Opposition ist eine türkische Tradition.Und wenn man die Geschichte der türkischen Literatur näher untersucht, dann findet man in ihrem Zentrum die Bauernliteratur, oder vielmehr die Volksliteratur. Anatolien war schon immer ein rebellisches Stück Land, seit dem 13. Jahrhundert ist hier die Kette der Revolten nicht abgebrochen. Aus diesen Aufständen sind immer auch Künstler herausgewachsen. Diese Traditionslinie beginnt bei Yunus Emre, dem großen mystischen Dichter des 13. Jahrhunderts und überhaupt dem bedeutendsten Dichter der türkischen Geschichte, sie geht über Dadaloğlu bis hin zum radikalen Erneuerer der türkischen Lyrik, Nâzim Hikmet. Schon Yunus Emre sagte:
»Der Herren Güte ist dahin
Sie reiten einher auf Araberpferden
Sie essen Menschenfleisch
Sie trinken Blut«
Welch ein Zorn gegen die Mächtigen! Die Schriftsteller meiner Generation stehen in dieser Traditionslinie. Sogar Hikmet, der aus einer Aristokratenfamilie des Osmanischen Reiches stammt, fand den Weg mitten ins Herz Anatoliens: Er saß siebzehn Jahre für seine Überzeugung im Gefängnis, und dort hat er seine Lyrik entwickelt, im Kontakt mit den Menschen Anatoliens, mit Dieben, Mördern, kleinen Gaunern, mit Unterdrückten aller Art, mitten im Volk und seinem riesigen Schatz an Erfahrungen.
Das ist wohl eines der überraschendsten Merkmale der Schriftsteller meiner Generation. Es gibt praktisch keinen, der nicht durchs Gefängnis gegangen ist. Sabahattin Ali, der als Erster Romane über die Bauern geschrieben hat, wurde ermordet. Hikmat war siebzehn Jahre im Gefängnis, Kemal Tahir fünfzehn Jahre, Aziz Nesin fünf Jahre, Ahmed Arif, unser bedeutendster Lyriker der Gegenwart, fünf Jahre, Ruhi Su auch fünf Jahre. Auch Orhan Kemal saß lange Zeit im Gefängnis. Ich selbst war dreimal im Gefängnis. Das erste Mal mit siebzehn Jahren, dann wieder 1950, als ich gefoltert wurde. 1971 wurde ich wieder festgenommen, aber nach vielen internationalen Protesten wieder freigelassen. Es gibt keinen Zweifel – das Gefängnis ist die Schule der türkischen Gegenwartsliteratur.