Im Herzen des Tabus
Begegnung mit Pierre Bourgeade. Von Isabelle Castéra
Im Herzen des Tabus
Begegnung mit Pierre Bourgeade
Pierre Bourgeade trinkt seinen Tee um 16 Uhr, er mag es nicht, wenn man ihn aus schlechtem Winkel fotografiert, und er sagt es auch. Bei einer Frau schaut er zweifellos zuerst auf den Körper, aber er zeigt es nicht. Dieser jugendliche Schriftsteller ist über siebzig Jahre alt und gehört offensichtlich nicht zum alten Eisen. Kokettierend und ganz ernsthaft erzählt er, dass er ins Guinessbuch der Rekorde kommen will. Aber wie? Indem er zehn Werke im gleichen Jahr schreibt. »Ich kann nichts anderes. Ich schreibe von morgens um 7 Uhr bis um Mitternacht. Wenn ich aufhörte, würde ich zu Staub zerfallen.«
Dann erzählt er von seinen Ursprüngen im Béarner Morlanne, aber auch von seiner Großmutter, von einer Kindheit, gebadet in Weihwasser. Und auch vom Schreiben, seit er das Alphabet kennt. Vor allem spricht er von den Kiefernsärgen, die in Reih und Glied an einem Platz in Biarritz aufgestellt waren; immer noch locker, als wäre die Bombardierung von 1944 nur eine Anekdote aus seiner Jugend. »Ich ging auf das Gymnasium Saint-Louis-de-Gonzague de Bayonne, in Biarritz wohnte ich in derselben Straße wie Victor Hugo. Damals war man nirgendwo sicher, nicht einmal dort. Die Schule war von den Deutschen besetzt, ich war ausgehungert, ich erinnere mich an die Erschöpfung und an den Ekel vor den Tellern mit Rüben. Am Tag der Bombardierung habe ich – wie die anderen Tage auch – Tote in Biarritz eingesammelt, das hat mich für immer gezeichnet. Das ist der Grund, weshalb ich Les âmes juives geschrieben habe.«
Aus diesem Grund protestiert er gegen Präsident Pompidou, der den Kriegsverbrecher Paul Touvier begnadigt hat, indem er fünfzehn oder zwanzig Artikel in der Zeitschrift Combat schreibt, die bissiger und bissiger werden. Schließlich leitet Pompidou ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Staatspräsidenten ein.
Diese eleganten Bekenntnisse, dieses Lächeln auf den Lippen – bei Bourgeade weiß man nie genau, wo der Humor endet und der Ernst beginnt. Gleichzeitig berichtet er, dass er schreibt, wie andere Leute Blumen gießen. Pierre Bourgeade, Beamter und Jurist, arbeitete bis 1974, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dann widmete er sich ganz seiner Leidenschaft. »Ich wurde erst sehr spät veröffentlicht. Mein erstes Buch wurde reihum abgelehnt, bis es eines Tages in die Hände von Georges Lambrich fiel, der eine Reihe bei Gallimard leitete. Ich verdanke ihm sehr viel.« Les immortelles sind erotische Novellen, in denen die Frauen ihre Fantasien inszenieren. Vergessen wir nicht, in jenem Jahr 1966 hatten die Frauen ihren BH noch nicht abgelegt.
Es folgten ungefähr dreißig Werke bei Gallimard. Bis zum letzten Jahr wurden immer drei Bücher gleichzeitig veröffentlicht. Für Pitbull erhielt Bourgeade den Grand Prix du Roman Populaire de la Societé des Gens de Lettres.
»Bei Gallimard wollen die meisten Schriftsteller von der Série Noire in die Série Blanche aufsteigen. Ich habe das Gegenteil getan«, witzelt er. »Ich bin die Treppe hinabgestiegen. Immerhin hat die Série Noire, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, hier die gesamte amerikanische Literatur bekannt gemacht. Das »rosa Telefon« ist ein Gesellschaftsphänomen, ein Tabuthema, Milliarden von Francs werden verpulvert. Und trotzdem – haben Sie schon mal eine Studie, eine Untersuchung über Telefon- oder Internetsex gelesen? Das ist nur als Krimi möglich: innerhalb von drei Monaten einen Roman zu schreiben, der von einem gesellschaftlichen Thema ausgeht und sich im Herzen des Tabus niederlässt, ohne Geheimnisse preiszugeben.
In der Série Noire findet man alles, außer Literatur. Stil bedeutet hier nur, keinen zu haben. Es ist der totale Verzicht auf die hohe Literatur mit all ihren Kapriolen und Abschweifungen. Der Punkt, an dem es keine Rückkehr gibt. Es bereitet mir ein großes Vergnügen, Krimis zu schreiben. Es ist aufregend herauszufinden, wie man dieses Genre an unser kompliziertes und abstraktes Vokabular anpassen kann, wie man die Grenzen der Sprache überschreiten kann, ohne vulgär zu werden. In der Literatur darf nichts passieren, in der Série Noire muss alles passieren. Ich gebe zu, dass ich dabei auf ein Problem stoße: Wie soll man über 150 Seiten den Rhythmus halten, wenn von der ersten Seite an etwas passiert?«
Er behauptet, drei Bücher gleichzeitig zu schreiben, und es ist ihm egal, ob man ihm glaubt oder nicht. »Wenn ich mit dem einen eine Panne habe, wechsle ich zum anderen.«
Bourgeade schüttelt passagenweise Zitate von Kafka, Cervantes und Bataille aus dem Ärmel. »Meine Meister.« Heute kauft Pierre Bourgeade seine Bücher nach Gewicht beim Antiquar. Eine letzte Provokation? »Der zeitgenössische Roman? Thesen, verteilt auf Dialoge. Zum Kotzen. Sie wollen etwas sagen, beweisen, eine Botschaft vermitteln. Eine Sackgasse. Ein Roman muss vor Leben pulsieren; das finde ich eher in Tagebüchern. Das von Julien Green ist ein Segen, das von Pavese auch. Sobald ich etwas Künstliches fühle, fällt mir das Buch aus der Hand. Zurzeit gibt es eine wirkliche Krise mit den Büchern. Nichts als Schmöker!«
Bourgeade hat gerade ein Opernlibretto über die Liebe zwischen Verlaine und Rimbaud geschrieben, das von Daniel Mesguich aufgeführt werden soll. Ferner ein Porträt von Brigitte Lahaie mit Fotografien von Claude Alexandre. Sein literarisches Universum, das die erotische Literatur, den Krimi und die Autobiografie umschließt, umfasst das Dunkle dieses Jahrhunderts und seine Widersprüche. Kein Wort, keine Szene, die nur Spielerei und nur zur Ausschmückung wäre. Mit siebzig Jahren läuft Pierre Bourgeade einer verlorenen Zeit nach, in der er schrieb, ohne gelesen zu werden.
Isabelle Castéra, »Sud-Ouest Dimanche«
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