. Eine Tradition, die den verbalen Exhibitionismus und die avantgardistischen Ergüsse meidet und dem Axiom folgt, dass »ein Buch eine Form von Glück sein muss« und keine ausgetüftelte Buße, um den Leser zu überfordern oder einzuschüchtern.
De Santis schreibt wie ein »naiver« Autor reduziert und zielgerichtet, was seine Plots zur permanenten Überraschung macht. Er besitzt außerdem die Fähigkeit, natürlich, humorvoll und dicht zu erzählen, was den Text in Fluss hält und die Handlung weitertreibt, bis zur Auflösung, die selbst gar nicht so wichtig ist wie die zahlreichen Mirakel, die sich unterwegs ereignen.
In Filosofía y Letras hatte er uns eine leicht kafkaeske Intrige über ein angeblich in den Trümmern eines Universitätsgebäudes verschollenes literarisches Werk erzählt, für das seine Anhänger zu töten und zu sterben bereit sind. In Die Übersetzung wählt De Santis die verlassene und fantasmagorische Landschaft Puerto Esfinge, wo sich eine Gruppe von Übersetzern zu einer Tagung trifft, um Themen ihres Verbandes zu besprechen. Der knapp vierzigjährige Miguel De Blast, der sich für die Ehe als Form sittsamen Scheiterns entschieden hat, ist einer der Gäste dieses leicht sonderbaren Kongresses. Die Teilnehmer versammeln sich im Hotel del Faro, einem zur Hälfte sanierten Gebäude.
De Blast, »Ausländer aus Nachlässigkeit«, ein Fliehender vor seiner Vergangenheit und sich selbst, trifft auf so gegensätzliche Kollegen wie den exzentrischen Valner, Übersetzer von theosophischen und hermetischen Schriften, oder den Unheil bringenden und brillanten Linguisten Naum, einen Jugendfreund, der ihm seine Geliebte Ana abspenstig gemacht hatte, welche ebenfalls an dem Kongress teilnimmt. Einer der vielen klugen Züge von Pablo De Santis besteht darin, der Kriminalintrige eine psychologische Intrige hinzuzufügen, eine Voraussetzung, die laut Borges jede »novela de misterio« erfüllen sollte, wenn sie lesbar sein will. Das Beziehungsgeflecht, das hinter den baufälligen Mauern des Hotel del Faro entsteht, legt sich über den reinen Kriminalfall und schafft eine beklemmend schicksalshafte Atmosphäre.
Pablo De Santis gehört nicht zu den Autoren, die ihre Leser mit einem komplexen Wust verschiedenster Zeitebenen und sonstigen »Perspektiven« überhäufen, wie es häufig in Kriminalerzählungen geschieht. Dieser Text will kein perfektes Uhrwerk sein (obwohl er das ist, aber De Santis verschleiert mit äußerster Höflichkeit die Mechanismen), sondern er will Sprache zum Stoff und zum Motor der Handlung machen. Während an der Playa Esfinge tote Seelöwen auftauchen, die Opfer einer seltsamen Epidemie geworden sind, finden die Vorträge der Kongressteilnehmer statt, von denen jeder einzelne eine virtuose Miniatur darstellt, die ein unbescheidenerer Autor über Dutzende von Seiten hinweg ausgewalzt hätte.
Der Kriminaloman, dieses Labyrinth der Verirrungen, hat in seiner Geschichte alle Variationen durchgespielt. De Santis präsentiert uns eine Tatwaffe, die so abstrakt und uralt ist wie der Turm von Babel: die Sprache. Nicht einmal ein Buch, wie Im Namen der Rose, sondern den Rohstoff Sprache selbst. So werden die kriminalistischen Probleme zu Sprachproblemen. De Santis gelingt es, dass nach der Lektüre das Geheimnis in unserem Gedächtnis weiter rumort und auf die Worte ausstrahlt, die wir lesen, sprechen und denken. Mir fällt kein absoluteres Glück ein.
ABC, Madrid