Assia Djebar, geboren 1936 in Algerien, Schriftstellerin, Historikerin, Filmemacherin, ist die bedeutendste und international erfolgreichste Autorin des Maghreb; ihre Bücher sind in über fünfzehn Sprachen übersetzt. 2000 wurde sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Seit 2005 ist sie Mitglied der Académie française. Assia Djebar lebte in Paris und New York. Sie starb am 7.2.2015 in Paris.
Assia Djebar, mit eigentlichem Namen Fatima-Zohra Imalayène, wurde 1936 in Cherchell, einer kleinen Küstenstadt bei Algier, geboren. Sie besuchte die Koranschule und die französische Grundschule, an der ihr Vater Französisch unterrichtete. Als erste Algerierin wurde sie an der École Normale Supérieure in Paris zugelassen. 1956, in den ersten Jahren des algerischen Unabhängigkeitskampfes, nahm sie am Streik der algerischen Studenten teil. 1958 heiratete sie Ahmed Ould-Rouïs, ein Mitglied der Widerstandsbewegung. Diese Ehe wurde 1975 geschieden, 1980 heiratete sie den Dichter Malek Alloula.
Ihr Debüt als Schriftstellerin war der Roman Die Zweifelnden (1957; Neuausgabe in überarbeiteter Übersetzung unter dem Titel Durst, 2001), den sie innerhalb von zwei Monaten während der Studentenunruhen 1956 geschrieben hatte. Aus Angst, dass dieser Roman ihrem Vater missfallen könnte, nahm sie ein Pseudonym an, das sie seither beibehalten hat. Nadja, die Protagonistin des Romans, ist halb Französin, halb Algerierin, führt ein sorgloses Leben und versucht, den Ehemann einer Freundin zu verführen, um den eigenen Freund eifersüchtig zu machen. Dieses Buch, unter der unbeschwerten Oberfläche eine tiefgründige psychologische Studie, wurde mit Françoise Sagans Bonjour Tristesse verglichen, in Algerien hingegen wurde es verurteilt, weil es die aktuellen politischen Ereignisse nicht widerspiegelte.
Die Ungeduldigen (1958) spielt vor dem Unabhängigkeitskampf und handelt von der jungen Dalila, die sich in ihrer Familie, geprägt von der Dominanz der Männer und der Frustration der Frauen, gefangen fühlt. Les Enfants du nouveau monde (1962) erzählt von algerischen Frauen, die eigene Forderungen entwickeln, die Heldin nimmt an kollektiven Aktionen zum politischen Wechsel teil.
Während des Befreiungskriegs arbeitete Djebar für die Zeitung der antikolonialistischen FLN, El-Moujahid, indem sie Interviews mit algerischen Flüchtlingen in Marokko führte. Sie setzte diese Arbeit als Assistentin an der Universität von Rabat fort, wo sie sich in zahlreichen algerischen kulturellen Initiativen engagierte. Nachdem Algerien die Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde Djebar dafür kritisiert, dass sie auf Französisch schrieb. Die nationalistische Bewegung rief die Schriftsteller dazu auf, auf Arabisch zu schreiben.
Sie unterrichtete nordafrikanische Geschichte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät und arbeitete gleichzeitig für die algerische Presse und das Radio. Die Themen Liebe und Krieg, Vergangenheit und Gegenwart werden im nächsten Roman, Les Alouettes naïves (1967), weitergeführt, der sich um die Auflehnung einer jungen Frau gegen das Patriarchat dreht und um das Drama einer »lost generation«, angesiedelt inmitten von Flüchtlingsgemeinschaften. Zu Beginn der Siebzigerjahre begann Djebar, klassisches Arabisch zu studieren, um ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. In ihren späteren Romanen bereicherte sie denn auch die französische Sprache durch Klänge und Rhythmen des Arabischen.
Sie wandte sich dem Film zu, um auch ein nicht-literarisches Publikum zu erreichen. Ihr erster Film, La Nouba des femmes du mont Chenoua (1979), gewann den Preis der Internationalen Kritik auf der Biennale von Venedig. Ihr zweiter Film, La Zerda ou les chants de l’oubli (1982), eine Chronik des Lebens im Maghreb in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, erhielt 1982 den Preis für den besten historischen Film der Berlinale.
Djebars langes literarisches Schweigen in den Siebzigerjahren hing einerseits damit zusammen, dass sie feststellen musste, dass sie nie eine Schriftstellerin arabischer Sprache sein würde, andererseits lag es an ihrem Interesse für andere künstlerische Ausdrucksformen. Sie arbeitete an vielen Produktionen als Regieassistentin mit. 1973 führte sie Regie in ihrer eigenen Adaption von Tom Eyens Theaterstück über Marilyn Monroe, The White Whore and the Bit Player. Als Djebar dann an die Universität Algier zurückkehrte, begann sie, Film und Theater zu unterrichten. Nach dieser zehnjährigen Phase des Schweigens erschien Die Frauen von Algier (1980). Der Titel ist eine Anspielung auf ein Gemälde von Delacroix. Dieser Zyklus von Erzählungen experimentiert mit neuen Stilmitteln: mit Gesprächen zwischen Frauen, mit dem Klang der Sprache und einer Schnitttechnik, die aus der Filmdramaturgie stammt. Fantasia (1985) vereinigt Autobiografisches, historische Berichte der französischen Eroberung von 1830 und den algerischen Befreiungskrieg. Dieser Roman ist der erste Teil einer Tetralogie, die den Maghreb in seinen Facetten, in Geschichte und Gegenwart einfängt. Sie wurde mit Die Schattenkönigin (1987) fortgesetzt. Fern von Medina (1991) beschreibt Frauen im Leben des Propheten Mohammed. Der Roman Weit ist mein Gefängnis (1995) verknüpft – mit autobiografischen Anklängen – das Leben einer modernen, gebildeten Algerierin mit herausragenden Frauengestalten der maghrebinischen Geschichte und der großen Zivilisation Karthagos, die in der heutigen Berberkultur ihren späten Widerhall findet.
In Weißes Algerien (1996) nähert sie sich aus persönlichem Erleben der politischen Tragödie Algeriens der letzten Jahre. Wie um Abstand zu gewinnen spielt Nächte in Straßburg (1997) im Herzen Europas, das aber ebenso durch die Erinnerung an historische Zerklüftungen gezeichnet ist. Eine intensive, durch Leidenschaft und erotische Anziehung geprägte Liebesgeschichte steht im Zentrum dieses Romans. Im gleichen Jahr noch erschien Oran – Algerische Nacht (1997) und 1999 die Essaysammlung Ces voix qui m’assiègent. In Frau ohne Begräbnis (2002) nähert sich Assia Djebar einer Figur aus ihrer Kindheit an: der Widerstandskämpferin Zoulikha, die damals Wand an Wand mit Djebars Familie in Cherchell lebte. 2003 erschien der Roman Das verlorene Wort, in dem erstmals ein männlicher Protagonist im Zentrum steht.
Djebar unterrichtete über lange Jahre Geschichte an der Universität von Algier. 1997 wurde sie als Professorin an das Zentrum für französische und frankophone Studien der Louisiana State University berufen, seit 2001 ist sie Professorin an der New York University. Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Assia Djebar wurde mit unzähligen Preisen ausgezeichnet, darunter 1962 der Französische Kulturpreis für Les enfants du nouveau monde, 1979 der Internationale Kritikerpreis der Biennale von Venedig, 1989 der LiBeraturpreis des Ökumenischen Zentrums, Frankfurt, 1996 der Neustadt-Literaturpreis für das Gesamtwerk, 1999 die Medaille der Frankophonie der Académie Française (Médaille de Vermeil de la francophonie), 1999 Aufnahme in die Königliche Belgische Akademie für französische Sprache und Literatur, 2000 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2005 Aufnahme in die Académie française. Sie starb am 7.2.2015 in Paris.
»Sie ist die größte Gegenwartsautorin des Maghreb. Jedes neue Buch von Assia Djebar ist ein Ereignis.«
»Assia Djebars Literatur steht im Spannungsfeld zweier Kulturen, der arabischen und der französischen; ihr Schreiben ist für sie eine Möglichkeit, zur Universalität zu gelangen und so die inneren und äußeren Schranken und Mauern, die ein Leben in beiden Kulturen enthält, zu überwinden.«
»So sind alle ihre Bücher ein Versuch, zu erhellen, was war, zu sagen, was ist. Das tut Assia Djebar mit dem ihr eigenen Rhythmus, der ihr eigenen Melodie, mal mit kühler Prägnanz, mal mit poetischen Metaphern – das unmittelbar Bedrängende und den weiten Horizont der Geschichte gleichermaßen im Blick.«
»Assia Djebar tastet sich, in hypnotisierender, unruhig vibrierender Sprache, an die klaffenden Wunden heran, die ›die Kreuzzügler des kolonialen Jahrhunderts‹ ihrem Land einst geschlagen haben. Die Sprache tanzt. Bilder, die atmen. Stimmen und Gesänge, Schreie und Flüstern, Murmeln und Stammeln.«
»Assja Djebar – die Grande Dame der algerischen Literatur.«
»Die bedeutendste Schriftstellerin des Maghreb wuchs in zwei Kulturen auf; in der arabisch-islamischen und der französisch-kolonialen. Ihr ganzes Leben ist geprägt von den Konflikten zwischen diesen beiden Welten. Ihre Romane sind eher Collagen, essayistisch reihen sich die Texte aneinander und vermitteln dennoch ein dichtes, sozialgeschichtliches Bild.«
»Ihre Bücher sind vielschichtig und faszinierend, fern von jeder individualistischen Kleinkrämerei und selbstverliebten Bespiegelung moderner europäischer Autobiographien. Djebar, die selbstbewusst aus einer Position unangreifbarer Stärke die subtilen Wirkungen des Patriarchats aufdeckt, gebührt zweifellos das Verdienst, erstmals emanzipierte Frauen in die maghrebinische Literatur eingeführt zu haben.«
»Djebar ist besessen von der Paarung des Todes mit der Schrift – Schreiben ist nicht nur das Medium, mit Toten Zwiegespräche zu halten, Schreiben – gleich in welcher Tradition – ist auch eine Notwendigkeit, der Suche eines Algeriens, das kulturell immer mehr zerfällt, Ausdruck zu verleihen und zu verhindern, dass jedes notwendige Wort, noch bevor es zu sich finden kann, stumpf wird, bereits im flackernden Licht seiner Suche.«
»Feministisch und postkoloniale Literatur im besten, nicht dogmatischen Sinne, dies ist das Schreiben Assia Djebars. Als L’art pour l’art lässt es sich gewiss nicht verstehen, immer mischt es sich ein.«