Der Nuklearkrieg gegen die Menschheit hat lange vor dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki begonnen - als die radioaktive Asche von Kernwaffentests sich mit dem Wind, mit Fluss- und Meeresströmungen über die ganze Erdkugel verbreitete und still die Natur vergiftete. Weil die Tests in sogenannten dünnbesiedelten Gegenden durchgeführt wurden, bekamen den ersten Schlag kleine ethnische Gruppen ab, Nomaden der kasachischen Steppen, und später, als die Tests auf ferne Inseln des Stillen Ozeans und der Arktis verlagert wurden, die dortigen Bewohner.
Rufen die Tests auf den Inseln des Stillen Ozeans von Zeit zu Zeit weltweit eine Welle von Protesten hervor, so gab es anlässlich der jeweiligen Atombombendetonationen auf der weit hinterm Polarkreis gelegenen Nowaja Semlja kein besonderes Aufheben, ja, kaum jemand wusste davon. Leiden mussten darunter natürlich in erster Linie die Bewohner der Arktis, Jäger und Rentierzüchter, aber wer schenkt denen schon Aufmerksamkeit!
Zumal der stille Genozid an den kleinen arktischen Völkern Russlands praktisch schon Jahrhunderte dauert.
Genaugenommen begann das bereits mit den ersten Kontakten der arktischen Völker zu europäischen fahrenden Eroberern oder, wie sie in Russland genannt wurden, Forschungsreisenden. Das Vordringen der Russen in den Nordosten war keineswegs ein friedlicher Vorgang - woher käme sonst bei den Tschuktschen die heldische Folklore, die Siege über russische Eroberer schildert und bis vor kurzem nicht veröffentlicht werden durfte. Aber Geschichte ist Geschichte, und ungeachtet der Bemühungen ideologischer Berichtiger haben sich diese blutigen Ereignisse unauslöschlich ins Gedächtnis des Volkes eingeprägt.
Doch das, was in den Jahren der Sowjetmacht mit dem Norden geschah, entzieht sich jedem Vergleich mit den Feldzügen der russischen Kosaken, mit der Vernichtung einzelner Familien und dem Gemetzel in Nomadenlagern und Küstensiedlungen.
Das begann bereits in der Epoche des Gulag, als viele Gegenden der Arktis in den Wirkungsbereich so gewaltiger Lager-Industriegruppen gerieten wie Dalstroi. Auf Tschukotka betraf das die Tschauner- und Egwekinoter-Gebiete mit ihrem Reichtum an Uran, Gold und anderen seltenen, strategisch wichtigen Bodenschätzen. Um die Erschließung dieser oder jener Vorkommen in Angriff zu nehmen, die sich in der Regel auf Weideflächen von Rentieren befanden, vertrieb man die Menschen einfach von den bewohnten und erschlossenen Orten, und falls sie sich widersetzten, wurde ohne viel Worte auf sie geschossen.
Das Ergebnis war, dass es heute im Tschauner-Gebiet, das so groß ist wie einige europäische Staaten zusammengenommen, keinen einzigen fischreichen Fluss mehr gibt. Ganz zu schweigen von der für Jahrhunderte zerstörten dünnen Schicht Mutterboden, auf der nun schon für einige kommende Generationen kein Rentiermoos mehr wachsen wird. Die tschuktschischen Rentierzüchter sind gezwungen, an ungeeignete Orte wegzuziehen, haben ihre einzig zuverlässige, garantierte Existenzgrundlage verloren.
Einmal führte mich der Weg auf die Goldfelder von Komsomolski, unweit des arktischen Hafens Pewek, an eine Stelle, wo nun schon etliche Jahre ein Nassbagger für die Goldgewinnung eingesetzt ist. Die Gegend erinnerte an eine Mondlandschaft, und weithin erklang unheilvolles metallisches Knirschen, das alles Lebendige verschreckte. Es war unmöglich, diese triste, leblose Landschaft ohne inneres Erschauern zu betrachten. Sogar die Menschen, die den Nassbagger bedienten, kamen mir wie mechanische Geschöpfe, wie Roboter vor. Viele Kilometer weit gab es keinen einzigen Vogel, kein Wild, nicht mal eine Polarmaus. Alles war verschwunden, war davongelaufen vor diesem eisernen Ungeheuer, das die Erde verschlang.
Wer durch die arktische Tundra fährt, trifft auf Hunderte von rostigen Fässern, auf Kahlstellen, wo die Erde von unbekannten Giften, von Treibstoffen und Schmierölen zerfressen ist, auf halbzerstörte Metallkonstruktionen, Bohrtürme, Werkbänke, Raupenketten … Die Spuren solcher Raupenketten sollen heute sogar aus dem Kosmos zu sehen sein.
Die Öffentlichkeit hat wiederholt die Frage nach dem Schutz der arktischen Umwelt aufgeworfen - in der Presse, auf hochrangigen Versammlungen, in der sowjetischen und dann in der russischen Regierung. Beschlüsse wurden gefasst. Zum Beispiel über die obligatorische Rekultivierung von verdorbenen Bodenflächen. Auf ebenjenen Goldfeldern von Komsomolski zeigte man mir einen Tundraflecken von einigen Dutzend Quadratmetern, der rekultiviert und mit irgendeinem Gras besät worden war. Die Herren von der Obrigkeit begriffen nicht, wie lächerlich diese Demonstration war, umgaben uns doch Hunderte und Tausende Quadratkilometer für ewig toten Bodens!
Doch das sind sozusagen die sichtbaren Spuren der Zerstörung von Natur und Boden der Arktis.
Es gibt eine noch schlimmere Gefahr, die das Land und die Menschen der Arktis allmählich schwer geschädigt, ihnen viele Jahre Schlag auf Schlag versetzt und so die ohnehin nicht zahlreichen eingeborenen Völker der russischen Arktis dezimiert hat.
Ich meine die Tätigkeit des Militärs.
Sie begann gleich nach Ende des zweiten Weltkriegs, als ganze Divisionen der Roten Armee aus Deutschland nach Tschukotka verlegt wurden. Unter den Ortsansässigen kamen damals verschiedene Gerüchte auf. Den einen zufolge wurde ein Überfall von Amerika befürchtet, andern zufolge sollten umgekehrt die Vereinigten Staaten erobert werden, sobald erst über die Beringstraße hinweg Alaska eingenommen wäre. Was den Überfall auf Amerika anbelangt, so existierte unter meinen Landsleuten die feste Überzeugung, dass dies unmöglich sei, da doch die Beringstraße einen großen Teil des Jahres wegen des ständig driftenden Eises unpassierbar sei, weder einen Panzer noch auch nur ein Hundegespann passieren lasse.
Die Militärs aber begannen alsbald die Fische mit Bomben und Granaten zu betäuben, am Ufer lagernde Walrosse mit überschweren Maschinengewehren zu erschießen, die sauberen Küsten mit Dieselöl und Masut zu verschmutzen. Beschwerden der Ortsansässigen wurden mit Hinweis auf Geheimhaltungszwänge und die Interessen der Landesverteidigung abgewiesen. Mit der gleichen Begründung wurden einmalige Eskimosiedlungen in Naukan, auf Kap Denesh und auf der Insel Bolschoi Diomid liquidiert und ihre Bewohner über Tschukotka verstreut.
Während der Manöver wurden riesige Gebiete, in der Ausdehnung großen europäischen Staaten vergleichbar, der unbeschränkten Verfügungsgewalt des Militärs übergeben, und niemand weiß, was dort nicht nur mit der Natur geschah, sondern auch mit der Tierwelt, mit den Nomadenhirten. Etwas aber konnte man doch bemerken: Verändert haben sich sogar die gewohnten, in Jahrtausenden unabänderlich gewordenen Flugwege der Vögel. Sie umfliegen jetzt die gefährlichen Abschnitte der Tundra und der Meeresküste.
Niemand weiß bisher mit Sicherheit, welche Waffen in der arktischen Tundra und auf den Inseln erprobt wurden, was für eine Luft meine Landsleute jahrzehntelang atmen mussten, welche Gifte die Tundravegetation durchdrangen, sich im Rentierfleisch ablagerten und so spürbar den Organismus der Nordländer zerstörten, die einstmals eine hervorragende Gesundheit besaßen.
Vor einigen Jahren, als ich an den Feiern zum hundertsten Geburtstag des berühmten schwedischen Polarforschers Nordenskiöd teilnahm, besuchte ich das Stockholmer ethnographische Museum und sah uralte Fotografien meiner Landsleute. Unübersehbar waren die offenkundige Gesundheit, der lebensfrohe Blick, die glänzenden, forschenden Augen meiner Landsleute und Stammesgefährten. Das waren Menschen, die mit ihrem Leben zufrieden waren, voller Selbstsicherheit und Selbstachtung. Heute findet man solche Gesichter nur selten in meiner Heimat, auf Tschukotka. Meist sieht man erloschene Augen, eine ungesunde, aschfahle Gesichtsfarbe - offenkundige Merkmale schlecht ausgeheilter oder gänzlich unheilbarer chronischer Erkrankungen.
Heute ist es kein großes Geheimnis mehr, dass die stark gesunkene Geburtenrate und das Ansteigen der Sterblichkeit bei den Nordländern nicht zuletzt von einer erhöhten radioaktiven Strahlung verursacht ist, die keineswegs von Tschernobyl herrührt.
Tschernobyl hat in der Arktis viel früher begonnen als am Fluss Pripjat, in der ehemaligen Unionsrepublik Ukraine. Und bis heute können wir nur Vermutungen anstellen über den Beginn des stillen Genozids an den kleinen Völkern der Arktis, die die seelenlose sowjetische Militärmaschinerie zum Tod verurteilt hat.
Schon zu Beginn der Sechzigerjahre, als der Bau des Bilibiner Kernkraftwerks geplant wurde, eröffnete die Sowjetpropaganda eine breite Kampagne zum Nachweis, dass die Atomenergie die einzige Quelle einer zuverlässigen und ökologisch sauberen Energie für die Arktis darstelle.
Niemand konnte jedoch ahnen, dass unter dem Deckmantel dieses Rummels eine sogenannte technische Atomexplosion beim Staudammbau für das Wasserkraftwerk Wiljuisk im benachbarten Jakutien stattfand und auf der Insel Nowaja Semlja atomare Versuchsexplosionen erdröhnten, die hundertfach stärker waren als die Explosionen der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben.
Mein alter Freund, Doktor Wolfson, hat auf eigenes Risiko die ersten Versuche unternommen, Daten über den Einfluss der Strahlung auf die Gesundheit der Bewohner von Tschukotka zu sammeln. Veranlasst hatten ihn dazu Daten über eine jähe Zunahme von Geschwulsterkrankungen unter den Rentierzüchtern und Meeresjägern auf der Tschuktschenhalbinsel. Doch seine Eingaben an die Obrigkeit wurden sofort vom KGB blockiert, und er besuchte mich geradezu heimlich, um mir seine Besorgnisse mitzuteilen. Bereits in den Sechzigerjahren hatte Wolfson festgestellt, dass die Sterblichkeit unter den Ortsansässigen doppelt so hoch war wie die allgemeine Sterblichkeit in der UdSSR und schon viele Jahre nicht mehr abnahm. Die Menschen starben meistens an Lungenkrebs, an Darmtumoren, an Leukämie, Milchdrüsenkrebs und an Osteosarkomen. Damals war er zu dem Schluss gekommen, dass die Ursache für die jähe Zunahme dieser Erkrankungen die erhöhte radioaktive Strahlung auf Tschukotka sei.
Etwa von der Zeit an hatte das Leningrader Forschungsinstitut für Strahlungshygiene auf Tschukotka Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse sofort der Geheimhaltung unterworfen wurden. Nach ihren Unterlagen war die allgemeine Strahlendosis bei der Urbevölkerung von Tschukotka dreimal so groß wie die entsprechende mittlere Dosis in den anderen Gebieten der Sowjetunion. In dieser Untersuchung werden natürlich die unmittelbaren Quellen und die Schuldigen an der erhöhten Untergrundstrahlung, das heißt die Militärs, nicht genannt, aber andere Gründe gibt es einfach nicht. Es wird nur auf die Kette verwiesen, über die die Radionuklide in den Organismus des Tundramenschen gelangen: Flechten (Nahrung des nördlichen Rentiers) - Rentier -Mensch. Wer aber in die Flechten Substanzen des Kernzerfalls hineinträgt - darüber fehlt in dem wissenschaftlichen Dokument sogar der geringste Hinweis.
An den genannten Krankheiten leiden nicht nur die Rentierzüchter, sondern auch die Bewohner der Küstensiedlungen, die sich hauptsächlich vom Fleisch und Fett der Meerestiere ernähren - von Seehund, Robbe, Walross und Walfisch. Bekanntlich ernähren sich diese Tiere vorwiegend von kleinen Krebsen, die im Flachwasser leben.
Die Verschmutzung des Nördlichen Eismeeres mit Atommüll wird zumeist auf den Beginn des Einsatzes von Atomeisbrechern auf der Trasse des Nördlichen Seeweges zurückgeführt. Bis zu einem gewissen Grad sind diese Darstellungen richtig. Bereits 1959 wurde während der Probefahrten des Atomeisbrechers Lenin sogenannter schwachaktiver Abfall ins Wasser abgelassen. Diese Nachrichten sickerten in die offene Presse durch, aber was die Atom-U-Boote in den nördlichen Meeren abgelassen und versenkt haben, darüber werden wir heute wohl kaum die volle Wahrheit erfahren - Militärs verstehen es, ihre Geheimisse zu wahren! Doch es gab auch unvorhergesehene Lecks in der sorgfältig gehüteten geheimen Information. So fischte im Oktober 1984 die Mannschaft des Schiffes Lepse einen schwimmenden Container mit einer Gammastrahlung von 160 Röntgen pro Stunde aus der Abrossimow-Bucht. Wie sich später herausstellte, hatten die Militärs einfach vorbeigeschossen: Um solche Container möglichst schnell in die kalten Tiefen zu versenken, beschossen sie derartige Container schlichtweg mit Schiffskanonen und überschweren Maschinengewehren. Doch auch ohne derartigen Beschuss wird ein Metallcontainer im Wasser bekanntlich nach zehn Jahren zu Schrott und ein betonierter nach dreißig Jahren.
Am schwersten traf es die Insel Nowaja Semlja, ein einmaliges Stück Land im Eismeer, Heimat der polaren Nenzen, die es fertiggebracht hatten, das Land lange vor dem Erscheinen europäischer und russischer Reisender zu erschließen. Hier lagen seit Urzeiten ihre Jagdreviere, ihre Weiden für Rentiere.
Die Ureinwohner der Insel Nowaja Semlja ahnten nicht einmal, dass ihre Obrigkeit mit ihnen genauso verfuhr wie die USA und Frankreich mit den Eingeborenen der pazifischen Inseln, wo sie ihre Kernwaffentests durchführten. Der ganze Archipelag war ein abgeschottetes Gebiet. Unberücksichtigt blieb sogar die globale Bedeutung von Nowaja Semlja für den Zustand der Fischpopulation in der Barentssee, in der fast alle europäischen Staaten Fischfang ausüben, ganz zu schweigen von unserem Land.
Den Einfluss der Kernwaffenversuche auf die Ureinwohner der Arktis können wir nur ahnen, doch Wissenschaftler haben bereits berechnet, dass allein die Tests der Jahre 1961 bis 1963 auf Nowaja Semlja die größten arktischen Kolonien von fischfressenden Vögeln nahezu vollständig vernichtet haben. Diese Vögel fressen nicht nur Fische, sondern beeinflussen aktiv auch deren Reproduktion, denn ihr Kot dient als Dünger für das Phytoplankton. Auf die Brutplätze von Nowaja Semlja kamen jährlich bis zu acht Millionen Vögel. Heute sind sie praktisch leer und still, und nur selten kann man einen einsam vorbeifliegenden Vogel sehen, wo bis zum Beginn der Kernwaffentests Vogelschwärme zeitweise das Sonnenlicht verdunkelten.
Wasser hat bekanntlich die Eigenschaft zu fließen. Es fließt nicht nur, es vermischt sich auch, legt mit den Strömungen große Entfernungen zurück. Mit dem aufgenommenen Gift bringt es nicht nur Tieren und Vögeln Unheil, sondern vor allem dem Menschen, indem es alles vergiftet, was noch vor Kurzem das Maß für natürliche Reinheit zu sein schien. Jetzt ist es keine Seltenheit mehr, wenn eine schwarze Eisscholle an Ihnen vorbeischwimmt, bedeckt mit Masut und Erdölflecken, wenn - vor allem im Umfeld industrieller Betriebe und Siedlungen - der Schnee längst sein jungfräuliches Weiß eingebüßt hat.
Dennoch kann man auf diesem weißen Schnee leicht Blut entdecken, das Kranke aus ihren angegriffenen Lungen gespuckt haben. Es scheint, als sei der Himmel über der Tundra immer noch rein, an wolkenlosen Wintertagen von einer Vielzahl klarer Sterne überschüttet, erhellt von Erscheinungen des Polarlichts. Und wer die von einer unssichtbaren, todbringenden Strahlung vergiftete Luft einatmet, wer zartes Renfleisch isst, dessen Fasern den Tod bergen, kann nicht der Logik folgen, nach der man angeblich dem Schutz der gesamten Menschheit, der Sicherheit von Millionen Menschen zuliebe, methodisch, insgeheim, unter Bedingungen strengster Geheimhaltung ganze Völker töten muss! Denn die sogenannten kleinen Völker der Arktis zählen wirklich wenige Menschen, verglichen beispielsweise mit den Chinesen, den Russen oder Franzosen. Wenn auf Nowaja Semlja Kernladungen getestet oder mit Atomwaffen ausgerüstete U-Boote unterm Eis des Nördlichen Eismeers auf Fahrt geschickt werden, wenn strategische Bomber unter der Losung aufsteigen, die Sicherheit der Staaten zu gewährleisten, kommt einem unwillkürlich der Gedanke, dass der Atomkrieg mit den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki noch nicht zu Ende war. Er währt seither viele Jahre, und seine Opfer sterben jeden Tag an der gesamten arktischen Küste.
Unlängst veröffentlichte die russische populär-wissenschaftliche Zeitschrift Wissenschaft und Leben eine Karte, auf der die Grabstätten radioaktiver Abfälle auf dem Boden des Eismeers eingezeichnet sind. Sie liegen dicht um Nowaja Semlja, in der Barentssee. Nach Osten zu scheint einstweilen noch nichts zu sein. Und das nicht, weil das Meer da noch nicht verschmutzt wäre, sondern einfach, weil die Forschungsschiffe, die meistens auf eigenes Risiko von einzelnen Enthusiasten ausgerüstet werden, schwerer hinkommen. Wir können die todbringende Gefahr nur ahnen, die sich in den eisigen Tiefen des Nördlichen Eismeers verbirgt. Beleg dafür ist die Zunahme von Geschwulsterkrankungen und Leukämie, das durch medizinische Forschungen unter den kleinen arktischen Völkern von der Halbinsel Kola bis zur Tschuktschenhalbinsel festgestellt worden ist.
Kürzlich hat die Weltöffentlichkeit ihre Stimme gegen eine Serie von Kerntests erhoben, die Frankreich auf dem Muroroa-Atoll begonnen hat. Aber weder die Stimme der Völker im Stillen Ozean noch die Proteste von Staatsoberhäuptern zeigten auch nur die geringste Wirkung auf die Regierung Frankreichs und ihren Präsidenten Jacques Chirac.
Mit Blick auf ihre französischen Kollegen, vor allem aber inspiriert von der völligen Straffreiheit bei den Kernkraftspielen, reden die russischen Militärs von ihren Plänen, die Kernversuche auf der Insel Nowaja Semlja wieder aufzunehmen.
Falls das geschehen sollte, geht der stille Genozid an den arktischen Völkern weiter und wird sie letzten Endes vollends vom Antlitz der Erde tilgen. Uns hört niemand, denn wir werden immer weniger, unter uns sind nur noch wenige gesunde Menschen, und unsere Stimme wird immer schwächer …
Wir haben es vermocht, das härteste Klima zu überleben, dem hohen Namen Mensch unter extremsten Existenzbedingungen gerecht zu werden, die uralten natürlichen Feinde des Menschen - Eis, Schnee und Frost - zu unseren Bundesgenossen zu machen, Tod aber und Vernichtung drohen uns von Kräften, die der Mensch selbst geschaffen hat und die angeblich im Namen der Rettung des Menschen weiterentwickelt und erforscht werden.
Wo ist dein Verstand, Mensch, wo deine Logik?
Sankt Petersburg, Dezember 1995. Deutsch von Leonhard Kossuth