Titel Kulturmagazin: In Ihrem Roman Ein Lied für Dulce verarbeiten Sie die Geschichte der Band Super Mama Djombo, einer Band aus Guinea-Bissau, die in den 70er Jahren weltweite Erfolge feierte. Warum schildern Sie gerade diese Geschichte?
Sylvain Prudhomme: Ich habe zwei Jahre lang im Süden Senegals gearbeitet, in der Region Casmance, die zwei Autostunden von Bissau entfernt ist. Ich bin dort oft hingefahren. Als Leiter der franko-senegalesischen Allianz Ziguinchor habe ich dort vor allem Konzerte von Musikern aus dem Senegal und Guinea-Buissau organisiert. Ich war ein großer Fan der Musik von Super Mama Djombo.
Und ich war von den älteren Mitgliedern der Band sehr beeindruckt. Ich habe sie etwas näher kennengelernt und fand, dass ihr Werdegang ähnlich wie der ihres Landes war: Nach der Unabhängigkeit von Portugal, in den Jahren 1970-1980, waren sie sehr erfolgreich. Es war die Zeit, als Guinea-Bissau, das eine geringe Einwohnerdichte hat, den Riesen Portugal besiegt hatte. Ganz Afrika fing nun an zu träumen, es war stolz auf dieses Land und seine wunderbare Musik.
Dieser Erfolg steht im krassen Gegensatz zu der viel komplexeren Gegenwart, die in eine politische und wirtschaftliche Krise eingebettet ist. Ich war von diesen Männern, die einst sehr berühmt waren, aber heute fast in Vergessenheit geraten sind gerührt. Sie haben ihre Eleganz und ihr Talent von früher bewahrt. Heute ist die Zeit der politischen Hoffnungen, das heißt der Jahre zwischen1960-1970, wie weggefegt. Sie wurde durch eine glanzlose und trostlose Gegenwart ersetzt, in der die »realistischen« politischen und wirtschaftlichen Krisen im Vordergrund stehen. Die revolutionären Ideale, die Super Mama Djombo in ihren Liedern besungen hat, erscheinen einem nun wie ein ferner Traum.
Sie erwähnen den in den 70er Jahren bekannt gewordenen Musiker José Carlos Schwarz, der die berühmte Cobiana Djazz Band gegründet hat.
Er ist der Vater der modernen Musik von Guinea-Buissau. Er hat als Erster moderne Instrumente und traditionelle Rhythmen in die Musik seines Landes eingeführt. Außerdem hat er dafür gesorgt, dass nicht mehr auf portugiesisch, sondern auf kreolisch gesungen wurde. Dies war schon ein revolutionärer Akt; die Lieder richteten sich nicht mehr an die Kolonialherren, sondern an die Bevölkerung. Seine Lieder handelten von Unterdrückung und Folter, weshalb er sehr schnell zu zu einer Symbolfigur wurde.
Super Mama Djombo spielte zunächst Songs von Jimi Hendrix und James Brown. Später sangen sie auf Kreol, eine Sprache, die, wie Sie schreiben, für eine Lebensart steht. Inwiefern?
Das Kreol ist der Zement des Landes. Es gibt viele unterschiedliche Volksgruppen in Guinea; es gibt die Mancajo, die Balanta, die Pepel, die Peul, die Mandinka, die Susu und die Bijagos. Ihre gemeinsame Sprache ist jedoch das Kreol, das eine ganz besondere Sprache ist, da es Leihwörter aus dem Portugiesischen mit Leihwörtern aus anderen Landesidiomen vermischt. Es hat eine wunderbare Eigenschaft, es kann neue Wörter, also Neologismen bilden. Es ist wie ein Mosaik, das sich immer wieder neu erfindet. Sein Klang ist sehr schön; er schmückt die Musik des Landes aus und ist ganz anders als der der Musik aus Senegal. Diese Sanftheit und Weichheit findet man zum Beispiel auch bei der Musik von Cesaria Evora.
Ihr Roman beginnt mit dem Tod von Dulce, der landesweit bekannten Sängerin von Super Mama Djombo. Was ist sie für ein Mensch?
Das Vorbild für die Figur der Dulce in meinem Roman ist die Sängerin Dulce Neves, die es tatsächlich gibt. Aber sie ist nicht ihr Double. Die wirkliche Dulce lebt noch und tritt gelegentlich in Europa auf. Sie ist eine großartige Sängerin, ich habe sie vor Kurzem in Bissau wiedergesehen. Sie war noch gut in Form und es wurde gerade aus Anlass ihres 30-jährigen Bühnenjubiläums ein großes Fest für sie organisiert. Die Dulce in meinem Roman ist eine fiktive Gestalt, auf die ich die Liebe zu dem Gitarristen Couto projiziere, es ist so eine Art Träumerei von mir. In ihrer Person verdichten sich so grundsätzliche Fragen wie die der Freiheit, des Erfolgs, der Treue zu sich selbst, des Verzichts und der Jugendträume. Ich habe versucht, sie als jemanden darzustellen, der sich weiterentwickelt, der bereut und der sich im vorgerückten Alter schließlich erneut der Musik zuwendet. Sie trifft Couto wieder und versucht, an ihr früheres Leben, von dem sie sich abgewandt hatte, anzuknüpfen.
Dulce verlässt die Band und ihren Freund Couto, um Osvaldo Chico Gomes, den späteren Generalstabschef der Armee zu heiraten.
Ich wollte zeigen, wie es ist, wenn man frei und dennoch abhängig ist. So ergeht es vielen Künstlern in Guinea-Bissau. Sie führen ein schwieriges Leben und die meisten von ihnen bekommen keine Gagen. Dulce steht an einem Scheideweg: Auf der einen Seite ist da ihre Karriere als Sängerin und vielleicht die Liebe zu Couto; auf der anderen Seite ist da die Aussicht auf ein komfortables und abgesichertes Leben, für das sie sich dann entscheidet, indem sie Osvaldo Chico Gomes heiratet.
Diese Episode beruht auf einer wahren Begebenheit. Es handelt sich um die Hochzeit einer jungen Schauspielerin aus Casamance mit einem älteren Generalstabschef. Als er sie bei einer Aufführung zum ersten Mal auf der Bühne sah, hat er sich in sie verliebt und anschließend um ihre Hand gebeten, woraufhin sie eingewilligt hat. Diese Diskrepanz zu unserer westlichen Auffassung von Liebe, die das Gefühl und die persönliche Entfaltung an die erste Stelle setzt, fand ich interessant.
Fast überall, in allen Ländern und zu allen Zeiten war die Ehe ein materielles Arrangement und eine Interessensgemeinschaft zwischen den Ehepartnern und ihren Familien. Nur in unserer heutigen Gesellschaft träumen wir davon, dass alles zusammenpasst: das Gefühl, die materiellen Bedingungen, das Glück, das Begehren und die Lebensfreude. Wenn man darüber nachdenkt, ist das schon ein verrückter Traum. In anderen Gesellschaften ist man viel vernünftiger, man hat nicht so hohe Ansprüche.
Sehr beeindruckend ist die Szene auf Dulces Hochzeit. Die Band, die in ihren Liedern gegen die Mächtigen ansingt, spielt auf einer Hochzeit, wo nur Mächtige versammelt sind.
Das ist eine Ironie der Geschichte, die man bei vielen autoritären Regimes antrifft. Alle wissen, dass das Militär mit den Drogenhändlern kollaboriert und alle kennen die Namen dieser »Schmarotzer« und korrupten politischen Elite. Das hindert diese Elite jedoch nicht daran, das Land weiterhin auszuplündern. Auch wenn die Musiker sie in ihren Liedern angreifen und ihr Verhalten verurteilen, was macht das schon? Sie haben die Macht, die Waffen, die Truppen und sie halten sich für unschlagbar. Warum sollten sie das Land gegen sich aufbringen und diese allseits beliebten Sänger angreifen?
Also applaudieren sie wie all die anderen auch. Sie feiern sie so, als ob es sich bei ihren Liedern nicht um Angriffe gegen sie selbst handeln würde. Einige kritische Musiker aus Guinea-Bissau haben mir sogar erzählt, dass sie eingeladen wurden, um in den Kasernen zu spielen. Die Militärs haben mit ihnen getanzt und ihre Lieder auswendig gesungen. Das ist der ultimative Triumph des Regimes: es macht sich nichts aus den subversiven Liedern der protestierenden Künstler.
Ihr Roman hat einen politischen und historischen Hintergrund. Zum historischen Hintergrund gehört die Kolonialgeschichte Portugals.
Der Sieg der Bevölkerung von Guinea-Buissau über die Portugiesen, der 1974 anerkannt wurde, war der erste Sieg in der portugiesischsprachigen Welt. Er fand vor der Unabhängigkeit Angolas und Mozambiques statt, zwei Ländern, deren Bevölkerung ungleich größer war. Dank einer Guerilla, die zehn Jahre lang von Amilcar Cabral angeführt wurde, konnte sich das kleine Guinea-Bissau von der Herrschaft einer europäischen Armee befreien.
Das ganze Land und der Kontinent waren unglaublich stolz auf diesen Sieg. Ich wollte hiervon erzählen, um denjenigen, die manchmal so aberwitzige Sachen behaupten, indem sie sagen, dass Afrika keine Geschichte habe oder dass es endlich Zeit werde, dass Afrika mit seiner Geschichte beginnt, etwas entgegenzusetzen. Ich denke hier in erster Linie an einige rechte Politiker in Frankreich. Kaum einer weiß, dass die Nelkenrevolution in Portugal, diese so wundervoll friedliche Revolution, die im Jahr 1975 einer Diktatur ein Ende setzte, von Militärs, die aus Guinea-Bissau zurückgekehrt waren, in Gang gesetzt wurde.
Sie waren müde von dem Krieg, den sie gegen ein Volk geführt hatten, das sie bewunderten, weil es sich mutig und beherzt für die Freiheit eingesetzt hatte. Es waren diese portugiesischen Soldaten, die ihre Kasernen verlassen und zu den Generälen gesagt haben: es reicht! Wäre dies ohne die Guerilla von Amilcar Cabral passiert? Wahrscheinlich nicht.
Der politische Hintergrund bezieht sich auf die reale Situation in Guinea-Buissau im Jahr 2012. Kurz vor der Präsidentenwahl fand ein Putsch statt.
Der Putsch, von dem ich in meinem Buch erzähle, hat am Vorabend der Präsidentenwahl im Jahr 2012 stattgefunden. Er wurde sogar angekündigt. Alle wussten, dass das Militär es nicht zulassen würde, dass ein vom Volk gewählter Kandidat Präsident wird. Zwei, drei Tage vor der Wahl hat die Armee interveniert und sie gestoppt. Ich habe mich an dieser Realität und an anderen Staatsstreichen, die ebenfalls in diesem Land stattgefunden haben, orientiert; ich wollte auf die schwierige Lage, in der sich Guinea-Bissau 2012 befand, hinweisen.
Es ist eigentlich immer das gleiche Schema: Das politische Leben wird von alten Revolutionären dominiert, die beharrlich und parasitär ihre Stellung behaupten und der jungen Generation keine Chance geben. Danach hat sich die Situation allerdings etwas geändert. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft fanden freie Wahlen statt und José Mario Vaz wurde zum neuen Präsidenten gewählt. Mit meinem Roman möchte ich zeigen, wie vital die Menschen in Guinea-Bissau sind, wie sehr sie sich mit dieser Situation arrangiert haben, wie sie weiterhin ihre Feste gefeiert und ihr Leben gemeistert haben. Das Leben ging für sie weiter; das ist die beste Art und Weise, sich der Macht zu widersetzen.
In Ihrem Roman Ein Lied für Dulce geht es auch um die Musik der Band. Welche Rolle spielt die Musik?
Sie ist das Herzstück meines Romans. In meinem Buch spreche ich ständig von der Musik und ich habe versucht, die Musik von Mama Djombo authentisch darzustellen, mit all ihren Klangfarben und Nuancen. Es ist der heitere und gleichzeitig melancholische Klang der »saudade«. Er ist ähnlich wie der des Fado; er hat die Musik der portugiesischsprachigen Welt beeinflusst und diese zu etwas Besonderem und Einzigartigem gemacht. Ich habe dabei an die Lieder von Super Mama Djombo, aber auch von Cesaria Evora und dem angolanischen Sänger Bonga gedacht.
Dieses Interview wurde geführt von Bettina Gutierrèz und erschien am 20.03.2017 im Titel Kulturmagazin.