Holger Ehling: »Tausche zwei Hitlers gegen eine Marilyn«, ein Roman, liest sich wie eine Autobiographie. Wie viel von Adam Andrusier steckt im Adam des Buches? Und wie viel von Vater und Mutter?
Adam Andrusier: Ich habe eine Erzählstimme verwendet, die irgendwo zwischen dem tatsächlichen Adam, der ich als Kind war, und dem erwachsenen Adam, der das Buch schrieb, angesiedelt war. Dieser Ansatz hat eine Distanz geschaffen, die viel Komik und Ironie ermöglicht hat. Meine Kindheit war nicht immer zum Lachen, und einige Szenen, die ich in heiterem Licht dargestellt habe, waren damals ziemlich schwierig zu durchleben. So wurde Adam zur Figur in einem Roman. Auch die Mutter und der Vater, wie sie im Buch erscheinen, sind Figuren in meiner Coming-of-Age-Geschichte. Memoiren und eine Autobiografie sind ja zweierlei Dinge. Die erzählten Ereignisse sind zwar wahr, aber gezielt ausgewählt und gestaltet.
Sie erzählen von der Passion des Sammelns. Ich muss gestehen, dass ich kein Sammler bin. Was ist daran so faszinierend?
Die Frage, warum ich als Kind ein so verrückter Autogrammsammler war, ist der Ausgangspunkt für dieses Buch. Ich wollte herausfinden, was dahintersteckt. Sammeln ist ein faszinierendes Thema. Es ist der Impuls, die Welt auf eine bestimmte Weise zu organisieren, mit dem Ziel, ein bestimmtes Spiegelbild von sich selbst zu sehen. Von ausgewählten Objekten umgeben zu sein, die eine bestimmte Geschichte darüber erzählen, wer Sie sind – Ihre Leidenschaften, Ideale, Ihre Idole – kann beruhigend sein. Natürlich gibt es auch die Sammelsüchtigen, die nie die versprochene Beruhigung erfahren. Diese Menschen müssen sich immer neue Dinge anschaffen, weil das gesuchte Selbstbild entweder das falsche ist oder nicht ausreicht, um sie von ihrem Trauma zu befreien. Sammeln kann also auch ein Akt der Selbstverleugnung und Selbsttäuschung sein.
Sie stellen uns eine ganze Galerie verschiedener Sammler vor. Abgesehen von den Verrückten repräsentieren Ihr Vater und Sie vielleicht die unterschiedlichen Enden des Spektrums. Er nutzt seine Sammlung zerstörter Synagogen als Mittel zur Bewahrung von Geschichte und Identität. Und Sie sind ganz von jugendlicher Leidenschaft getrieben.
Die Sammlung meines Vaters ist ein wichtiges Dokument des europäischen jüdischen Lebens, wie es vor dem Zweiten Weltkrieg existierte. Er besitzt eine der größten Sammlungen von Postkarten von Synagogen, die von den Nationalsozialisten zerstört wurden. Es ist wirklich wertvoll und bewegend, diese an einem Ort beieinander zu erleben. Was mich aber daran faszinierte, war das innere Bedürfnis meines Vaters, solche Objekte selbst zu besitzen. Warum sie nicht zum Beispiel in einer Bibliothek öffentlich ausstellen, anstatt privat darüber zu brüten? Da findet eine persönliche Verstrickung statt, eine Form von Selbstschmeichelei, der ich nachgehen wollte.
Seltene Bücher, Autogramme etc. gelten heute als ernsthafte Alternativen zum Aktienmarkt und anderen Mainstream-Anlagevehikeln. Gibt es da nicht Gefahren und potenzielle Fallen?
Autogramme und Dokumente sind zu einer eigenen Anlageklasse geworden. Zum Beispiel haben Einstein-Briefe im Laufe der Jahre enorm an Wert gewonnen. Der allgemeine Konsens ist: Solange es einen Handel mit Gold gibt, wird es auch einen Handel mit Einstein geben. Problematisch wird es, abgesehen von Fälschungen, wenn große Archive plötzlich auf den Markt kommen. Dies kann den Wert zumindest vorübergehend etwas dämpfen.
Zurück zum Buch: Was hat Sie dazu gebracht, »Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn« zu schreiben?
Offenbar war ich im Alter von sechsundvierzig Jahren immer noch von meiner Kindheit besessen. Ich bin gesegnet, oder vielleicht auch verflucht, mit einem extrem guten Gedächtnis. Ganze Szenen und Gespräche tauchten unversehrt wieder vor mir auf. Vermutlich war ich als Kind ein bisschen zu wach. Als Kind ist man ja eigentlich in einer Zwangslage, und ich war schon damals neugierig, warum unsere Familie so verschieden war von all den anderen. Was bedeuteten diese Unterschiede? Alles in allem erlebte ich meine Kindheit ziemlich traumatisch, daher hatte das Schreiben dieses Buches etwas Heilsames – hier war die Gelegenheit, meinem jüngeren Ich endlich eine Stimme zu geben. Das Familienleben ist von Natur aus dramatisch und komödiantisch. Die Situation ist im Grunde bizarr: Kinder werden in eine Familie hineingeboren, die sie sich nicht ausgesucht haben, und rund achtzehn Jahre lang nehmen sie einen Platz in der ersten Reihe einer Ehe ein. Die Eltern bewältigen in dieser Zeit die Enttäuschungen ihrer Lebensmitte, enthüllen sich gegenseitig ihren wahren Charakter, sind aber vor allem damit beschäftigt, die Show am Laufen zu halten. Es ist das Rezept für eine Katastrophe! Ich hatte den Drang, mich mit all dem zu befassen. Es fühlte sich ein bisschen gefährlich an, aber das machte es nur interessanter.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Mein Vater hat mich unterstützt und verstanden. Vielleicht fühlte er sich auch schuldig für seine Entscheidungen und sah mein Projekt als eine Art verdienter Strafe. Als das Buch dann fertig war, stellte sich heraus, dass es keine schlimme Strafe war. Er war stolz auf mich. Andere Familienmitglieder waren nicht sonderlich erbaut, was ich gut verstehe. Schreiben ist immer irgendwie anstößig. Wenn eine Person ihr Rederecht geltend macht, wird es für andere Beteiligte nicht immer einfach.
Für Ihre Leser sind die Torheiten und Schwächen, insbesondere die Ihres Vaters, unglaublich lustig und manchmal zutiefst traurig. Er wirkt wie ein Mensch, der verzweifelt versucht, sich selbst zu finden, seine wahre Identität.
Es waren hauptsächlich meine Mutter und auch ich, die mit seiner Identität zu kämpfen hatten. Er selbst schien immer ganz genau zu wissen, wer er war. Vielleicht ist dieses Buch eine Chronik meines jahrzehntelangen Versuchs, den Vater zu verstehen – seine Zwänge, seine Vergangenheit, seine Entscheidungen.
Als Zadie Smith ihren Roman »The Autograph Man« veröffentlichte, widmete sie ihn Ihnen. Wie kam es dazu und wie war Ihre Reaktion?
Eines Tages sagte sie aus heiterem Himmel: »Ich plane ein Buch über einen Autogrammsammler«. Ich habe mich sehr darüber gefreut, nahm sie mit auf Messen und stellte ihr einige der verrücktesten Leute vor, die ich kannte. Das Ganze war ziemlich turbulent und für mich irgendwie seltsam. Die Hauptfigur ihres Romans war nicht wirklich ich, aber ein Großteil deckte sich mit meinem eigenen Leben.