Steven Amsterdam ist Palliativpfleger. Immer mal wieder wird er von todkranken Patienten gefragt, ob es nicht einen schmerzfreien, einfachen Ausweg aus ihrem Leiden gebe.
»Was typischerweise in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist der Fall eines jungen Mannes mit Gehirntumor. Er weiß, was auf ihn zukommt, und er weiß, dass es nicht lustig wird. Meistens sind es solche Menschen, die vor Gericht um ihre Rechte kämpfen. Ich aber begegne viel häufiger alten Menschen, die das Gefühl haben, lange genug gelebt zu haben und ihren eigenen Verfall nicht weiter mit anschauen möchten. Das ist verständlich.«
Amsterdam selbst hat nie Sterbehilfe geleistet. Er hat allerdings häufig darüber nachgedacht, wessen Job es sein könnte, die tödliche Mixtur zu überreichen, sollte Sterbehilfe legalisiert werden.
»Ich habe schon häufiger Menschen sagen hören ›Es reicht jetzt, lass uns mal zur Sache kommen‹. Oft ist es nicht der körperliche Schmerz, der die Menschen so sehr belastet. Den haben wir mit medizinischen Mitteln fast immer im Griff. Stattdessen ist es sehr häufig das Wissen um die nahe Zukunft. Die Patienten sind sich bewusst, wie es weitergehen wird, und das führt nicht selten zu Angst und sogar zu Panik. Unsere Aufgabe ist es, mit ihnen darüber zu sprechen und herauszufinden, was genau das Sterben so schwer macht.«
Aus dieser Nähe zum Tod und den damit verbundenen Fragen um die Ethik der Sterbehilfe ist Amsterdams dritter Roman entstanden, Einfach gehen. Darin hilft ein Pfleger seinen Patienten, die letzte Grenze zu überschreiten, und er geht sogar noch einen Schritt weiter. Der Titel, im englischen Original The Easy Way Out, trieft vor Ironie. Denn im Roman wird deutlich, dass es nicht die eine, einfache Antwort gibt, und dass jeder anders mit dem Tod umgeht: Manche begegnen ihm tapfer und mutig, andere wollen sich ihm entziehen und gehen wütend und voller Groll aus diesem Leben, während wieder andere sich dem physischen Verfall ergeben und ihre Sorgen ausschließlich darauf lenken.
»Ich unterstütze die Idee der Sterbehilfe hundertprozentig. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich diesen Roman geschrieben habe. Sterbehilfe sollte legal werden. Ich selbst würde den Job nicht übernehmen wollen, habe mich aber gefragt, wer das wohl tun würde. Ich wollte wissen, wie der Alltag eines Sterbehelfers aussehen würde, mit welchen Herausforderungen er konfrontiert würde.«
Also gibt Amsterdam den Job an Evan, einen jungen Pfleger, der gerade für das Sterbehilfe-Pilotprogramm eingestellt wurde. In Einfach gehen ist das Programm, die Maßnahme 961, gerade angelaufen. Patienten mit Depressionen, schwierigen Familienverhältnissen, einer psychischen Vorbelastung oder finanziellen Problemen werden gar nicht erst zugelassen. Evans Vorstellungen von Ethik werden bei jedem Tod, den er begleitet, erneut auf die Probe gestellt. Es fällt ihm immer schwerer, ein neutraler Beobachter zu bleiben, ein unbeteiligter Zuschauer. Derweil wird der Gesundheitszustand seiner lebensfrohen Mutter, die unter Parkinson leidet, immer schlechter.
»Ich selbst habe nie einen assistierten Tod miterlebt. Meine Erfahrungen mit dem Tod als Pfleger aber haben mein Bewusstsein auf den unglaublichen menschlichen Lebenswillen gelenkt. Das ist etwas Außergewöhnliches. Das ändert aber nichts an meiner Einstellung zur Sterbehilfe. Letztendlich ist es eine sehr persönliche Frage. Wer keinen assistierten Tod will, der kriegt auch keinen. Ein wichtiger Aspekt aber besteht darin, wie der Patient geschützt wird und wer am Ende die Entscheidung fällt. Tatsächlich glaube ich, dass es den meisten Menschen vor allem darum geht, eine Wahl zu haben. Der Wunsch nach Selbstbestimmung ist größer als der Wunsch, die Sterbehilfe tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Während meiner Arbeit als Pfleger frage ich mich oft ›Was ist eigentlich los mit uns? Wie sind wir hier gelandet?‹ Man entwickelt eine Beziehung zu seinen Patienten. Du lernst sie kennen, und sie lernen dich kennen. Ein Teil der Hilfe, die du leistest, bist einfach du selbst.«
Erschienen im Sydney Morning Herald am 09.09.2016. Das Gespräch führte Linda Morris.