Hana ist eine Geschichte aus meinem Heimatort Valasske Mezirici. Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht, und ein Teil der Geschichte ist auch meine Familiengeschichte. Aber viele meiner Mitbürger wussten nichts von diesen Ereignissen.
Die kommunistischen Behörden erlaubten keine Erinnerung daran. Es war wie ein Fleck auf dem kitschigen Bild, das sie von ihrer Herrschaft zu zeichnen versuchten. Genau deshalb wollte ich darüber schreiben und die Toten dem Vergessen entreißen. Es war ein Flug durch das 20. Jahrhundert.
Es war sehr schwierig, Menschen zu finden, die Auskunft geben wollten. Stark beeinflusst haben mich die Erinnerungen von Michael Honey. Er wurde 1929 als Mischa Honigwachs in Novy Jicin (Neutitschein) im Sudetenland geboren, und als sein Heimatdorf nach dem Münchner Abkommen 1938 zum Dritten Reich kam, flüchtete seine Familie nach Valasske Mezirici, das bei der Tschechoslowakei geblieben war. Doch die Deutschen marschierten im März 1939 ein und zerschlugen, was von unserem Staat noch übrig war. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen kamen ständig Flüchtlinge aus dem Osten durch dieses Gebiet. Flüchtlinge gewährten Flüchtlingen Zuflucht. Der Holocaust hatte begonnen.
Das jüdische Leben wurde immer mehr eingeschränkt. Die Juden verloren alle Rechte. Viele hatten die Zeichen zuvor nicht erkannt, und jetzt war es zu spät. Am 15. September 1942 wurde die verbliebene jüdische Bevölkerung von Valasske Mezirici, das waren noch rund hundertsechzig Menschen, nach Theresienstadt deportiert. Sie mussten sich mitten in der Nacht auf einem Abstellgleis einfinden. Die Deutschen hatten eine Ausgangssperre verhängt, um Aufsehen zu vermeiden. Jeder durfte nicht mehr als einen Rucksack mitnehmen. Der Transport dauerte für eine Strecke von weniger als vierhundert Kilometern mehr als vierundzwanzig Stunden, viele Menschen kamen unterwegs dazu, bei ihrem Eintreffen waren es mehr als tausend.
Theresienstadt war ein Ghetto, das die SS eingerichtet und unter jüdische Verwaltung gestellt hatte. Aber es war auch ein Durchgangslager für Zehntausende, die von hier in die Vernichtungslager deportiert wurden. Mischa erzählt von einer auch mit Wien verwandtschaftlich verbundenen Familie Heller, eines angesehenen Juristen und Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die schon im Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Sie hatten zwei Töchter. Mira war sieben und Hana fünfeinhalb Jahre, als sie vergast wurden. An sie wollte ich mit meinem Buch erinnern.
Nach dem Krieg war die jüdische Gemeinde von Valasske Mezirici ausgelöscht. Was noch da war, zerstörten die Kommunisten. Die Synagoge wurde abgerissen für eine Feuerwehrstation, die nie gebaut wurde. Der jüdische Friedhof wurde aufgelassen für einen Soldatenfriedhof. Bei den Kämpfen zwischen der Deutschen Wehrmacht und der Roten Armee waren viele Menschen gefallen, die man gleich vor Ort bestattet hatte. So kam es, dass deutsche Soldaten in jüdischen Gräbern zu liegen kamen.
Ich versuche, jeden zu verstehen. Niemand ist nur gut oder nur böse. Menschen, die Verbrechen wie jene gegen die Juden begangen haben, mit denen ist etwas grundsätzlich nicht in Ordnung. Das setzt alle Maßstäbe außer Kraft. Alles, was ich in meinem Buch beschreibe, ist geschehen. Das macht es nur umso schrecklicher.
In meiner Heimatstadt dauerte es bis 2004, bis eine Gedenkstätte für die Juden errichtet wurde. Ich selbst habe erst durch die Arbeit an meinem Buch diese Geschichte erfahren. Ich dachte, wir wissen längst alles über den Holocaust. Da habe ich mich gewaltig geirrt. Als Lehrerin war ich oft überrascht, was die Schüler alles nicht wissen. Aber das ist gefährlich: Wir müssen unsere Vergangenheit kennen, damit wir sie nicht wiederholen.