Es ist nicht einfach, einen Menschen zu beschreiben, den man schon einige Jahre kennt, dessen Fähigkeiten, Stärken und heimliche Marotten einem vertraut sind. Erst recht schwierig, wenn man jemanden gut mag. Man ist nicht neutral, nicht objektiv. Aber muss man das sein? Ich habe mich entschieden: Nein. Im Folgenden ein subjektives Portrait über Petra Ivanov.
Sie ist bekannt für ihre exzessiven Recherchen. Sie liest juristische Fachbücher, die mich schon durch die reine Seitenzahl abschrecken würden und sucht Gerichtsverhandlungen so selbstverständlich auf, wie ich ins Kino gehe. Wenn es für das Entwickeln einer Geschichte nötig ist, reist sie nach Kosovo, Thailand oder Argentinien. Sie lernt reiten, um eine literarische Figur authentisch beschreiben zu können. Oder schießen. Oder albanisch. Als ich sie darauf anspreche, winkt sie ab: »Nein, nein, ich spreche nicht gut albanisch.« Doch ich weiß: das stimmt nicht. Denn alles, was sie tut, tut sie ganz.
Wir sitzen auf ihrem Sofa, es ist ein brütend heißer Sommertag, Petra Ivanov trinkt Wasser und beantwortet meine Fragen mit ungetrübter Aufmerksamkeit, obwohl uns beiden der Schweiß von der Haut rinnt.
Man könnte sie falsch einschätzen. Was immer wieder geschieht, wie sie bestätigt. Die ausgiebigen Recherchen, auf die sie oft angesprochen wird, seien ihr zwar wichtig und die Informationen sollten stets stimmen, doch die Hauptsache seien nicht die Facts, sondern die Figuren. Sie hofft und bangt mit ihnen und erlebt, was sie erleben. Mit Begeisterung erzählt sie von Bruno Cavalli, Regina Flint und den Protagonisten der Meyer/Palushi-Reihe, die sie seit Jahren begleiten. »Jasmin Meyer und Pal Palushi«, berichtet sie, »hatten keinen einfachen Start. Jasmin ist traumatisiert, sie war ja Gefangene eines Psychopathen«.
Ich spüre, wie die von ihr erschaffenen Personen ihr ans Herz gewachsen sind, als wären es Freunde aus Fleisch aus Blut. Sie wehrt sich gegen das Wort »erschaffen« und sagt, sie habe nichts kreiert, sondern sei nur offen dafür gewesen, dass die Figuren zu ihr kämen.
Und sie kamen.
Seit 2005 hat Petra Ivanov fünfzehn Bücher veröffentlicht, darunter die Flint/Cavalli-Reihe, die Meyer/Palushi-Serie, mehrere Jugendbücher und verschiedene Short Stories, von denen eine ins Englische übersetzt und im renommierten Ellery Queen’s Mystery Magazine abgedruckt wurde. Mehrere ihrer Werke wurden mit Preisen ausgezeichnet.
Man kann es nur auf einen Punkt bringen: Schreiben ist ihr Leben. Das ist kein Klischee und kein verkaufsfördernder Slogan, sondern der Versuch, etwas auszudrücken: Eine unglaubliche Schaffenskraft, bei der sich Realität, Fiktion, bewusste Gestaltung und Hingabe vermischen und befruchten. Oft übernimmt die literarische Eigendynamik die Führung und Petra Ivanov folgt ihr mit den Fingern auf der Tastatur hinterher. Dieses Fließen kenne ich gut. Wir unterhalten uns über diese Magie, von der wir beide nicht genau wissen, woher sie kommt. Es ist unermüdliche Arbeit. Und gleichzeitig ein Geschenk.
Petra Ivanov schreibt jeden Tag. Wenn sie nicht schreibt, ist sie unglücklich. Sie schreibt im frühesten Morgengrauen, wenn ich mich langsam ins Bett begebe. Sie schreibt auf Zugreisen, wenn sie unterwegs zu Lesungen ist, und blendet dabei die Gespräche der Mitreisenden aus. Sie schreibt zuhause, in der Mittagspause, im Tram und in den Ferien. Wobei auch der Begriff »Ferien« nicht wirklich passt. Denn wenn sie im Ausland ist, interessiert es sie in erster Linie, welche Geschichten sich dort verstecken, welche Themen locken, welche Figuren bei ihr anklopfen, die Teil eines neuen Kriminalromans werden möchten. Sie schreibt meistens auf deutsch und manchmal auf englisch, denn aufgewachsen ist sie mit der englischen Sprache in New York. Mit zwölf Jahren kam sie in die Schweiz.
Unsere Diskussion verläuft angeregt weiter. Die Sonne brennt erbarmungslos in Petra Ivanovs kleine, behaglich eingerichtete Wohnung mitten in Zürich. Der Balkon – viel zu heiß, um draußen zu sitzen – ist ein grüner Dschungel, in dem Bohnen, Gurken und Tomaten wachsen, am Geländer hängen Töpfe mit Rosmarin, Basilikum und Estragon. Wir leeren Wasserglas um Wasserglas, finden uns bei bestimmten Themen haargenau wieder, und starren uns bei anderen fassungslos an: »Was, du machst das so? Das könnte ich nie!« Sprudelnd ist es, lebendig und farbenfroh, sich über unsere Krimis auszutauschen.
Als ich meine Kollegin frage, ob sie während ihrer Arbeit Überraschungen erlebe, bejaht sie. »Ich stelle mir die Figuren zwar vor«, sagt sie, »aber ich lerne sie erst während des Schreibens richtig kennen. Ich kann eine Person nicht auf dem Reissbrett entwerfen. Darum handelt sie manchmal auf eine Art, die ich nicht erwarte.«
Heißt das, dass sie ihren Figuren viel Freiheit lässt oder müssen sie sich in gewissen Grenzen bewegen? Petra Ivanov macht eine großzügige Bewegung mit ihren Armen. »Sie dürfen alles tun, was sie wollen!« Dann erklärt sie, dass jedes ihrer Bücher einen bestimmten Grundton hat. Täuschung klinge beispielsweise schnell und hoch wie ein Windspiel. Das Thailändische im Roman verströme etwas Flatterndes und Farbiges, andere Bücher seien düsterer.
Es gibt Figuren, die sie von Anfang an liebt. Andere gehen ihr auf die Nerven, besonders wenn sie engstirnig und intolerant sind. Sie verdreht die Augen, als sie erzählt, mit welch unangenehmen Protagonisten sie sich immer wieder herumschlagen muss. Doch wenn sie die Perspektive eines unsympatischen Typen wiedergibt, versteht sie, was in ihm vorgeht. Irgendwann beginnt sie ihn zu mögen. Dann muss sie darauf achten, nicht zu viel seiner positiven Seiten zu zeigen, damit er seine Bosheit nicht verliert. »Es gibt Personen in meinen Büchern, die ich im echten Leben nicht kennen lernen möchte. Wie Klemens Kienast aus Heisse Eisen.« Doch auch er gehört dazu, als einer von vielen im zahlreichen Personal von Petra Ivanov.
Sie freut sich über die Tatsache, zwei verschiedene Serien am Laufen zu haben, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Hinter Regina Flint und Bruno Cavalli steht ein ganzer Polizei- und Justizapparat. Das gibt den Ermittlern viel Macht und erlaubt es der Autorin, ernste Themen seriös aufzeigen. Jasmin Meyer und Pal Palushi hingegen sind auf sich alleine gestellt. Dafür seien sie geografisch und thematisch frei, schwärmt Petra Ivanov. Der größte Unterschied der zwei Reihen sei aber, das bei den Meyer/Palushi-Romanen nicht ein Mord im Mittelpunkt stehe. »Wenig Blut, fast keine Leichen! Eine Leserin nannte es einmal ›eine vegetarische Serie‹«.
Wir wenden uns dem Thema zu, das alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller kennen: Dem Lesen der eigenen Bücher, nachdem sie veröffentlicht sind.
Tut Petra Ivanov das? »Nur bei Lesungen«, antwortet sie. Einiges würde sie anders machen, wenn sie es nochmals schreiben könnte. Das sei auch gut so, sie verändere sich ja im Laufe der Jahre, das dürfe auch sichtbar sein. »Doch manchmal könnte ich mir die Haare raufen!« In einem Roman, so berichtet sie, habe sie das Pferd einer Nebenfigur Lisa genannt. In einem anderen Krimi spielte eine Frau namens Lisa eine Rolle. Und im übernächsten kamen beide vor. »Da dachte ich: super, Petra, eine Frau ist nach einem Pferd benannt!« Und wenn sie gewusst hätte, dass aus der Nebenfigur Jasmin, die in den Flint/Cavalli-Büchern vorkommt, eine eigene Serienheldin wird, hätte sie sie nicht Meyer genannt. Was Petra Ivanov auch tun würde, wenn sie nochmals von Neuem beginnen könnte: »Regina Flint mehr Geheimnisse mitgeben.« Als sie den ersten Kriminalroman Fremde Hände mit Hauptfigur Flint schrieb, wusste sie noch nicht, ob sie je einen Verlag finden würde, noch weniger, dass sie weiterschreiben würde. »Vieles habe ich erst im Nachhinein gelernt.« In Petra Ivanovs Stimme liegt eine Spur Bedauern.
Als sie über Bruno Cavalli berichtet, hellen sich ihre Gesichtszüge auf. Der Ermittler, der zur Hälfte indianischer Abstammung ist und der unter der weiblichen Leserschaft einen grossen Fanclub hat, hat es auch der Autorin angetan. »Cavalli hat mehr Ecken und Kanten. Als Freund möchte ich ihn nicht, aber als Hauptfigur ist er super.« Er geht auch häufig fremd. Das müsse sie nicht im Detail beschreiben, es reiche, wenn die Leserinnen und Leser wissen, dass er es tut. Dennoch sei Sex in Krimis wichtig, sagt sie. Je nach Situation können Sexszenen eine Geschichte auflockern oder verschärfen. Vor allem aber die Liebe darf in ihren Bücher nicht zu kurz kommen. »Liebe in einem Krimi ist eine Insel, um sich zu erholen.« Ebenso wie der Humor. Es brauche situationsbedingt Stellen, die die Spannung abschwächen oder verstärken.
Endlich zieht ein laues Lüftchen von draußen herein und weht den Duft ihres Kräuterbalkons in die Wohnung. Petra Ivanov schenkt Wasser nach, unser Gespräch dreht sich um die Inspiration. Hat sie Angst, dass ihr die Ideen eines Tages ausgehen könnten? Ganz erstaunt schaut sie mich an. »Ich wüsste nicht, warum.« Während des Schreibens fühlt sie sich wie beim Meditieren. Dann zögert sie, überdenkt, was sie gerade gesagt hat und korrigiert sich. »Nein, wie beim Yoga.« Meditation oder Yoga, eines ist klar: Wenn sie sich gestresst fühlt, muss sie schreiben. Weil sie dies nicht als Arbeit erlebt, sondern als Erholung, enstehen in kurzer Zeit viele Romane. Diese bringt sie mit allem, was dazu gehört, unter die Leserinnen und Leser, mit Veranstaltungen und zum Beispiel auch mit einer sehr lebhaften Facebook-Seite. Was jedoch wieder Stress in ihr auslöst. Von welchem sie sich erneut durch Schreiben regeneriert. Was wiederum weitere Bücher enstehen lässt. Ein wahrer Teufelskreis! Wir lachen beide. »So könnte man es nennen!«
Zum Schluss will ich wissen, wo die Wurzeln ihrer Kreativität liegen. Wann hat alles angefangen? In der Primarschule, so Petra Ivanov, als sie noch in New York lebte, habe sie begonnen, sich Geschichten auszudenken. Sie hat kleine Figürchen mit Filzstift auf Karton gemalt, sie ausgeschnitten und in einer Schachtel aufbewahrt. »Das war der Ursprung meines Schreibens.« Als Kind hat sie ihre Kartonleute immer wieder auf dem Boden ausgebreitet und fantasiert, was diese alles erleben könnten. »Es sind über hundert Figuren. Ich habe sie alle noch.« Ihre Augen bekommen wieder dieses leidenschaftliche Flackern, als sie sich ausmalt, was alles möglich ist. »Irgendwann entsteht aus den Kartonfiguren meiner Kindheit vielleicht ein Buch.«
Ich zweifle keine Sekunde daran. Und ich weiß, dass dieses Werk ein Erfolg wird wie alle anderen zuvor.
Mitra Devi ist Schriftstellerin, freie Künstlerin, Filmemacherin und Journalistin. 2001 erschienen ihre ersten Kurzgeschichten. Inzwischen ist sie Autorin von über einem Dutzend Büchern, darunter schwarzhumorige Short Stories und die Krimireihe rund um die Ermittlerin Nora Tabani. 2012 hat sie den Zürcher Krimipreis erhalten.