Trotz seines hohen Alters hat Nagib Machfus seine geistige und körperliche Vitalität bewahrt. Jede Woche – am Donnerstag – schreibt er einen Kommentar für seine Zeitung, den Ahram. Unter den arabischen Schriftstellern ist er ein Phänomen: einer der wenigen, der bisher keine Autobiografie geschrieben hat. Das Werk steht für ihn über der Person. Uneitel und bescheiden, scheut er jegliche Öffentlichkeit und meidet den Umgang mit den Großen der Macht. Als echter lbn al balad (Sohn des Volkes) liebt er es, in den Cafés zu sitzen, die Menschen zu studieren und mit den einfachen Leuten zu reden. Diese Lebensnähe gibt seiner Sprache Authentizität.
Wird ihn der Preis – die größte internationale Ehrung – verändern? Wer ihn am Tag danach getroffen hat und ihn im Kreise seiner Freunde sah, ist sicher, dass Nagib Machfus der bleiben wird, der er ist. So kam er auch am Tag nach der Preisverkündigung – wie jede Woche – pünktlich um fünf Uhr nachmittags ins Casino Kasr el Nil, wo er sich jede Woche mit Freunden – Schriftstellern, Künstlern, Theaterleuten und Studenten – zum Literatenstammtisch trifft. Wie immer saß er mit ihnen bis in die Nacht zusammen, um über Politik und Sport, Wirtschaft und Literatur, Gott und die Welt zu diskutieren.
Im Kreise seiner jungen Freunde ist Nagib Machfus ganz er selbst, entfaltet er das ganze reiche Spektrum seiner Persönlichkeit, vor allem seinen Witz und seinen schwarzen Humor, für den er stadtbekannt ist. Mit seinem Künstler- und Literatenstammtisch bewahrt er als letzter seiner Schriftstellergeneration die Tradition des »literarischen Salons«. Eine Tradition, aus der vor einem halben Jahrhundert – nicht zuletzt dank ihm – die moderne arabische Literatur hervorgegangen ist.
Ein halbes Jahrhundert lang hat er die ägyptische Zeitgeschichte kritisch begleitet. Bis heute erhebt er seine Stimme als unbestechliches Gewissen seines Landes und der arabischen »Nation«. Sein gewaltiges Lebenswerk ist eine einzige Suche nach dem Sinn menschlicher Existenz. Was ihn am Ende dieses langen Weges als Mensch beschäftigt, das ist die Frage nach dem Ziel, die Frage nach dem Tod. Und seine Antwort ist: »Ich bin inzwischen in einem Alter, in dem man an das Ende denkt. Ich wünschte mir, dass an dem Tag, an dem ich nicht mehr das Bedürfnis verspüre zu schreiben, Neues zu entdecken, mein Leben zu Ende sei.«
Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert. Er hat ihn sogar in seinen Gewohnheiten bestätigt und seine Bescheidenheit verstärkt. Er ist ein einfacher Mensch geblieben und führt weiter sein geregeltes Leben, in dem die Treue zu seinen Freunden an oberster Stelle steht. Er sitzt im gleichen Café, schreibt zu den gleichen Stunden, bleibt auf der Straße stehen, um die Leute seines Viertels zu begrüßen, von denen einige ihn zu Romanfiguren inspiriert haben. Er hat seinen alten Humor bewahrt, und sein breites Lachen ist oft genug eine erschöpfende Antwort auf eine unpassende Frage.
Als er zur Erholung in sein kleines Haus nach Alexandria fuhr, wollte ihn ein Freund im Auto hinbringen. Aber er lehnte das ab: »Ich habe immer den Autobus genommen. Das ist ermüdend, aber ich bin es so gewöhnt. Außerdem, was würden die Nachbarn denken, wenn ich plötzlich in einem schönen Auto mit Chauffeur vorfahre. Ich bin immer noch der Gleiche …«
Man erzählt, dass ihn am Tag nach der Verkündigung des Nobelpreises ein Journalist um ein Interview bat. Er sah ihn freundlich an und sagte: »Sie kommen wegen des Nobelpreises? Aber das war doch gestern!«
Tahar Ben Jelloun, Le Monde, 18.11.1988