Der Historiker Michelet hat gesagt, dass das Meer die Regel und die Erde eine Ausnahme sei. Zwischen diesen beiden Welten, was ist das Eis?
Juri Rytchëu: Für uns ist es die Vereinigung von Regel und Ausnahme. Das Eis ist hart wie die Erde, kann aber flüssig werden wie das Wasser.
Und diese Beringstraße zwischen Russland und Alaska?
Nur ein Jagdgebiet: bei Eis eine Brücke, die zusammenführt, ansonsten ein Fluss, ein Fluss für die Jagd.
Sind die Tschuktschen die geblieben, die sie waren, als Juri Rytchëu noch klein war und der Sommer noch Sommer war? Sind sie dieselben, von denen Sie in Ihrem Buch erzählen: Nomaden ohne Hierarchie, grausam und zart, in vollkommener Symbiose mit der Natur?
Alles geschah sehr schnell. Die Rentierzüchter sind keine Nomaden mehr. Sie treiben die Herden mit Hubschraubern zusammen. Die heutigen Tschuktschen sind anders. Aber jede Generation gibt ihre Kultur an die nachfolgende weiter. Viele von uns jagen noch oder ziehen Rentiere auf. Aber alle haben einen Schulabschluss. Es gibt einen Radiosender, einen Fernsehkanal und eine Tageszeitung in unserer Sprache. Selbstverständlich haben Veränderungen stattgefunden. Von Kindheit an kannte ich jeden Grashalm, konnte ich jeden Windhauch nach seinem Geruch beurteilen und die Informationen, die er brachte, verstehen. Aber mein Volk wird überleben, obwohl es so winzig ist.
Es überlebt schon auf den Seiten von »Traum im Polarnebel«, wo die Seehunde ins Meer tauchen, um die Überreste der Beute einzusammeln, die der Seebär gelassen hat; wo man den Seehundjägern, wenn sie am Abend heimkehren und die Beute mit sich schleppen, aus Respekt auf der Hausschwelle zu trinken gibt; wo die Männer bis zum Platzen essen, denn der Tag nach dem Sturm kann alles auslöschen. Wo sich die Wale in junge Mädchen verlieben und sich am Abend in junge Burschen verwandeln.
La Stampa, 11.6.1983