Wir hatten uns am Samstagmorgen an der Ecke 5th Avenue und West 52nd Street verabredet. Die Temperaturen waren über Nacht drastisch gesunken, und ich stand frierend und in Sandalen da und fragte mich erneut, weshalb ich Guillermo Arriaga, der in Mexico City lebt und dessen Roman ich kurz zuvor in Berlin ins Deutsche übersetzt hatte, ausgerechnet in New York zum ersten Mal begegnen würde. Ein merkwürdiger Zufall, oder?
Guillermo Arriaga war als Drehbuchautor zum New York Film Festival eingeladen, zusammen mit dem Regisseur Alejandro González Iñárritu, um den Film Amores Perros vorzustellen. Die New York Times hatte über das Erstlingswerk von Iñárritu bereits enthusiastisch berichtet und Arriagas Talent als Drehbuchautor ausgiebig gewürdigt. Arriaga ist kein Neuling auf diesem Gebiet; er hat die Drehbücher zu A Cielo Abierto und A Fuego Lento geschrieben und war bei der Adaption seines Romans Escuadrón Guillotina Co-Autor des spanischen Schriftstellers Rafael Azcona (der unter anderem verschiedene Drehbücher für Berlanga verfasst hat).
Er hat für das mexikanische Kulturfernsehen Programme geschrieben und in Filmen Regie geführt, unter anderem über behinderte Sportler und das Down-Syndrom. Zuletzt hat er die Serie Interciencia, ein Wissenschaftsprogramm für Jugendliche, realisiert. Außerdem hat er mehrere Kurzfilme gedreht.
Als ich Guillermo frage, welche Rolle ihm denn am meisten behage, die des Romanautors, des Drehbuchautors oder des Regisseurs, zögert er keinen Moment mit der Antwort: »In erster Linie bin ich Romanautor.« Es überrascht mich allerdings, dass er die Regie dem Drehbuchschreiben vorzieht.
Außer Der süße Duft des Todes liegen die Romane Escuadrón Guillotina und El búfalo de la noche vor. Bedauernd berichtet Guillermo über seinen Erzählband Retorno 201, den er bereits mit Mitte zwanzig verfasst hat und der aufgrund einer Reihe von Versehen und Nachlässigkeiten einiger Verleger nie erschienen ist.
Wir haben uns inzwischen in einem Deli’s vor unserem dünnen Kaffee niedergelassen und sind froh, dem kalten Wind in den New Yorker Straßen entflohen zu sein. Guillermo erzählt von seiner großen Leidenschaft, der Jagd, und wie er darüber die Menschen aus der Gegend von Tamaulipas kennengelernt hat.
Ich erfahre, dass die Namen der Figuren in Der süße Duft des Todes authentisch sind und wie begeistert die Menschen gewesen seien, als Guillermo ihnen das Buch zeigte. Da die meisten allerdings Analphabeten sind, hat man im Dorf Lesungen veranstaltet, die regen Zuspruch bei den Bewohnern fanden.
Wie den anderen Texten und Drehbüchern ist auch dem Roman Der süße Duft des Todes ein Traum vorausgegangen. Guillermo versichert, dass er seine Ideen immer zuerst träumt. Allerdings gibt es ein Thema, das Guillermo im Wachzustand stark beschäftigt und in all seine Arbeiten auf unterschiedliche Weise einfließt: das Schicksal und das Ausgeliefertsein des Menschen. In Der süße Duft des Todes nähert er sich dieser Thematik über die Tragödie und gibt damit dem Mordfall eine andere Gewichtung und Funktion: Wen interessiert schon der Mörder? Dies in Verbindung mit einer kenntnisreichen und minuziösen Beschreibung der Landbevölkerung und ihrer Gepflogenheiten – vor allem auch ihrem Verhältnis zur Natur, das noch keine »Bambisierung« erfahren hat – schafft ein eigenwilliges Spannungsfeld zwischen regionaler Spezifik einerseits und universeller Thematik andererseits – und das mit einem Höchstmaß an Suspense.
Leider haben Guillermo und ich uns bei unserer zweiten Verabredung auf dem Filmfestival verpasst, und das, obwohl wir so bald keine Gelegenheit mehr haben werden, uns zu begegnen und ich noch so viel fragen wollte. Doch wie sagt noch eine der Protagonistinnen in Amores Perros: »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähl ihm von deinen Plänen.«