The Sewanee Review: Sie haben Politikwissenschaften studiert, den Krieg gesehen und auf mehreren Kontinenten gelebt. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck, warum kehren Sie immer wieder zur Liebesgeschichte zurück?
Shahriar Mandanipur: Ich wollte immer schon eine schöne Liebesgeschichte schreiben. Keine Danielle-Steel-Liebesgeschichte oder eine mit einem rosa Hollywood-Ende, sondern eine ästhetisch schöne Liebesgeschichte. Das war mein wichtigstes Anliegen in Eine iranische Liebesgeschichte zensieren. Außerdem wollte ich zeigen, dass es unter dem iranisch islamischen Regime und seinen Zensurpraktiken unmöglich ist, eine schöne Liebesgeschichte zu veröffentlichen. Nicht nur im Iran, sondern in der ganzen Welt wird Liebe als ein Produkt dargestellt, nicht als etwas, das sich Tag für Tag weiterentwickelt. In meinem neuen Roman geht es ums Verliebtsein. Ein Liebender kann Liebe finden oder auch nicht, aber er kann auch einfach das Verliebtsein lieben. Man ist immer verliebt, auch wenn man seinen Liebsten nie findet.
Sie haben einmal gesagt: »Ich bin nicht politisch. Ich habe Politikwissenschaften studiert, und vielleicht hasse ich Politik, weil ich etwas davon verstehe.« Viele Figuren in Ihrem Roman – die Protagonisten von Eine iranische Liebesgeschichte und Ihrem neuen Roman beispielsweise – sind unzufriedene Aktivisten, die die Liebe nur finden, nachdem sie den politischen Kampf hinter sich gelassen haben. Wie ist die Beziehung zwischen Liebe und Politik, oder Politik und Literatur, in der iranischen Kultur?
Leider hat jede Liebesgeschichte auf Persisch immer auch einen politischen Nachhall. Sie wird zur Kriegserklärung gegen Dunkelheit und Ignoranz. Und durch Letzteres wird sie sogar noch politischer. Die Polizei zieht an etlichen Kontrollpunkten im ganzen Iran Fahrer aus dem Verkehr und prüft, ob deren Atem nach Alkohol riecht. Nicht, weil sie sich um die Gesundheit der Fahrer sorgen, die ist ihnen gleichgültig. Die Fahrer sollen ihre Strafe erhalten. Beim ersten Mal achtzig Peitschenhiebe, beim zweiten Mal auch, beim dritten Mal droht die Todesstrafe. Ahmad Schamlou, der große zeitgenössische iranische Poet, hat geschrieben: »They smell your breath, / lest you have said I love you …«
Verliebtsein ist im Iran verboten, genauso, wie es verboten ist, Wein zu trinken. Liebe war selbst unter den Anti-Diktatur-Guerillas verboten. Die einzige Liebe, die erlaubt ist, ist jene für den Islam.
Andererseits, ist Liebe nicht gleichbedeutend mit der Freiheit, zu wählen? Unterscheidet sich nicht jeder Mensch vom anderen, indem er seine eigene Liebe kreiert? Ist es nicht die Liebe, die den Menschen individuell macht? Diktatoren entwerfen einen menschlichen Prototypen und befehlen, dass alle Menschen diesem entsprechen. Liebende schaffen ein einzigartiges Selbst durch ihre Liebe, und stellen sich damit gegen den Diktator.
Ihr neuer Roman spielt um 1979, zur Zeit der Islamischen Revolution und des Iran-Irak-Kriegs. Wie war es, in diese turbulente Zeit in der Geschichte des Irans zurückzukehren?
Mit etwas Abstand zum Text denke ich nun, dass der Roman eine symbolische Repräsentation des Irans darstellt, der, genau wie der Protagonist, einen Großteil seines Gedächtnisses und seinen linken Arm im Krieg verloren hat und nun auf der Suche ist nach einer gesichtslosen Liebe.
Seit ich nicht mehr im Iran und unter der Zensur lebe, kann ich meine Literatur und mein Land aus einer anderen Perspektive betrachten. Als ich im Iran diesen Roman geschrieben habe, habe ich drei Anläufe gebraucht. Beim ersten Versuch nutzte ich einen Ich-Erzähler, beim zweiten einen personalen Erzähler. Beim ersten Versuch schrieb ich achtzig Seiten, beim zweiten etwa hundert, bevor ich merkte, dass sich der Roman nicht in die richtige Richtung entwickelte. Irgendetwas war falsch. Die entscheidende Idee für die Erzählperspektive hatte ich während meiner Monate in Berlin. Diese Idee umzusetzen, war zunächst eine Herausforderung, aber irgendwann ging es ganz leicht. Der Erzähler bin nicht ich oder der Protagonist, sondern die Wächterengel auf dessen rechter und linker Schulter, die seine guten und schlechten Taten niederschreiben. Der rechte Engel erzählt in einer eleganten, poetischen Prosa, der linke eher in einer zwanglosen, alltäglichen Sprache, fast schon Slang.
In Eine iranische Liebegeschichte zensieren treffen Sie eine Aussage, die Ihre künstlerische Absicht auszudrücken scheint:
Eigentlich verstand ich mich schon immer als einsamen Menschen, obwohl ich sehr gute Freunde und eine liebe Familie habe. Diese anfallartig einsetzende Erkenntnis der eigenen Isolation hat aber nichts mit gewöhnlichem Alleinsein zu tun. Auch wenn es mein Beruf ist, um Worte zu ringen, fehlt mir der Ausdruck für dieses Gefühl. Womöglich schreibe ich Geschichten, um zu zeigen, dass es im Leben Augenblicke, Emotionen und Ereignisse gibt, die sich der Sprache entziehen.
Drückt sich diese Unsagbarkeit auch in der einzigartigen Struktur des neuen Romans aus? Manchmal streiten sich die Schreiberengel darüber, wer eine bestimmte Passage schreiben sollte – der rechtschaffene oder böse.
Schriftsteller, die ihre Geschichten mit einem einzigen Erzähler und in einem konsistenten Prosastil schreiben, werden irgendwann nichts Neues mehr zu erzählen haben, nicht sich selbst und nicht ihren Leserinnen und Lesern. Wenn es stimmt, dass es »nichts Neues unter der Sonne« gibt, dass beispielsweise die Figur der Mutter in etlichen Geschichten bereits in Archetypen und Prototypen erzählt wurde, dann bleibt dem Schriftsteller als wichtigstes Element der Kreativität und der Innovation die Form der Geschichte und die Form der Prosa.
Ich beginne meine Schreibworkshops jeweils mit diesen Fragen: Wer erzählt, wann und warum? »Warum wird diese Geschichte erzählt?« ist eine gefährliche Frage: Viele große Geschichten haben keine Antwort darauf. Das Fass Amontillado von Edgar Allan Poe beispielsweise. Es ist ein Meisterwerk, aber die Frage nach der Kausalität bleibt unbeantwortet. Warum gesteht der Erzähler den Mord, den er begangen hat? Der Text bleibt die Antwort schuldig. Im Gegensatz dazu stehen Werke von Schriftstellern wie Joseph Conrad, in denen die Kausalität fest verankert ist.
Sie leben und unterrichten nun schon seit einiger Zeit in den USA, schreiben aber weiterhin auf Farsi. Spüren Sie eine Disparität zwischen Ihrem Werk und Ihrem literarischen Umfeld?
Farsi ist eine wunderschöne und literarische Sprache. Als Wissenschaftssprache ist sie schwach, aber in ihrer fünfzehnhundert Jahre langen Geschichte hat sie sich zu einer sehr bildlichen und ausdrucksstarken Sprache entwickelt. Mit vierzehn Jahren habe ich zu Schreiben begonnen, und nun habe ich endlich einen Stil in der Persischen Sprache gefunden, der ganz der meine ist – er ist mein Leben, meine Identität, mein einziges Kapital in dieser Welt. Niemand kann ihn mir stehlen, niemand kann ihn konfiszieren. Ich kann mich nicht von ihm trennen, und er sich nicht von mir.
Seit ich vor elf Jahren nach Amerika gezogen bin, bin ich sieben Mal umgezogen, habe sieben Mal ein neues Zuhause geschaffen, und werde es bald wieder tun. Es ist nicht leicht, sich von Dingen zu trennen, vielleicht auch einige seiner Bücher zurückzulassen, und an einen neuen Ort zu ziehen. Aber, in den Worten des iranischen Schriftstellers Huschang Golschiri, »Die Sprache ist mein Zuhause«. Wie und wo könnte ich sie zurücklassen? Sie ist das einzige Zuhause, das mich überallhin begleitet, zu jeder Zeit.
Das Interview erschien 2018 auf The Sewanee Review, die Fragen stellte Walt Evans.