»Geschichten mit zu viel Harmonie sind langweilig«, sagt Petra Ivanov bei einem Vortrag über ihr Schreiben an der Universität Zürich. Während sie erklärt und zeigt, wie ihr neuester Krimalroman Alte Feinde entstanden ist, ploppt bei mir eine Frage nach der andere auf, die Petra Ivanov ein paar Wochen später beantwortet.
Du hast erzählt, dass das Schreiben eines Buches mit einer Bühne beginnt, das heißt, Du wählst einen Ausschnitt, einen Ort, suchst Dir dann die Figuren zusammen. Steht also am Anfang der Ort, der Dich inspiriert? Oder ist es ein Thema, das Dich nicht mehr loslässt? Du hast auch gesagt, nur schon beim Hören von »Echo der Zeit« kämen Dir mindestens drei Buchideen in den Sinn.
Die Bühne muss nicht zwingend ein Ort sein. Sie besteht aus Fakten. Diese können einen Ort betreffen, genauso juristische Abläufe oder eine politische Situation, das taktische Vorgehen der Polizei, die Motive der Figuren und so weiter. Ganz am Anfang steht für mich das Thema. Ich suche Informationen zusammen, besuche Schauplätze und Institutionen, lese Fachbücher, spreche mit Beteiligten. Auf diese Weise baue ich die Bühne. Wenn ich das Gefühl habe, dass sie stabil genug ist, lasse ich die Figuren auftreten und beobachte, wie sie aufeinandertreffen.
Wie findest Du Deine Figuren?
Bei Serien sind die Hauptfiguren bereits vorhanden, ich kann höchstens von Buch zu Buch den Schwerpunkt verlagern. Die Figuren, die jeweils neu dazu kommen, entwickeln sich aus dem Thema / entstehen hingegen aus dem Thema heraus. Meist spüre ich beim Recherchieren, wer im Mittelpunkt der Geschichte stehen wird / um wen eine Geschichte kreist. Ein Beispiel: In Alte Feinde spielt der Amerikanische Bürgerkrieg eine wichtige Rolle. Das Mordopfer, Albert Gradwohl, setzt sich mit seinem berühmten Vorfahren Heinrich H. Wirz auseinander, der im Bürgerkrieg gekämpft hatte. Es war mir von Anfang an klar, dass Gradwohl der Aufhänger sein musste, ein Mann im Ruhestand, der nach seinen Wurzeln gräbt. Das passte einfach. Sein Wesen wurde immer konkreter, irgendwann verstand ich, was ihn antrieb.
Wie realistisch muss ein Krimi sein, wie nah darf er an das Geschehen ran?
Für mich gibt es keine Regeln. Ich schreibe das, was ich auch gerne lese. Wenn ich mich auf ein Buch einlasse, möchte ich etwas Neues erfahren, eine Reise erleben, die mich erfüllt und zum Nachdenken anregt. Stimmen die Fakten nicht, fühle ich mich getäuscht / betrogen. Hinzu kommt, dass mich Ungereimtheiten ablenken, was der Spannung abträglich ist. Das bedeutet nicht, dass ich Fantasy oder Science-Fiction ablehne. Ganz im Gegenteil. Die Geschichten müssen in sich stimmig sein. Wie realistisch ein Krimi ist, hängt auch mit dem Thema, den Figuren oder dem Plot zusammen. Manche Geschichten verlangen Details, andere nicht.
Wie verarbeitest Du Fakten in Deinen Büchern? Das ist ja eine ziemliche Gratwanderung, zu viele Informationen beschweren den Text, und doch benötigen die LeserInnen eine gewisse Hilfeleistung.
Das finde ich das Allerschwierigste. In Alte Feinde habe ich einen Erzählstrang eingebaut, in dem ein Revolver im Mittelpunkt steht. Er wechselt in jedem Kapitel den Besitzer, die LeserInnen erleben unterschiedliche Seiten des Bürgerkriegs, ohne dass ich viel erklären muss. In anderen Büchern sind es die Figuren selbst, die auf einem bestimmten Fachgebiet tätig sind oder bestimmte Ansichten vertreten, die sie in Dialogen äußern. Auch die Menge an Informationen sind Geschmacksache. Manche LeserInnen interessieren sich eher für die Handlung, andere wiederum auch für die Hintergründe.
Du warst viele Jahre Journalistin, was hat Dich bewogen, Bücher zu schreiben?
Ich bin der Meinung, dass man Menschen mit Büchern anders erreicht als mit journalistischen Texten. Wenn wir einen Roman lesen, nehmen wir uns die Zeit, uns in Figuren hineinzuversetzen. Wir sind bereit, ihre Sichtweise zu verstehen, auch wenn wir sie nicht billigen. Dadurch nehmen wir Fakten anders auf, wir sind empfänglicher und toleranter. Schwierige Themen lassen sich so leichter vermitteln.
Was ist für Dich am schönsten beim Schreiben?
Meine Grenzen zu sprengen. Dinge zu erleben, die ich im Alltag nie erleben würde, weil ich zu ängstlich, zu bequem oder zu vernünftig bin.
Das Interview führte Alice Grünfelder, es erschien auf literaturfelder.com.