Wann hat meine Obsession mit dem Schreiben angefangen? Es war gegen Ende meines Studiums. Ich war seit Langem Mitglied der religiösen Bewegung und beschäftigte mich vor allem mit sozialen und politischen Fragen. Wie es sich für eine religiöse Frau gehört, trug ich ein Kopftuch. Zu dieser Zeit jedoch begann ich zu zweifeln und stellte mein Engagement in der islamistischen Bewegung infrage. Ich hatte lange an ihre Ziele geglaubt, aber irgendwann fand ich dort keine gültigen Antworten mehr auf meine drängenden Fragen zu meinem Leben und zu meiner Welt, zu unserer sozialen Situation, zur Unterdrückung und zu denjenigen Werten, die meiner Ansicht nach die individuellen Möglichkeiten und unser Recht auf Selbstverwirklichung einschränkten.
Nach acht Jahren bei den Islamisten erkannte ich, dass die islamistische Bewegung mich in meinen Wünschen und Zielen zu sehr einschränkte, und ich beschloss, aus der Bewegung auszutreten.
Seit ich mich erinnern kann, hatte ich das Gefühl, in unseren gesellschaftlichen Traditionen gefangen zu sein. Ich brauchte lange, um zu erkennen, dass mir das Schreiben die Möglichkeit gab, Fragen zu stellen, meine Ängste auszudrücken, meine Seele und ihre Verletzungen zu ergründen und diesen Prozess mit anderen zu teilen.
Als mein erster Band mit Erzählungen erschien, war ich Lehrerin an einer kleinen Schule in meinem Heimatdorf und versuchte, meinen Schülern die Schönheit der klassischen arabischen Literatur nahezubringen. In mir wuchs unaufhaltsam der Drang zu rebellieren, und so spürte ich die Unterdrückung erst recht. Denn obwohl in Ägypten immer mehr Frauen gut ausgebildet sind, ist meine unmittelbare Umgebung besonders rückständig. Ich komme aus einer Beduinenfamilie. In Ägypten sind das diejenigen Nomaden, die am Rand des Niltals leben, ein in seinen Lebensweisen und Traditionen gespaltenes Volk, das in der ägyptischen Gesellschaft ziemlich isoliert ist. Wir sind immer noch Beduinen, jedoch ohne die Vorteile des Öls, Wüstenbewohner, die die Ägypter »Araber« nennen und die Mohammed Orabi verrieten, den großen ägyptischen Führer des Bauernaufstandes gegen die Briten im 19. Jahrhundert.
Als ich versuchte, die Welt der Beduinen in meinem Schreiben darzustellen, erfand ich meine erste kleine Heldin, Fatima. Sie ist die Protagonistin in meinem ersten Roman Das Zelt. Fatima beobachtet die Welt der Beduinen, eine Welt voller Unterdrückung. Die übermächtige Großmutter, der abwesende Vater, die Mutter die bestraft wird, weil sie keine männlichen Nachkommen gebar, die jungen Mädchen, die eines nach dem andern der Tradition gemäß mit einem Cousin verheiratet werden. Im Roman gibt es auch eine Ausländerin, Anne, die ein arabisches Vollblutpferd kaufen möchte und die Fatima in ihre Obhut nimmt. Aber Fatima kann sich nicht entscheiden zwischen der alten, engen Welt der Beduinen und dem Leben mit Anne, wo sie sich entfremdet fühlt. Sie verspürt einen überwältigenden Drang zu rebellieren und ist sich gleichzeitig bewusst, dass Rebellion unmöglich ist. Schließlich kehrt sie zurück, um allein mit ihrer alten Dienerin zu leben, für den Rest ihres Leben spricht sie mit Geistern und Dschinns.
Das Zelt erregte einiges Aufsehen und wurde unverzüglich auf Englisch, Französisch und Spanisch übersetzt. Danach war es aber gar nicht so leicht für mich, ein neues Thema zu finden: Sollte ich wieder in die gleiche Welt zurückkehren, die ich so gut kannte? Ich hatte – im übertragenen Sinne – so lange in der Abgeschlossenheit des Zelts gelebt. Oder sollte ich von einem anderen Aspekt meines Lebens erzählen, zum Beispiel meinem tiefen Verlangen nach politischem Wandel während meiner Studienjahre? Ich trug damals den Schleier, marschierte auf Demonstrationen, schrie: »Islam! Islam! Nicht West, nicht Ost!« Ich erfand eine Figur, nannte sie »Die blaue Aubergine« und beschrieb die drei Stadien ihres Leben, in jeweils unterschiedlichem Stil und Gehalt.
Die blaue Aubergine weckte harte Auseinandersetzungen in Ägypten. Viele hielten das Buch für schockierend, vor allem wegen seiner intimen Bekenntnisse, die man für anstößig hielt. Andere sahen darin eine Kritik sowohl an der Linken wie an der Rechten und verurteilten seine Ablehnung aller Ideologien. Wie konnte ich die liberalen, linken und fundamentalistischen Strömungen gleichsetzen und von ihrer zutiefst opportunistischen leeren Rhetorik sprechen, die zu tiefer politischer Verwirrung, zu Chaos und Enttäuschung geführt haben! Meine Antwort war: Ja, ich will alle verurteilen, auch mich selbst, weil meine Generation für diese Rhetorik kämpfte, und mit ihr –, um dann am Ende zu erkennen, dass das zu nichts führte als immer wiederkehrender Niederlage.
Das Schreiben an diesem Buch war schmerzlich. Ich merkte, dass unsere Generation die großen, begeisternden Hoffnungen der älteren Generation fahren lassen muss, wenn sie ehrlich sein will.
Denn wir sind zu Außenseitern der Geschichte geworden. So sagt es die »Blaue Aubergine«, und drückt damit all die Verwirrung aus, die sie seit ihrer Kindheit erlebt hat, ihr erschüttertes Selbstvertrauen, ihre Angst vor der Rebellion. In gewisser Weise wollte ich eine Autobiografie meiner eigenen Seele und der Not und Widersprüche von Millionen Frauen schreiben. Denn es geht ja letztlich um die biologische und soziale Last, die ich mit mir herumtrage. Zusätzlich ist durch meine Stammeszugehörigkeit die Tradition übermächtig. Und dann bin ich auch eine Muslimin, die in einer Umgebung aufwuchs, wo die Religion hochgradig politisiert und rückwärts gerichtet ist. Aber zuletzt bin ich doch nur ein Wesen, das liebt und verzweifelt, das kleinen wie großen Träumen nachhängt, die unerfüllbar scheinen. So leben all meine Hauptfiguren in einem geschlossenen Kreis von Bedrückung. Alle sind sie Teil meines Wesens und meiner Erinnerung. Erst durch das Schreiben kann ich eine neue Wirklichkeit schaffen, wo bis zu einem gewissen Grade die Erfüllung möglich wird.
(1999)