Wipanan Chaichanta: Ihr Protagonist ist Halb-Thai und Halb-Amerikaner, der Sohn einer Thai-Prostituierten und eines devoten Buddhisten. Wie haben Sie diese Figur entwickelt, die durch ihren ethnischen und moralischen Hintergrund kontroverse Betrachtungen sowohl über Thailand als auch über den Westen erlaubt?
John Burdett: Sonchai entwickelte sich sehr langsam. Über ein Jahr habe ich mit mir gehadert, bis ich in den sauren Apfel biss und mich dazu entschloss, aus der Ich-Perspektive eines Bangkok-Polizisten zu erzählen. Mir war klar, dass dies einen Aufschrei provozieren könnte und ich dafür womöglich als arroganter Farang bezeichnet würde, aber erzähltechnisch sah ich keine andere Möglichkeit. Der Rest hat sich aus diesem Entschluss ergeben: sein Buddhismus, der Beruf seiner Mutter, sein tadelloses Englisch und seine groben Französischkenntnisse sowie sein breites Wissen über Asien und den Westen.
Wie gelang Ihnen der Wechsel von Ihrer juristischen Tätigkeit zur schriftstellerischen?
Ich wollte schon immer schreiben, aber nachdem ich meinen Abschluss an der Warwick University gemacht hatte, befand sich Großbritannien in einem kulturellen und ökonomischen Stillstand. Ich machte ein Anwaltspraktikum, um einen Job zu kriegen. Danach bewarb ich mich auf eine Stellenausschreibung der Regierung in Hong Kong, die nach englischen Juristen verlangte. Dieser Job veränderte mein Leben.
Was waren Ihre Eindrücke und Erfahrungen, als Sie das erste Mal in Thailand waren? Was hat sich geändert, seit Sie dort leben?
Bei meinem ersten Aufenthalt logierte ich im Oriental, ein Hotel voller Orchideen und Nostalgie. Der totale Asien-Luxus! Der Rest von Bangkok ist überhaupt nicht so. Es gibt viel Armut, Umweltverschmutzung, Korruption und Ineffizienz. Aber die Menschen in Thailand sind sehr warmherzig und wenn man sich in der Stadt einmal auskennt, kann man beinahe überall Spaß haben.
Ihre Romane tangieren immer wieder das Thema Prostitution. In einer Ihrer Lesungen haben Sie kürzlich gesagt, dass Prostituierte für Sie irgendwie heroisch sind. Was meinen Sie damit?
Man muss immer unterscheiden zwischen verschiedenen »Märkten«. Ich mag dieses Wort nicht, aber in einer kapitalistischen Gesellschaft scheint es am angemessensten. In Thailand gibt es ausgesprochen viel Prostitution und mehr als neunzig Prozent davon spielt sich ausschließlich unter den Thais ab. Nur etwa fünf Prozent betreffen die Farang und den westlichen Markt. Mein Fokus liegt allein auf Letzterem. In diesem eingeschränkten Markt habe ich mit hunderten von Frauen und Mädchen gesprochen, und die meisten erzählen eine ähnliche Geschichte. Es habe keinen direkten Druck gegeben, der dazu geführt hätte, dass sie ihren Körper verkaufen, und sie arbeiten nicht für Zuhälter. Sie haben diesen Weg aus unterschiedlichen Gründen eingeschlagen. Der erste ist Armut. Die einzige Alternative zur Prostitution ist ein Handarbeitsjob oder schwere körperliche Arbeit – demütigend, deprimierend und schlecht bezahlt. Ein paar von ihnen genießen das »Spiel«, anderen missfällt es, den meisten ist es egal, aber alle sind sich einig, dass es besser ist, als in einer Fabrik oder auf einer Baustelle zu arbeiten. Ich halte diese Frauen deswegen für heroisch, weil sie ihre Arbeit fröhlich erledigen, meisten auch irgendwie Spaß daran finden und einen Großteil ihres Einkommens mit der Familie teilen. Häufig bewahren diese Frauen ihre Familien vor dem finanziellen Ruin. »Familie« schließt hier mehr ein als nur die nächsten Verwandten. Oft tragen diese Frauen die Kosten für die Ausbildung und medizinische Versorgung für etliche Neffen und Nichten.
In Der buddhistische Mönch ruft eine der Figuren aus: »Der Zusammenprall der Kulturen? Sie meinen die Konfrontation eines Mannes aus dem Westen mit seinem jämmerlichen Bedürfnis, in einen sicheren Bauch zurückzukriechen, mit einer Thai-Nutte, die nur nach einer ergiebigen Goldader sucht?« Worin besteht der grundsätzliche kulturelle Konflikt zwischen Thais und Farangs? Was sind die größten Missverständnisse über Thailand und seine Bevölkerung?
Wir aus dem Westen haben keine Vorstellung von extremer Armut. Die meisten von uns haben überhaupt keine Ahnung davon, welche Auswirkungen sie auf den menschlichen Geist haben kann. Umgeben von Luxus und einem hohen Lebensstandard entwickelt man gerne romantische Vorstellungen, um die Fragmentierung der eigenen Gesellschaft zu verschleiern. Im ländlichen Thailand, wo die meisten der Frauen herkommen, denkt man bei Liebe weniger an Romantik oder gar an Sex, sondern mehr daran, jemanden samt seiner Familie ein Leben lang ganz uneigennützig zu unterstützen. Klar gibt es kulturelle Konflikte zwischen einem romantikverblendeten Farang Mitte fünfzig und seiner jungen Frau aus Isaan. In den meisten Fällen bekommt der Farang aber alles, wovon er in Sachen Liebe, Respekt und Einfluss geträumt hat, solange er sich um seine Frau und ihre Angehörigen kümmert. Dennoch kommt es häufig vor, dass der Farang ihre Einstellung mit Geldgier verwechselt und deswegen diese Form von Liebe als »unrein« betrachtet.
Die zentrale Figur in Der buddhistische Mönch – nebst Sonchai – ist die Prostituierte Damrong, die zu Beginn des Romans in einem Snuff-Film getötet wird. Dennoch bleibt sie omnipräsent. Zwar nicht als lebendige Person, aber dafür auf Film, in Träumen und als Geist.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie eine Figur die Handlung bestimmen kann. In Macbeth beeinflusst Banquo die Handlung auch noch über seinen Tod hinaus. Ähnliches gilt für Hamlets Vater und Stiefvater. Durch diese Geist-Technik konnte ich Damrongs Wesen vollumfänglich in die Handlung einfließen lassen, ohne mit vielen Rückblenden arbeiten zu müssen.
Sie sagen, dass Geister einen wesentlichen Bestandteil der thailändischen Kultur ausmachen. Können Sie den Aberglauben und die Macht genauer beschreiben, die Geister auf die Menschen von Südostasien ausüben?
Man muss hier sehr vorsichtig sein, um nicht in eine bevormundende und herablassende Haltung gegenüber diesen Vorstellungen zu fallen. Zwar glauben die Thais an Geister, aber nicht ohne Ironie. Speziell Mädchen wird beigebracht, den Begriff »Geister« als leichte und vielseitig anwendbare Ausrede zu verwenden. Beispielsweise um Arbeit zu vermeiden, um unangenehme Orte nicht besuchen zu müssen oder auch um Menstruationskrämpfe zu erklären. Ich würde sagen, dass Asiaten eine engere Beziehung zum Unterbewussten haben. Sie sind eher gewillt, sich auf Mythen, Legenden und Traditionen zu beziehen. Dazu gehören auch Geister. Ebenso neigen sie dazu, das, was wir im Westen psychologisch erklären würden, als übernatürliche Ereignisse zu interpretieren. Aufgrund dessen zählen sie in Situationen, in denen Westler eher an die Chemie glauben, auf die Unterstützung von schamanischen Personen, wie beispielsweise hellseherische Mönche oder Seher. Außerdem dürfen wir die immer noch andauernde Tradition des Ahnenkults – speziell bei Chinesen und Indonesiern – nicht vergessen. In dieser Tradition üben die Ahnen, sprich die Geister, eine große Macht auf die Gegenwart aus und müssen deswegen mit Respekt und Dankbarkeit behandelt werden. Zwar ist dieser Einfluss auch unter der urbanen thailändischen Bevölkerung spürbar, je weiter man aber ins Landesinnere geht, desto stärker wird er. Hier (und speziell bei den Bergbewohnern) bilden die Vorfahren den Kern der Gemeinschaft und ihrer Identität.
Es gibt eine Szene nach Damrongs Tod, in der Sonchai die Verstorbene (oder ist es ihr Geist?) in einem Supermarkt zu sehen scheint. Den Leser beschleicht dabei das Gefühl, Damrong könne immer noch am Leben sein.
Es liegt in der Natur von »wirklichen« Geistern – im Gegensatz zu denjenigen aus Comics und Opern –, als ganz natürliche Menschen in Erscheinung zu treten. Als ich in Südlondon Recht praktiziert habe, fand ich diese Vorstellung auch immer wieder im Umfeld der urbanen, armen Bevölkerung, Angelsachsen eingeschlossen.
In einer Szene »verhört« Sonchais Vorgesetzter, der korrupte Colonel Vikorn, den kriminellen Tanakan anhand einer ausgedehnten, hypothetischen Analogie. Warum sprechen beide Männer euphemistisch über Tanakans Schuld an Damrongs Tod?
Vikorn erledigt seinen Job nach eigener Auffassung. Klar erpresst er Tanakan, aber nur, weil Tanakan, wie dieser auch selbst weiß, auf frischer Tat ertappt wurde. Für Vikorn ist es eine ähnliche Situation, wie wenn ein Verkehrspolizist Schmiergeld von einem Raser kassiert. Tanakan ist also Freiwild, bleibt aber, wie Vikorn sehr wohl weiß, eine zentrale Figur des Systems. Tanakan muss mit großem Respekt behandelt werden. Vikorn spricht also symbolisch, um eine direkte Anklage zu vermeiden. Wenn Vikorn sich nicht an die Regeln dieses feudalen Spiels hält, wird ihn Tanakan ohne Weiteres beseitigen.
Beschreiben Sie die Unterschiede im Rechtsystem zwischen Thailand und den Vereinigten Staaten.
In Thailand kann das System von jedem mit Geld oder Einfluss zurechtgebogen werden. In den Staaten braucht man beides!
Gibt es wirklich solche »unsichtbaren Männer« wie Tanakan, also wohlhabende Psychopathen, die keinerlei Moralvorstellungen haben? Kann die Ausbeutung von Thais, Kambodschanern und Vietnamesen irgendwie minimiert werden?
Selbstverständlich gibt es viele Männer wie Tanakan und zwar nicht nur in Thailand, sondern auf der ganzen Welt. Wohlstand macht die Menschen nicht moralisch, häufig ist das Gegenteil der Fall: Manche Leute denken, Gott habe sie verdienterweise reich gemacht und sie hätten ein Recht darauf, in Luxus zu schwelgen. Schon Nero war dieser Ansicht. Bei Tanakan hatte ich allerdings kein reales Vorbild vor Augen, sondern habe mich eher an urbanen Mythen orientiert. Ob Snuff-Filme wirklich existieren, ist unklar, aber das spielt keine Rolle im Reich der Fiktion, in dem Mythen sehr viel mächtiger sind als Fakten.
Ich möchte mir nicht anmaßen, eine Lösung für die Ausbeutung zu haben, aber es scheint mir ein guter Anfang zu sein, die landwirtschaftlichen Subventionen im Westen abzuschaffen, sodass selbstversorgende Landwirte außerhalb der Industriestatten eine reale Chance erhalten. Zurzeit sind viele von ihnen finanziell darauf angewiesen, dass sich ihre Kinder am Drogen- und Sexhandel beteiligen.
Sie schreiben, dass Damrong mit vierzehn Jahren von ihren Eltern in die Prostitution verkauft wurde. Laut Vertrag sollte sie für ein Jahr in Malaysia arbeiten, sechzehn Stunden und mindestens zwanzig Männer pro Tag. Damrong kommt zurück nach Bangkok als »vollkommen effizient. Vollkommen kalt.« Kein Wunder, dass sie für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist und von ihrem Bruder Gamon gardanyu (eine Art Blutschuld) einfordert. In gewisser Weise kann man sie mit Richard III oder Miltons Satan vergleichen.
Das ist hoch gegriffen! Ich habe für kurze Zeit Strafrecht in Großbritannien praktiziert und in Hong Kong ein paar Kriminalfälle bearbeitet. Tatsache ist, dass hauptsächlich die Umwelt bestimmt, ob sich ein Kind zu einem Monster oder einem verantwortungsbewussten Menschen entwickelt. Damrong hat all die Gaben und Bedürfnisse einer jungen Frau, aber das Umfeld, in dem sie aufgewachsen ist, hat sie dermaßen beeinflusst, dass sie sich nur in einer destruktiven – und in der Tat kriminellen – Art und Weise ausdrücken kann. Das ist ganz und gar nicht unüblich für arme junge Menschen. Ich glaube, die Debatte darüber wird derzeit vom islamischen Fundamentalismus verwischt und lässt uns glauben, der radikale Islam produziere eine destruktive und suizidale Mentalität. In Tat und Wahrheit ist dies aber eine universelle Reaktion auf Armut und Niederlagen, die wir auf der ganzen Welt feststellen können. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass sich auch die Angelsachsen zu zerstörerischen Selbstmordkommandos formiert haben, um die Römer zu bekämpfen, die aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit nicht anders hätten besiegt werden können. Und natürlich wäre da noch das Beispiel der japanischen Kamikaze-Einheiten im Zweiten Weltkrieg. Damrong ist schlicht und ergreifend eine destruktive Figur im Kontext ihres Umfeldes. Sie ist eine herausragende Persönlichkeit, mutig, geschickt, klug und liebt Zerstörung um ihrer selbst willen. Ich glaube, das trifft auf ziemlich viele Kriminelle zu, die mir im Rahmen meiner Arbeit begegnet sind.
Jenseits des Grabes übt Damrong ihre Rache auf diejenigen aus, die ihr Unrecht angetan haben. Dabei spielt nicht nur das Element der Hexerei eine Rolle, sondern auch eine merkwürdige Verwandlung, wobei Gamon »Damrong in jeder ihrer Bewegungen« gleicht; Sie bezeichnen Gamon sogar als »sie«. Können Sie beschreiben, wie Sie auf diese Idee gekommen sind?
Ich musste ein Ende finden. Ich lag auf meinem Bett und zermarterte mir den Kopf. Dann erschien mir Damrong und erklärte ganz genau, wie das Ende auszusehen habe. Unter der Bedingung, dass sie mich nie wieder heimsuchen würde, habe ich ihre Instruktionen gehorsam wie ein Sekretär ausgeführt.
Dieses Interview erschien erstmal auf Rain Taxi Review of Books und wurde aus dem Englischen übertragen.