Ich bin in Sacred Heart, einer winzigen Siedlung an einer Straßenkreuzung in der Weite Oklahomas, aufgewachsen. Sie war in den Zeiten entstanden, als das Gebiet noch indianisches Territorium war, rund um ein Kloster. Fünfundsiebzig Menschen lebten dort. Es gab ein Postamt und die einzige Baumwoll-Entkörnungsmaschine weit und breit. Mein Vater hatte eine kleine Farm und kümmerte sich außerdem um die Tankstelle mit dem angeschlossenen Dorfladen. Wir waren arm, hatten kein fließendes Wasser im Haus, keinen Strom, kein Telefon. Viele der Bewohner waren Potawatomi, manche Seminole. Ihre Kinder waren meine Freunde, wir waren alle gleich arm. Die Benediktiner-Mönche führten die Knabenschule, Barmherzige Schwestern die Mädchenschule. Zwei armselige Schulzimmer gab es, für alle Jahrgänge. Als die Benediktiner gingen, vermutlich, weil sie hier drauf und dran waren, zu verhungern, überzeugten unsere Eltern die Nonnen, uns Jungen in die Mädchenklasse aufzunehmen. So wuchs ich auf mit indianischen Kindern. In der Highschool-Football-Mannschaft stellten Seminole die Verteidigung, den Sturm bildeten Potawatomi, und der Coach war ein Choctaw. Er war unser Algebra-Lehrer. Weil Mädchen damals keine Algebra lernten, studierten wir in seinen Stunden die verschiedenen Formen der Mannschafts-Aufstellung und Spielstrategien.
Als ich später nach New Mexico kam, begegnete ich zum ersten Mal den Navajo. Sie hatten sich ihre Kultur wirklich bewahrt, und das hat mich sofort gefesselt. Es war einer jener entscheidenden Momente, wie es sie in jedem Leben gibt. Ich war verwundet aus dem Krieg in Europa zurückgekommen, war arbeitslos, trug wegen einer Verletzung eine Augenklappe über dem linken Auge, humpelte am Stock, hatte noch nie einen Lastwagen gefahren und fand dennoch einen Job als Fahrer bei dem Vater einer Freundin. Er transportierte die Ausrüstung zu den Ölbohrfeldern in der Region.
Eines Tages bogen wir von der Hauptstraße auf einen Feldweg ab und sahen eine große Gruppe Navajo: Frauen und Männer, die hoch zu Ross aus den Hügeln kamen. Ich staunte, so prächtig und zeremoniell gekleidet hatte ich Navajo noch nie gesehen. Wir hielten am Wegrand an und ließen sie vorüberziehen. Ich erfuhr, dass einige junge Männer gerade aus dem Krieg gegen Japan zurückgekommen und auf dem Weg zu einer Enemy-Way-Heilzeremonie waren. Ich wollte das unbedingt erleben und war tief beeindruckt. Die Clans der jungen Soldaten hatten sich vollständig versammelt. Es ging nicht darum, Schusswunden oder gebrochene Knochen zu heilen. Es ging darum, die Männer von bösen Erinnerungen, von Hass und Zorn zu befreien, und von der Empörung über die Art und Weise, wie man sie angegriffen hatte. Es ging darum, sie wieder in Harmonie mit der Welt zu vereinen. Ich werde das nie vergessen. Großartig, so sollte es sein, dachte ich.
In diese Kultur der Navajo will ich meine Leserinnen und Leser hineinziehen. Ich hatte keine Mühe, mit den Navajo in Kontakt zu treten und mich mit ihnen auszutauschen. Vor allem wollte ich nicht den Eindruck erwecken, ich halte sie für seltsam oder fremdartig. Sie erkannten, dass mein Interesse aufrichtig war, und bald gaben sie mir Auskünfte, auch über verborgene Dinge, wie Tabus und die Holy People.
Ihre Welt öffnete sich mir mehr und mehr. Ich schloss Freundschaft mit Archäologen, fand in der Universität ganze Regale mit Studien von Soziologen, Anthropologen, Beschreibungen von Zeremonien, Tabus und versteckten Gebräuchen. Ich verbrachte Nächte mit diesen Lektüren und sprach dann mit vielen Navajo darüber. Bei manchen Details meiner Romane haben Leser Ungenauigkeiten bemängelt, zum Beispiel, dass jemand auf dem Weg nach Gallup nach rechts vom Highway abbiegt, wo es doch nach links gehen müsse. Aber bei religiösen Dingen der Navajo-Kultur kam das nie vor, da war ich ganz besonders sorgfältig.
Ich habe als Freund der Navajo sogar einen Navajo-Namen bekommen. Ich kann ihn nicht aussprechen, aber er bedeutet »Der Angst vor seinem Pferd hat«. Während ihres jährlichen Festivals wollten sie mich auf ein Pferd setzen. Mir war das zunächst recht, aber als ich das Pferd sah, wurde mir mulmig, es war ein junges, kleines Pferd, das mich zornig ansah. Auf ein großes, altes Ross wäre ich gerne gestiegen.
Im Grunde meines Herzens hatte ich schon früh den Ehrgeiz, eines Tages große klassische Romane zu schreiben, »The Great American Novel«. Ich begann mit Kurzgeschichten, die aber von den Redaktionen allesamt abgelehnt wurden. Dann las ich Eric Ambler und Graham Greene. Die Romane von Arthur Upfield beeindruckten mich, sie spielten in Australien bei den Aborigines. Ich wusste, dass ich Stimmungen und Hintergründe recht gut beschreiben konnte, und dachte, so etwas könnte mir auch gelingen und würde die Leute interessieren. Zunächst plante ich, über Apachen zu schreiben. Aber dann wuchs mein Interesse für die Navajo, weil ihre Kultur komplexer war und thematisch so viele Variationsmöglichkeiten bot. Also beschloss ich, es mit einem Kriminalroman zu versuchen. Wenn ich das schaffte, würde vielleicht etwas entstehen, das von Belang war und Leserinnen und Leser zu fesseln vermochte.
Am Anfang war mein Ermittler, Joe Leaphorn, ein Navajo, noch gar nicht richtig ausgearbeitet, eine Nebenfigur. Als ich das Manuskript meines ersten Romans vom Verlag Harper & Row zurückbekam, sagten sie, sie würden es veröffentlichen, aber es fehle noch ein ordentliches letztes Kapitel. Das gab mir die Chance, den Text nochmals zu überarbeiten – im Wissen, dass er als Buch erscheinen würde! Dabei verliebte ich mich gewissermaßen in Leaphorn und verstärkte seine Rolle im ganzen Geschehen.
Bei meinem ersten Job als Polizeireporter in Borger, Texas, hatte ich den Sheriff von Hutchinson County kennengelernt, einen feinen Kerl, der eine ganz eigene Art hatte, über Dinge nachzudenken. Er ist eine Art Urbild für Joe Leaphorn geworden. Zugleich ist Leaphorn eine Art Spiegelung von mir selbst, er gehört meiner Generation an und teilt viele meiner Einstellungen. Und von Zeit zu Zeit kann er etwas mürrisch werden.
Als ich an der Serie weiterschrieb, stieß ich mit Leaphorn allerdings auch an gewisse Grenzen, ich merkte, dass er mich in mancher Hinsicht einschränkte. Er war schon in fortgeschrittenem Alter, eher intellektuell und gebildet. Die Kultur der Weißen war ihm vertraut. Nicht, dass er sie besonders schätzte, aber nichts daran schien ihn mehr zu überraschen, er begegnete ihr nicht mehr mit Neugier.
Ich brauchte also einen jungen Ermittler, der mit Interesse und Erstaunen auf die Kultur der Weißen reagieren konnte. Ich wollte Zeugen der Nacht in einer Region spielen lassen, wo die Navajo stärker assimiliert sind und in gemischten Umgebungen leben. Also schuf ich die Figur des Jim Chee, auch er ein Navajo, aber jünger, weniger assimiliert, weniger akademisch und versiert. Ein bestimmtes Vorbild für ihn gab es nicht. Ich lehrte damals an der University of New Mexico und erlebte all diese jungen, brillanten Studenten mit ihren klaren, entschiedenen Meinungen über alles und jedes. Nach ihrem Muster brachte ich ihn ins Spiel, um den Romanen zusätzliche Facetten zu geben.
Das Spannungsverhältnis zwischen dem älteren, eher angepassten Cop und dem Neuling, der tief in seiner Kultur verwurzelt ist, schien mir fruchtbar und nötig. Mit der Zeit, von Band zu Band, wuchs dann auch der gegenseitige Respekt der beiden füreinander.
Als ich das realisierte, kam noch etwas hinzu: Ich hatte die Verfilmungsrechte für einen Leaphorn-Band verkauft und in meiner Sorglosigkeit nicht beachtet, dass ich im Vertrag auch die Rechte an dieser Figur abgetreten hatte. Ich hätte so oder so eine neue Figur eingeführt, aber so hatte ich noch einen weiteren Grund. Als der Vertrag nach einigen Jahren ausgelaufen war, konnte ich Leaphorn wieder in die Romane zurückkehren lassen.
Ich verbringe immer viel Zeit in den Gegenden, über die ich schreiben will. Ich muss zuerst ein Gefühl für sie entwickeln, mir die Einzelheiten einprägen. Erst dann fühle ich mich dort heimisch. Ich entwickle meine Romane aus Szenen heraus. Also verbringe ich zunächst viele Stunden mit den Füßen auf dem Schreibtisch und lasse meine Fantasie daran arbeiten, was in einer Szene geschehen könnte. Nicht nur die Ereignisse, sondern auch, wie der Wind bläst, welche Tageszeit herrscht, wie das Licht fällt, wie die Wolkenformationen aussehen, was man riecht, ob und wie heiß es ist und wie die Figuren sich gerade fühlen. Wenn ich mich dann an den Computer setze, sehe ich die Szene schon vor mir. Im Grunde berichte ich nur, was sich vorher in meinem Kopf schon ereignet hat.
Und natürlich muss die Landschaft zur Handlung passen. In Jagd ohne Beute zum Beispiel war ich auf der Suche nach einer verlassenen Mine im Grenzgebiet zwischen den Territorien der Navajo und der Ute, denn ich wollte über die Erinnerungen an die Kämpfe zwischen diesen beiden Völkern schreiben. Also kreuzte ich auf endlosen holprigen Feldwegen durch die Gebiete zwischen Utah und Arizona. Mir war immer wichtig, dass man beim Lesen auch die Weite, die Größe und die Leere dieser Landschaften spürt, nur so hat die Story den Raum, um sich zu entfalten. Ich liebe diese Gebirge des Westens, diese trockenen Hochebenen. Den Navajo sind sie heilig. Darum nimmt diese Region auch so viel Platz ein in meinen Romanen.
Zusammengestellt aus folgenden Interviews mit Tony Hillerman: Los Angeles Review of Books, Alan Wahrhaftig, Oktober 1984; Bookpage, Bruce Tierney, Dezember 2004; Book Browse, Mai 2005; Wild West, Juni 2008; National Public Radio, Lynn Neary, Oktober 2008. Links zu den Texten auf der Webseite des Unionsverlags zu Tony Hillerman: www.unionsverlag.com.