"Keine Geschmacksdogmatik"
Gespräch mit Thomas Wörtche - von Ulrich Noller, no-text.de
Spannungsliteratur aus aller Welt: Thomas Wörtche ist der Herausgeber der Reihe UT METRO. Im Interview ärgert er sich über enge Konzepte und starre Definitionen. Er spricht von vielversprechenden Talenten, großen Meistern, den Klassikern von Morgen. Und er vergißt auch nicht den britischen Kunstflieger Brian Lecomber.
Herr Wörtche, können Sie freundlicherweise das Konzept Ihrer Reihe kurz vorstellen?
Das Konzept hat direkt mit dem Unionsverlag zu tun: Der Unionsverlag ist a) ein ausgewiesen literarischer und b) ein 'weltliterarisch' profilierter Verlag. Deswegen war es logisch, eine Spannungsabteilung dazu bauen, weil Literatur nicht einfach in U und E aufgeht. Das gilt auch und gerade für Gegenden, aus denen der UV traditionellerweise die 'andere Hälfte der Weltliteratur' präsentiert. Folgerichtig wird es bei UT METRO programmatisch Bücher aus Afrika, Asien und Lateinamerika geben. Natürlich auch aus Nordamerika, Australien und sogar Europa. Wenn sie spannende Stoffe spannend erzählen können. Genauso gehört zum Konzept, dass man Spannungsliteratur nicht fein säuberlich in Genre bzw. Nicht-Genre respektive Subgenres auseinanderdividieren kann. Es gibt Romane, die sind 'thematisch' Thriller, aber nicht formal. Und es gibt welche, die formal Thriller sind, aber thematisch-inhaltlich was ganz anderes. All solche wunderbaren Hybride zu bündeln und als Programm zu präsentieren, das ist das UT METRO-Konzept. Es ist so offen, dass es nichts ausschliessen muss.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Mosleys SOCRATES-Bücher sind keine 'Krimis', aber ungeheuer spannend und mit den globalen Themen Gewalt und Urbanität befasst. Deswegen gehören sie deutlich in METRO. Izzos Marseille-Romane sind formal lupenreine 'Krimis', aber weit mehr - ganz Kultur- und Geruchs- und Geschmacksspeicher und politische Kommentare obendrein, obwohl sie gar nichts anderes sein wollen. TEMUTMA ist ein lupenreiner Polizeiroman, allerdings mit Beisserchen und einfach eine schnelle, sehr ironische und komische Story. Also ein klassischer METRO-Fall: Weite und Breite statt Engführung meist sowieso problematischer Definitionen.
Warum die Reihenbezeichnung METRO?
METROs bewegen sich blitzschnell durch Metropolen, im Untergrund, kommen manchmal an die Oberfläche, bergen in ihren Tunneln Geheimnisse, sind ein Verkehrsmittel für buchstäblich jedermann, bieten viele Umsteige- und Knotenpunkte, sind dauernd in Bewegung und extrem belebte Orte. Manche Metro-Linie führt sogar auf das Land.
Warum arbeiten Sie nicht mit einem engen Konzept, etwa des hartgesottenen Kriminalromans, sondern mit dem weiteren der Spannungsliteratur?
Weil ich es furchtbar finde, wenn starre Definitionen ein gutes Buch ausschliessen, nur weil es nicht in die Parameter passt. Spannungsliteratur hat die Eigenschaft, sich immer wieder selbst neu zu definieren, immer der Sekundärbearbeitung weit voraus. Daran will ich sie natürlich nicht durch ein Korsett hindern. Ausserdem ist, um meinen Compañero Lucien Leitess zu zitieren, das Kindchen 'Genre' inzwischen so erwachsen geworden, dass man es nicht mehr im Laufställchen halten kann. Und noch was: Strickmuster können, weil sie sehr variable sind, vielfältig umgesetzt werden. Aber warum nur eine Möglichkeit solcher Varianten präsentieren? Wie man es auch dreht und wendet - Engführungen machen Räume eng und ich bin klaustrophob.
Für intelligente, originelle oder gar avantgardistische Spannungsromane gab es zuletzt keine allzu guten Marktchancen. Die Auflagen sanken, die Halbwertszeit in den Buchhandlungen nahm ab, es gibt nach wie vor kaum ausführliche Rezensionen. Warum glauben Sie trotzdem, mit einem solchen Konzept Erfolg haben zu können?
Depende. Und ich glaube nicht dran. Der Markt kann nur verteilen, was es gibt und für was man steht. Wenn die ersten drei UT METRO-Romane nach sechs Wochen in die zweite Auflage gehen (und die zweiten drei bald folgen), dann ist auch ein Bedürfnis nach dieser Art Literatur vorhanden - was wir ja im Grunde schon immer wissen, aber noch nicht programmatisch getestet haben.
Auch für Krimireihen sind die Zeiten nicht gerade rosig. Fast parallel zum Start von UT-METRO wurde die renommierte Reihe rororo-thriller sang- und klanglos eingestellt. Steht Ihr Projekt insofern nicht von vornherein unter einem schlechten Stern? Oder können Sie sogar vom Ende von rororo-thriller profitieren?
Antizyklisches Verhalten ist eine der schönen Möglichkeiten kleinerer Strukturen. Wir sind kein starrer Riesentanker. Wir müssen nicht mit Riesensummen um uns werfen, um hoffentlich noch grössere einzunehmen, weil unsere Kosten bizarr hoch sind. Wir bedauern natürlich auch sehr, dass Reihen wie die rororo-Thriller eingestellt werden oder die Neugründung DuMont Noir schon wieder am Ende zu sein scheint - glauben aber dennoch, mit unserem 'offenen' Konzept auf der richtigen Spur zu sein. Wenn Sie eine Reihe eng anlegen, dann kriegen Sie nur die jeweiligen Spezial-Fans. Für 'hardboiler' vorsichtig geschätzt, um die 10.000. Wenn Sie aber keine Geschmacksdogmatik betreiben, dann sieht das schon wieder anders aus. Ob wir jetzt von den Einstellungen direkt profitieren, kann man (noch) nicht sagen. Nur Angst machen sie uns überhaupt nicht, weil wir eben ein anderes Konzept haben.
In Interviews sprechen Sie von Autoren, die Sie zwar interessant finden, aber nicht in die Reihe integrieren, weil sie schwer verkäuflich seien. Was macht einen Autor schwer bzw. gut verkäuflich?
'Schwer verkäufliche Autoren' gibt es im Grunde nicht, ausser sie bedienen per definitionem skurrile Minderheitengeschmäcker, aber dann sind sie vermutlich literarisch auch nicht arg interessant. Schwer verkäuflich sind Autoren, deren Publikationgeschichte unglücklich verlaufen ist - aus welchen Gründen auch immer. Derek Raymond ist so ein Fall: zu viele Verlage, zuwenig Konsequenz, von Fall zu Fall zu unglückliche Placierung. Jean-Patrick Manchette gehört dazu, ähnliches Problem. Ich fürchte, man muss solche Autoren zwanzig Jahre ruhen lassen, bevor man sie wieder bringt. Dann sind sie Klassiker.
Laut dem Interview auf der Homepage 'k.38' planen Sie auch Neuauflagen von vergriffenen Büchern. Welche Autoren und Werke darf man denn in dieser Hinsicht - außer Chester Himes - noch erwarten?
Wir bringen jetzt im Herbst den ersten Roman des britischen Kunstfliegers Brian Lecomber, ein Welterfolg in den 70ern, hierzulande durch die Maschen gerutscht. Dann werden wir uns nach einiger Zeit an ein paar Autoren wagen, die in anderen Ländern dieser Welt schon Klassiker sind. Im Moment allerdings, das heißt mindestes bis 2002 oder 2003, werden wir natürlich den Harlem-Zyklus von Himes zu Ende bringen und erstmal einen Bestand neuerer und ganz neuer Autoren aufbauen.
Heißt das, daß Sie konkret schon bis 2003 planen und weniger konkret sogar darüber hinaus? Wie viele Titel sollen pro Jahr veröffentlicht werden?
Ja, genau das heisst es. Ob wir die 18 Titel des ersten Jahres durchhalten können, das muss man sehen. Diese Zahl liegt allerdings am oberen Limit dessen, was wir strukturell machen können. Material ist für 30 Bücher im Jahr locker da, aber dann leidet die Qualität der Produktion.
Apropos Manuskripte. Mich würde interessieren, wie Sie an diese Vielzahl an vielversprechenden Romanen und Erzählungen aus aller Welt gelangen. Dadurch, daß Sie die Originalausgaben lesen? Über Agenten? Mit Hilfe des www?
Ich arbeite mit gnadenlos allen Acquistionsmethoden. Ausserdem lese ich ja schon ein paar Jährchen, kenne den einen oder anderen Schriftsteller, rede mit Leuten aus aller Welt gerne und viel über Bücher, lese hin und wieder auch Zeitung in verschiedenen Sprachen. Dann gibt es noch die Agenturen, wo auch kluge Leute sitzen, es gibt in der Tat das Net, es gibt Kritiker-Kollegen überall zwischen Madrid und New York. Ja, und dann wird gelesen: O-Ausgaben, in den Sprachen, in denen ich lesen kann. Ich lasse lesen, in Sprachen, in denen ich mich nicht allzu sicher fühle. Alles ganz normal.
Als Herausgeber dieser Reihe überblicken Sie die globale Krimiprodution. Gibt es - von den USA abgesehen - Regionen, in denen bessere, interessantere oder zumindest mehr Spannungsromane geschrieben werden als anderswo?
Ich möchte da keine Hierarchien bauen. Wie wichtig die Angelsachsen für alle Arten von Genres waren und auch weiterhin sind, das muss ich nicht unterstreichen. Dito die Franzosen, respektive zwei Belgier. Lateinamerika hat viele verschiedene Traditionen, die man auch nicht nur mit den Schlagwörtern Borges und Taibo beschreiben kann. In der Türkei werden Krimis geschrieben, in Afrika, in Bangkog, in Hongkong. Quantifizieren kann man auch schlecht: in Russland werden massenhaft Krimis geschrieben, ob es so viele sind wie in den USA, weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass mich bis jetzt aus dieser Produktion wenig bis gar nichts vom Hocker reisst. Da kann dann ein Land mit relativ schmaler Produktion wie Brasilien 'interessanter' sein. Aber lassen Sie mich noch ein paar Jahre graben.
Der vielbeklagte literarische Substanzverlust im Genrebereich - gibt es ihn tatsächlich? Oder ist das Problem eher eines der deutschen Publikationspraxis?
Es ist keinesfalls nur die deutsche Publikationspraxis - auch deutsche Verlage können bei Lizenzen nur veröffentlichen, was es auf dem internationalen Markt gibt. Dass 'international' dann letzten Endes nur Angelsachsien plus Nation der Saison - zur Zeit Schweden - bedeutet, hat mit vielen Mechanismen zu tun. Zum Beispiel mit dem sehr gelungenen Coup, im Fahrwasser einer hierzulande verspätet geführten U-E-Diskussion, Texte, die früher als 'Heftle' durchgegangen wären, seit einiger Zeit als teure feuilletonfähige HardCover zu verkaufen. Trivialliteratur ist extrem legitim, ihre Verwechslung mit Literatur fatal. Das Genre (und seine Nachbarn) hat, glaube ich, überhaupt kein Substanzverlust - was davon breit wahrgenommen wird, schon. Früher hätte man Schmonzetten über Gerichtsmedizinerinnen und Nekrophile im einschlägigen Bereich goutiert, heute ergeht man sich in feinsinnigen Exegesen, während man interessante Bücher kaum bemerkt. Das hat ein wenig mit der Qualität der 'Kritik' zu tun. Aber die wird auch wieder besser, I am sure.
Sie selbst haben als Kolumnist und Kritiker einen fast herausragenden Ruf. Was hat Sie dazu bewogen, jetzt als Herausgeber zu arbeiten?
Zum ersten Teil: Ohne Koketterie - das sehe ich so nicht. Bewogen, die 'Seite' zu wechslen hat mich der Unionsverleger Lucien Leitess als Person und Kopf - und die Rahmenbedindungen, wirklich mit Perspektive ein Konzept realisieren zu können, das ich spannend finde.
Bei einigen Autoren kann man eine Linie ziehen von Ihren Kolumnen hin zu Ihrer Herausgebertätigkeit, bei Helen Zahavi etwa oder im Falle Chester Himes. Sie korrigieren Mängel, die Sie an vorhergehenden Veröffentlichungen kritisiert hatten. Aber: Fürchten Sie nicht, gelegentlich mit den Kriterien in Konflikt zu geraten, die sie zuvor in Ihren Kolumnen aufgestellt haben?
Klar, das Ganze ist sowieso eine Übung in kreativer Schizophrenie. Ich muss viele Bücher unter die Leute kriegen, und ich will viele Bücher unter Leute kriegen, ganz einfach, weil ich will, dass gute Bücher gelesen werden. Und wenn ich den Effekt erreiche, dass es heisst, eyyh, das ist ja mal was Interessantes, dann bin ich zufrieden. Kriterienkonflikte sind denkbar, aber ein Kritiker muss anders an die Dinge rangehen wie ein Herausgeber. Die reine Lehre ist nicht machbar. Von keiner Seite übrigens. Wie gesagt: Ein bisschen Schizphrenie darf schon sein!
16.02 / 14:53:59