Liebe Leserin
Lieber Leser
Unter den Menschen, mit denen wir täglich zusammenarbeiten, gibt es eine besonders leidenschaftliche und leidgeprüfte Spezies.
Nach festem Plan schaffen sie Tag für Tag ihr Soll an Seiten. Sie rennen in die Bibliothek, um einen türkischen Seemansfluch, einen arabische Hirsesorte, ein kirgisisches Steppengras nachzuschlagen. Sie recherchieren im Internet, ob im hohen Norden Kanadas die Häuser mit Bretterwegen oder Knüppelpfaden verbunden sind. Beim Abendessen mit ihnen kann es vorkommen, dass sie plötzlich wie von der Tarantel gestochen aufstehen, zum Pult gehen und ein Wort aufschreiben. Soeben ist beim Plaudern eine Vokabel gefallen, die sie schon seit Tagen suchen: Sie spiessen sie auf wie einen seltenen Schmetterling. Um das richtige Wort für das Klang eines zerschellenden Glases zu finden, werfen sie eines an die Wand. Im Urlaub reisen sie durch die Landschaften, die sie beschrieben haben, lassen im nächsten Roman die Erfahrungen einfiessen und kämpfen mit dem Steuerbeamten, die Reisespesen als Berufsauslagen abzubuchen. Und kaum ist ein Roman abgeschlossen, spüren sie schon das Kribbeln zum nächsten.
Übersetzer überleben über Sätzen.
Wenn gar der Autor ins Land kommt, werden sie zu Reiseführern, Buchhaltern, Honorareintreibern, Butlern, Krankenschwestern, und Dolmetschern sowieso. Rund um die Uhr im Einsatz, organisieren sie Termine, Interviews, Hotelzimmer, und all dies zu einem Stundensatz, der keinen Spengler ins Haus bringen würde, wenn der Hahn tropft. An der Buchmesse weichen sie Tag und Nacht nicht von der Seite ihres berühmten Schützlings, der ohne sie keine Stimme und keine Leser hätte.
Die Leserschaft, die Rezensenten aber sehen zu oft durch sie hindurch und über sie hinweg, Wer denkt daran, dass über dem bewunderten Text ein Meister sass, der die Linse geschliffen hat, durch welche der Leser ins Original sieht? Zu Recht sagen die Übersetzerinnen und Übersetzer: Ohne uns gibt es keine Weltliteratur. Sie sind Künstler, und der Unionsverlag zum Beispiel wäre ohne sie ein Nichts.
Darum haben wir uns folgendes ausgedacht:
Mit vielen Grüssen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess